Porträt der Woche

»Ich mache fast nur Gesichter«

»Ich bin in meiner Malerei geprägt von biblischen Motiven – aber auch von Rubens und Rembrandt«: Guil Zekri (43) aus Köln Foto: Jörn Neumann

Porträt der Woche

»Ich mache fast nur Gesichter«

Guil Zekri ist Tätowierer und hat in Köln eine Kunstschule gegründet

von Hans-Ulrich Dillmann  18.12.2017 17:27 Uhr

Mein erstes Tattoo habe ich jahrelang vor meinen Eltern versteckt. Aber als ich ein weißes T-Shirt trug, hat meine Mama es entdeckt. Ein Sohn mit langen Haaren, Nasenring, an einem Ohr ein Ring, am anderen sieben, ein Satan-T-Shirt – und dann auch noch ein Tattoo!

Meine Familie kommt aus Algerien und ist sehr traditionell. Mein Vater trägt die bei uns bunt bestickte Kippa. Erst mit drei Jahren wurden mir die Haare geschnitten. Und natürlich ging ich jeden Freitag und Samstag in die Synagoge.

Heute bin ich nicht mehr religiös. Das war ein Drama. Meine Eltern haben immer gedacht, was haben wir diesem Kind Böses angetan, dass es uns jetzt so bestraft? Sie haben befürchtet, ich werde ein Junkie und nie erfolgreich sein. Aber das Tattoo war nicht gegen meine Eltern oder gegen meine Erziehung gerichtet. Ich habe es gemacht, weil es zu der Welt gehört, zu der ich gehören wollte. Es war für mich, für mein persönliches Leben.

tora Jüdische Erziehung basiert auf schlechtem Gewissen. Das war für mich das Schlimmste, davon habe ich mich befreit. Heute bin ich erfolgreicher und auch international bekannter Tätowierer. In Köln habe ich zwei Tattoostudios. Und inzwischen sind auch meine Eltern stolz auf mich.

Nach dem Jom-Kippur-Krieg kam die Flower-Power-Bewegung auch nach Israel. Ich entdeckte durch meine große Schwester schon als Achtjähriger die Rockszene. Ich wurde Metal-Fan: Metallica, Iron Maiden, Black Sabbath und Death-Metal-Bands wie Morbid Angel. Ich wollte wie David Vincent werden, ihr Sänger und Bassist. Die Musik hat mein Leben vollständig verändert.

Ich habe gewusst, dass die Tora die Tätowierung verbietet. Ich habe mich intensiv damit auseinandergesetzt und kann noch heute die entsprechenden Zitate aus der Tora auswendig. Aber in Borneo tätowieren sich die Mädchen schon mit 13 Jahren. In Polynesien stechen sich die Menschen Symbole auf die Haut.

zufall Auch in der Nahostregion war es in fernen Zeiten durchaus üblich, sich zu tätowieren. Wenn man Tango oder Walzer tanzen will, dann zieht man einen Anzug an oder zweifarbige Schuhe. Wenn man Metal hört, dann hat man eben lange Haare und Tätowierungen. Ein Stammeszeichen. Zu diesem Stamm, zu dieser Gruppe wollte ich gehören. Deshalb habe ich mich tätowieren lassen.

Dass die Nazis jüdische Gefangene tätowiert haben, das habe ich gewusst, aber das war etwas anderes für mich. Ich kann das sehr genau trennen. Damals waren die Menschen dazu gezwungen, sich die Nummer einritzen zu lassen. Ich bin dazu nicht gezwungen worden. Das ist ein großer Unterschied.

Zum Tätowieren bin ich aus Zufall gekommen. Da hatte ich schon fast beide Arme tätowiert. Für mich war es eine Möglichkeit, in der Tattooszene zu sein. Man hat sein eigenes Studio und verdient damit Geld. In Paris habe ich während meines Kunststudiums in einem Tattoostudio gearbeitet. Als ich wegen meines Mannes nach Münster umzog, habe ich dort Arbeit in einem Tattoostudio gefunden und zusätzlich für andere gezeichnet. Ich bin ein guter Zeichner. Dann hat mir ein Freund, der mein Tätowierer in Paris war und ein guter Freund geworden ist, zwei Tattoomaschinen geschenkt, mit denen ich mein Geschäft aufgebaut habe.

Handwerker Ich tätowiere keine Rose oder Modetattoos. Ich tätowiere nur, was jemand von mir haben und was ich ihm stechen will. Ich habe das Glück, dass ich nicht mehr alles machen muss, was die Leute an Mainstream wollen. Ich kreiere ein Kunstwerk, aber es gehört nicht mir, im Sinne eines Kunstwerkes, sondern dem Kunden. Und dann verkaufe ich meine Technik. Das Resultat dieser Arbeit stirbt mit der Person. Ich bin Handwerker, Dienstleister.

Bei mir kommt noch etwas anderes hinzu. Wer zu mir kommt, will sich einen Zekri tätowieren lassen. Sie kommen wegen meines Stils, meiner Handschrift. Sie kennen meine Arbeiten, denn ich bin international bekannt. Ich freue mich darüber. Das sind Tattoo Collectors. Sie lassen sich von mir wegen meiner Arbeit stechen. In den USA gehen sie zu einem, der für seine Farbporträts berühmt ist, und sie fliegen nach Japan, um sich einen original japanischen Drachen stechen zu lassen.

Ich zeichne und tätowiere direkt auf die Haut, versuche Kurven, die Tiefen, die richtige Schwarz-Grau-Relation, meinen typischen Kontrast herauszuarbeiten. Und am Ende kommt ein echtes Zekri-Tattoo heraus. Ich mache fast nur Gesichter, Schädel, am liebsten ältere und nicht so junge Gesichter. Es gefällt mir, mit Falten, Bart, Licht und Schatten, mit Konturen zu arbeiten – düster, eine mysteriöse Welt, mit alter griechischer Mythologie bis hin zu hebräischer Bedeutung. Das erfordert große Konzentration.

caravaggio Ich habe 15 Jahre dafür gearbeitet, dass man heute einen Zekri haben will. Ein DINA4-großes Tattoo dauert vielleicht einen ganzen Tag. Ich selbst lasse mich nicht mehr so oft tätowieren, vielleicht einmal im Jahr. Dann sitzen wir zusammen, essen gut, trinken Wein und tätowieren uns gegenseitig. Ich weiß, was der andere für eine Tätowierkunst pflegt, ich kenne sie, und mir gefällt sein Stil. Ich lasse ihn machen, was er denkt, was zu mir als Motiv auch passt. Es ist eine Vertrauenssache, Tätowierer zu sein. Es bedeutet, ich selbst zu sein, eine wunderschöne Freiheit. Ich kann die Sachen tragen, die ich möchte, ich kann meine Farben oder Pinsel kaufen.

Meine Liebe gehört inzwischen der Malerei. Ich finde, ich bin erfolgreicher geworden, weil ich auch male. Tätowieren ist ein Dialog zwischen mir und meinen Kunden. Die Malerei ist für mich zwar auch ein Dialog, aber ein Dialog mit mir selbst. Und das ist wunderschön. Es ist unbeschreiblich, wie man Ideen aus sich herausholen kann in der Arbeit auf der Leinwand.

Ich bin in meiner Malerei geprägt von der Tora, den biblischen Motiven. Auch von Rubens, Caravaggio, Rembrandt: Der hat mich sehr beeinflusst. Inzwischen habe ich in Köln auch eine Kunstschule eröffnet – die Reinkarnation Art Academy. Das hat nichts mit Wiedergeburt zu tun, sondern kommt von Englisch »Ink« für Farbe. Ich habe für mich eine Schule gesucht, in der ich meine Malerei verbessern und entdecken kann, wie die alten Meister gemalt haben. Dann wurden die Räumlichkeiten gegenüber von meinem Tattoostudio im Belgischen Viertel frei – und da kam mir die Idee, einen Raum zu schaffen, wo man die Technik der alten Meister lernen kann.

Ich wollte eine Fine-Art-Schule schaffen, mit Anatomie, Figurativem, richtiger Technik: wie man das Öl richtig mischt, wie man anfängt zu zeichnen, wie man ein Gemälde malerisch und zeichnerisch aufbaut, um nicht nur die Fotokopie eines Bildes zu machen. Es ist schon etwas wie eine Mission, einen Ort zu schaffen, wo die Plastizität, die praktische Arbeit studiert werden kann von Menschen, die sich für diese Art von Malerei interessieren.

Einsamkeit Ich bin zwar, wie viele Israelis, ein sehr sozialer, geselliger Mensch. Es gibt immer sehr viele Menschen um mich herum. Aber wenn ich mich in mein Atelier zurückziehe, bin ich manchmal bis zu 15 Stunden alleine, um ein Bild zu malen. Leider trinke ich dann zu viel Kaffee und rauche zu viel.

Ich mag diese Einsamkeit beim Malen. Aber wenn ich nicht male, kann ich nicht gut allein sein. Als Mensch bin ich auf soziale Beziehungen angewiesen. Es sind Parallelwelten, die ich mir geschaffen habe.

Aufgezeichnet von Hans-Ulrich Dillmann

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