Vortrag

Kinder, Küche, Knesset

Elektrotechnikerin, Politikerin und achtfache Mutter: Anastassia Michaeli Foto: Uwe Steinert

Ihren Auftritt am vergangenen Donnerstag hatte sich Anastassia Michaeli gewiss anders vorgestellt. Denn allzu groß schien das Interesse an ihrem Vortrag zum Thema »Karriere und Kindererziehung in Israel« nicht zu sein. Ein gutes Dutzend Zuhörer, mehr nicht. Dabei ist es genau ihr Thema: Schließlich ist die erfolgreiche Karrierefrau selbst Mutter von acht Kindern im Alter zwischen vier und 16 Jahren. Jahrelang pendelte sie zwischen Parlamentssitzungen, Fernsehshows, Fußballturnieren und Hausaufgaben. Ihre Botschaft: Beruf und Kinder sind in Israel kein Gegensatz.

Michaelis Karriere ist ebenso bunt wie glamourös. Sie arbeitete als Model, TV-Moderatorin und Schauspielerin. Darüber hinaus verfügt die gebürtige St. Petersburgerin, die 1997 der Liebe wegen nach Israel einwanderte, über Hochschulabschlüsse in Elektrotechnik und Wirtschaft.

Bis 2013 machte Michaeli vor allem als Knesset-Abgeordnete von sich reden: Als Mitstreiterin von Avigdor Lieberman zog sie 2009 ins israelische Parlament ein. Die erfolgreiche Karrierefrau und Mutter schien damals ein Glücksgriff für die Rechtspartei zu sein: Authentisch und wortgewandt repräsentierte sie Themen, mit denen sie vielen russischen Einwanderern aus dem Herzen sprach: Bildung, Heimatverbundenheit, Emanzipation und unkompliziertere Konversion.

Diaspora Derzeit gönnt sich die ehemalige Israel-Beiteinu-Abgeordnete eine Auszeit vom Politikbetrieb. Die nutzt sie für Begegnungen mit jüdischen Gemeinden in der Diaspora. Vergangene Woche besuchte sie deshalb auf Einladung von Keren Hayesod Berlin. Das Ziel ihrer Reise: Juden in Deutschland über Israel informieren.

Dass ihr Vortrag in eher familiärer Runde stattfand, nahm die Ex-Parlamentarierin gelassen. »Ich finde diesen kleinen Rahmen viel direkter«, gestand Michaeli. »So kann ich Sie besser kennenlernen.« Sie wirkte fast erleichtert darüber, die Politikerfassade abzustreifen. Sie könne es gut verstehen, wenn Eltern Freizeitaktivitäten mit ihren Kindern trockenen Gastvorträgen vorzögen. So war das Eis schnell geschmolzen: Aus dem offiziellen Auftritt wurde im Handumdrehen eine warmherzige Begegnung.

Dabei ging es nicht nur um Kindererziehung und Karriere. Denn Michaelis persönliche Geschichte und exotischer Werdegang faszinierten die Zuhörer fast noch mehr als das eigentliche Vortragsthema. Die meisten von ihnen, Israelis und russischsprachige Gemeindemitglieder, waren ohnehin gekommen, um Anastassia Michaeli live zu erleben – die erste Frau, die während ihrer Zeit als Knesset-Abgeordnete ein Kind zur Welt gebracht und zeitgleich zum Judentum konvertiert war. Damals von israelischen Medien nach dem Namen ihres achten Kindes befragt, nannte sie es stolz »einen weiteren Soldaten«.

Extrem Von der St. Petersburger Schönheitskönigin zur orthodoxen Jüdin, die mit extremen Gesten und nationalistischen Tönen provoziert – wie geht das zusammen? »Ich habe mich in Israel von Anfang an zu Hause gefühlt. Für mich war klar: Wenn ich hier lebe, dann kämpfe ich für mein Land.« Religion und Moderne – für Michaeli kein Widerspruch. »Dank Internet und technischer Entwicklung haben Frauen heute viel mehr Möglichkeiten, zu arbeiten – auch wenn sie Kinder haben.

Gleiche Rechte, höhere Bildung – das ist alles selbstverständlich bei uns.« Für viele israelische Frauen symbolisiert Anastassia Michaeli bis heute Selbstverwirklichung und gelebte Gleichberechtigung. Auch wenn sie im Moment lieber mehr Zeit mit ihren Kindern verbringt als im Büro. Eine bewusste Entscheidung. Denn beruflicher Erfolg habe seinen Preis. »Gesundheit, Seelenfrieden, Partnerschaft, Familie. Der Spagat ist nicht immer leicht.« Die achtfache Mutter setzt auf geteilte Verantwortung und klare Aufgabenregelung im Haushalt. »Jeder muss mithelfen.«

Prinzipien Die Auszeit tut ihr offenbar gut. Denn die Politikerin ist in Israel nicht unumstritten. Selbst ihre eigene Partei distanzierte sich mehrfach aufgebracht von ihr. Der Grund: ihre unverblümt intoleranten Attacken. So erregte Michaeli 2010 Aufsehen, als sie die Balad-Abgeordnete Hanin Soabi vom Rednerpult zerrte.

Ihre Begründung damals: Soabis Teilnahme an der Gaza-Flottille sei Verrat und lasse sich nicht mit den Grundprinzipien einer israelischen Parlamentarierin vereinbaren. Ein zweites Mal wurde Michaeli 2012 handgreiflich: Während einer Sitzung der parlamentarischen Bildungskommission schüttete sie ihrem muslimischen Parlamentskollegen Galeb Majadle von der Arbeitspartei ein Glas Wasser ins Gesicht. Daraufhin schloss die Ethik-Kommission der Knesset Michaeli für einen Monat vom Parlament aus. Später entschuldigte sie sich für ihr Verhalten.

Heute gibt sich die Ex-Abgeordnete zurückhaltender: »Politische Arbeit erfordert viel Wissen. Die Arbeit mit Israel Beiteinu war meine erste politische Erfahrung. Was mich damals so wütend gemacht hat: Als einzige Demokratie-Insel im Nahen Osten müssen wir wegen der Sicherheit immer wieder Budget-Einschnitte in Kauf nehmen, zum Beispiel bei der Bildung.«

Michaeli hofft, dass von ihren ersten Politik-Schritten nicht nur die unschönen Szenen im Gedächtnis bleiben. Schließlich habe sie sich insbesondere in Erziehungs- und Gesellschaftsfragen starkgemacht: kostenfreie Bücher in Schulen, der Status von Frauen und Familien, die Verteidigung von Frauenrechten.

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