Szene

In Teufels Küche

Schwarzer Kaffee zum Wachwerden: Shlomi Putschbach in seinem »Multifunktionslokal« Foto: Mike Minehan

Trotz des nasskalten Wetters herrscht eine emsige Geschäftigkeit im Berliner Graefekiez. In den überschaubaren Straßen des gesetzten Alternativbezirks Kreuzberg schlüpfen Menschen durch dicht parkende Autos, vorbei an Fahrradfahrern, und überqueren das buckelige Kopfsteinpflaster. Bauarbeiter bahnen sich den Weg durch die Fußgänger.

Währenddessen liegt hinter der Fassade eines Eckladens ein Mann auf einer Ledercouch und kümmert sich nicht um das Leben vor der Tür. Es ist Shlomi Putschbach. Später wird er sagen: »Ich liebe das Leben, sobald es etwas zu genießen gibt«, aber jetzt entspannt er sich. Die vergangene Nacht war lang, das merkt er auch noch jetzt um 15 Uhr – zwei Stunden, bevor das »Devil’s Kitchen« öffnet. Als Besitzer des Lokals ist der 37-Jährige oft als Erster, aber auch als Letzter dort, an der Ecke zwischen Graefe- und Böckhstraße – so sei das eben als Gastronom.

Shlomi Putschbach ordnet noch schnell seine dunklen, lockigen Strähnen und gießt – noch etwas müde – einen schwarzen Kaffe in die Tasse. Nicht ausgeschlafen zu sein, störe ihn nicht, er möge seinen Job einfach, sagt er und grinst – er hätte nie etwas anderes tun wollen.

Alles in einem In diesem Februar begeht Putschbach den zweiten Jahrestag seines Geschäftes. Als reines Restaurant, Bar, Kneipe oder Café ist es nur schwer zu bezeichnen, da Putschbach geschickt die Hauptelemente der jeweiligen Gaststätten miteinander verbindet. Der Eingang des Devil’s Kitchen befindet sich im legeren Bereich, dort, wo auch die Ledercouch steht. Man steht nach dem Eintritt also nicht gleich auf dem ausgeleuchteten Präsentierteller, sondern kann sich noch im Halbdunkel akklimatisieren.

Ein paar Schritte weiter liegt die freistehende Bar inmitten des L-förmigen Gastraumes. Durch die fächerförmige Anordnung des Restaurant-, Sofa- und des Raucherbereichs um die Bar, enden die Sichtachsen, mit wenigen Ausnahmen, immer am Herzen des Ladens. Dadurch verweben sich die Teilbereiche zu einem durchlässigen Ganzen. Bei 120 bis 130 Sitzplätzen ist man im Devil’s Kitchen immer auf Tuchfühlung mit den anderen Gästen. Die Gänge zwischen den Tischen sind schmal, beengt wirkt es dennoch nicht. Es ist einfach ein gemütliches Kiezlokal.

Shlomi Putschbach begrüßt viele seiner Gäste persönlich, setzt sich kurz auf ein Gespräch dazu, um dann wieder hinter der Bar, in der Küche oder einem anderen Bereich des Ladens zu verschwinden. Sein Konzept ist einfach erklärt: »Ich wollte eine Bar, ein Restaurant und einen großen Raucherraum in einem Laden vereinen. Warum sollte ich die ganzen Elemente denn nicht mischen? Zu mir können 18-Jährige kommen, die ein Bier trinken und rauchen wollen, aber auch die 65-, 70- oder 80-Jährigen, die ins Restaurant kommen und ein Glas Wein zu gutem Essen genießen möchten.

Manchmal sitzen hier Leute an der Bar, kommen gerade aus einem Restaurant und wollen bei mir nur etwas trinken. Und trotzdem stelle ich ihnen auch etwas zu essen hin: kleine Salate oder Hummus oder einen kleinen Teller Falafel mit Tahina – natürlich auf’s Haus.«

Mediterran »Die sind dann zwar sehr überrascht, aber es gefällt ihnen. So etwas kennt man hier nicht.« Das hat Putschbach also aus Israel, seiner Heimat, mitgebracht: mediterranes Lebensgefühl. Das Telefon des Ladens klingelt auf einmal, niemand geht ran. Plötzlich schreit Putschbach auf Hebräisch, dass sich jemand um das Telefon kümmern soll. Das Klingeln hört auf.

»In Israel ist das so: Die Leute lieben es zu essen, und alles dreht sich auch irgendwann ums Essen. Dazu brauchst du weder einen Grund noch Hunger zu haben, Hauptsache, du bist in guter Begleitung. In Deutschland ist das ein bisschen anders: Hier isst man meistens, weil man hungrig ist.« Das sei einer der Hauptunterschiede, so Putschbach, »es ist eine unterschiedliche Mentalität«.

Das Devil’s Kitchen ist aber auch kein typisch israelisches Restaurant. »Mit Kategorien kann ich nichts anfangen«, kommentiert Putschbach. »Ich will ja nicht die Tatsache verkaufen, dass ich Israeli bin! Meinen Laden nenne ich ja auch weder israelisch noch deutsch. Wir sind eher – wie es in Deutschland gern gesagt wird – multikulti. Wir sind von allem ein bisschen.«

Dennoch können viele der Angestellten Hebräisch sprechen, und der obligatorische Hummus auf der Karte fehlt auch nicht. Wie es in Israel üblich wäre, klärt Putschbach zusätzlich auf, würde hier auch für alle am Tisch eingedeckt, ungeachtet, was eigentlich bestellt wurde. Letztendlich sollen seine Gäste das genießen können – auch ohne kitschige Israel-Souvenirs an den Wänden.

Einfach Essen Er überlegt kurz, und sein Gesicht wird ernster, seine Stimme ruhiger: »Ich möchte auch gar nicht, dass die Israel-Liebhaber mit ihren Fähnchen hierher kommen und draußen vielleicht gerade eine Anti-Israel-Demo stattfindet.« Das sei einfach ein wenig gefährlich, und politische Sachen befürworte er in seinem Laden ohnehin nicht. Das sei ihm einfach alles zu viel Hickhack.

Seine Lösung sei viel einfacher, sagt er und lässt sich wieder in die Ledercouch sinken: »Essen durchbricht die Mauern. Manche sagen, wenn alle rauchen würden, dann wäre Frieden auf der Welt. Ich sage, wenn man mit anderen um einen Tisch sitzt und etwas zusammen isst, dann kann man auch miteinander reden und Frieden schließen. Daran glaube ich und das versuche ich den Leuten zu verkaufen. Ich liebe das Leben, sobald es etwas zu genießen gibt, und es ist großartig, wenn ich es an meine Gäste weitergeben kann.«

Chemnitz

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