Köln

Kleiner Kölner Klub, Alaaf!

Wir stehen fest an der Seite der Jüdinnen und Juden und ihren Gemeinden in unserem Land.» Mit diesem klaren Bekenntnis hat sich der seit knapp zwei Wochen amtierende Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, anlässlich des Gedenkens an die Pogromnacht vor 83 Jahren zu Wort gemeldet. Bei der Veranstaltung in der Kölner Synagoge unter dem Motto «Verschwörungstheorien gestern und heute» mahnte der CDU-Politiker mit Blick auf die aktuellen antisemitischen Vorfälle und Übergriffe: «Jeder Einzelne von uns ist auch im Alltag gefordert, gegen Antisemitismus vorzugehen.»

Der 47-Jährige nannte es ein Geschenk, dass es 83 Jahre nach der Pogromnacht während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wieder ein so lebendiges jüdisches Leben in Deutschland gebe. Als Beispiel nannte er die vielfältigen Verflechtungen von jüdischen und nichtjüdischen Organisationen und Vereinen.

Max Salomon war unter dem Namen «de Pläät» eine feste Größe beim Kölner Karneval.

Einer von ihnen ist der 2017 gegründete Verein «Kölsche Kippa Köpp». Dessen Präsident und Mitglieder sehen sich in der Tradition des «Kleinen Kölner Klubs», eines 1922 gegründeten jüdischen Karnevalsvereins. Sie sehen es als ihre Verpflichtung an, das Wirken von Juden im Kölner Karneval lebendig zu halten.

Unterstützt vom Festkomitee Kölner Karneval gelang es Aaron Knappstein und seinen Mitstreitern, in der zuständigen Bezirksvertretung Innenstadt den Beschluss zu erwirken, einen Weg nach dem Klub benennen zu lassen – nur wenige Tage nach der Gedenkveranstaltung zum 9. November. Zudem hatte Knappstein vor dem Hintergrund des laufenden Festjahres «1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland» den Besuch der Nachfahren bei der Stadt Köln angeregt.

STRASSENSCHILD Am vergangenen Freitag war es dann so weit – in einer fröhlichen Zeremonie wurde ein 55 Meter langer Fußweg in der Kölner Innenstadt mit dem Namen «Kleiner-Kölner-Klub-Weg» eingeweiht. Der bekannte Karnevalsausruf «Alaaf» hallte durch die kleine Grünanlage, als die Fahne mit dem Kölner Stadtwappen abgenommen wurde und das Straßenschild zum Vorschein kam.

«Wunderbar, einfach wunderbar», kommentierte Laura Chamin mit unüberhörbarem amerikanischen Akzent den Moment und blickte ebenso strahlend wie dankbar in die Runde. Auch die anderen Gäste aus den USA und Israel verfolgten begeistert die Einweihung durch Vertreter des Festkomitees Kölner Karneval, von Karnevalsgesellschaften sowie durch den Kölsche-Kippa-Köpp-Präsidenten Aaron Knappstein.

«Es ist für uns eine große Freude, dass Sie hierhergekommen sind», wandte er sich an die weit gereisten Gäste und fügte hinzu: «Das ist nicht selbstverständlich, schließlich wurde Ihren Verwandten großes Leid angetan.»

NACHFAHREN Bei den Angehörigen aus Israel und den USA handelt es sich um Nachfahren von jüdischen Karnevalsgrößen, die sich im Kleinen Kölner Klub bis zu dessen erzwungenem Ende nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 engagiert hatten.

Laura Chamin ist die Urenkelin des Vereinsgründers Max Salomon. Der war unter dem kölschen Namen «de Pläät», Glatze, als Kabarettist eine feste Größe beim Kölner Karneval. Schon vor der Vereinsgründung stieg Salomon in Kölns fünfter Jahreszeit regelmäßig als «Maatfrau», Marktfrau, in die Bütt – das fassähnliche Vortragspult für Redner bei Karnevalssitzungen. 1939 gelang ihm die Flucht in die USA, wo er 1977 starb.

Der Kleine-Kölner-Klub-Weg liegt nur wenige Schritte entfernt vom letzten bekannten Wohnort Max Salomons. Zu seinen damaligen Nachbarn gehörten auch David Hirsch und Ignaz Berger, ebenfalls Karnevalisten und Vereinsmitglieder. Max Salomon war mit einer Schwester von David Hirschs Ehefrau Carola verheiratet. David Hirsch sowie vier weitere Mitglieder des jüdischen Klubs wurden deportiert und ermordet. Insofern begleiteten denn auch nachdenkliche Momente die Einweihung des Weges.

STOLPERSTEINE Dem vorausgegangen war im September die Verlegung von drei Stolpersteinen in der Kölner Innenstadt. Sie erinnern an David Hirsch, dessen Frau und seine Tochter. Der Elektrotechniker und Kaufmann, 1886 in Mülheim an der Ruhr geboren, betrieb im Kölner Stadtteil Kalk eine Kurzwarenhandlung. Er engagierte sich als aktives Mitglied im jüdischen Karnevalsverein.

Es kamen so viele Spenden für die Stolpersteine zusammen, dass nächstes Jahr weitere verlegt werden können.

David und Carola Hirsch wurden Mitte 1942 vom Bahnhof Köln-Deutz mit den beiden Töchtern Karola Ruth und Emma Margot sowie dem Schwiegersohn zusammen mit etwa 1200 Juden in das Vernichtungslager Maly Trostinez nahe Minsk deportiert. Unmittelbar nach der Ankunft wurden sie neben der Bahnstrecke erschossen und in Massengräbern verscharrt.

Als der Künstler Gunter Demnig die drei Stolpersteine vor dem Haus Am Trutzenberg 46, dem letzten bekannten Wohnort der Familie Hirsch, auf dem Gehweg einbrachte, sagte Aaron Knappstein: «Ich bin sehr froh, dass wir die Erinnerung an die Familie Hirsch auch auf diese Weise wachhalten können.»

Für die Stolpersteine hatte der Verein Kölsche Kippa Köpp um Spenden gebeten. «Es kam so viel Geld zusammen, dass wir nicht nur die drei Steine für die Familie Hirsch beauftragen konnten, sondern nächstes Jahr noch für weitere Personen solche Steine verlegen lassen können», so Knappstein.

PREIS Für die Angehörigen von Max Salomon, unter ihnen auch eine 95 Jahre alte Nachfahrin, war der einwöchige Aufenthalt in Köln auf Einladung der Stadt auch eine lebendige und höchst emotionale Begegnung mit der Familiengeschichte. «Viel wussten wir nicht über unsere Großväter und Urgroßväter», sagt Laura Chamin. Auch Karneval an sich sowie die Mitwirkung der Vorfahren dabei seien kaum bekannt gewesen, da darüber nicht gesprochen worden sei.

Nun konnte die Familie nicht nur den offiziellen Karnevalsauftakt am 11. November miterleben, sondern am Tag nach der Einweihung auch an der durch eine Karnevalsgesellschaft ausgerichteten Verleihung des Hans-David-Tobar-Preises teilnehmen. Der 1888 als Hans David Rosenbaum in Köln geborene Tobar war eng mit Salomon befreundet und übersetzte die Stücke des Kleinen Kölner Klubs in die kölsche Mundart.

Oberbürgermeisterin Henriette Reker empfing die Gäste im Rathaus.

Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker ließ es sich nicht nehmen, die Gäste im Rathaus zu empfangen und sie mit dem Eintrag ins Gästebuch der Stadt zu ehren. Zum Programm gehörten neben dem Kölner Dom selbstverständlich auch Besuche in der Synagoge sowie im Wohlfahrtszentrum der Synagogen-Gemeinde Köln.

Neben vielen Eindrücken und bewegenden Erfahrungen nahm jeder der Nachfahren der jüdischen Karnevalisten auf die Rückreise noch eine besondere Erinnerung mit: Vom Festkomitee Kölner Karneval erhielten die Gäste aus Israel und den USA eine Nachbildung jenes Karnevalsordens, den der Kleine Kölner Klub im Jahr 1930 auf Sitzungen an seine Gäste verliehen hat.

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024

Essay

Steinchen für Steinchen

Wir müssen dem Tsunami des Hasses nach dem 7. Oktober ein Miteinander entgegensetzen

von Barbara Bišický-Ehrlich  16.04.2024

München

Die rappende Rebbetzin

Lea Kalisch gastierte mit ihrer Band »Šenster Gob« im Jüdischen Gemeindezentrum

von Nora Niemann  16.04.2024

Jewrovision

»Ein Quäntchen Glück ist nötig«

Igal Shamailov über den Sieg des Stuttgarter Jugendzentrums und Pläne für die Zukunft

von Christine Schmitt  16.04.2024

Porträt der Woche

Heimat in der Gemeinschaft

Rachel Bendavid-Korsten wuchs in Marokko auf und wurde in Berlin Religionslehrerin

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.04.2024