Porträt der Woche

»Ich kam mit leeren Händen«

Zwischen den Werken seiner ersten Ausstellung in Deutschland: Iosif Kitman (77) Foto: Dörthe Boxberg

Im März wurde im Begegnungszentrum Köln-Porz meine erste Ausstellung in Deutschland eröffnet. Ich habe viele herzliche Worte gehört und freue mich natürlich darüber. Aber Worte allein reichen nicht. Ich lebe seit mehr als zwölf Jahren in Deutschland. Hier habe ich noch nie versucht, etwas zu verkaufen – ich kann den Leuten doch keinen Gips andrehen! Das ist kein Material für die Ewigkeit, sondern nur eine Vorstufe. Man müsste die Skulpturen in Bronze gießen, aber dafür habe ich kein Geld.

Selbst wenn ich mit Holz arbeiten wollte, gäbe es Schwierigkeiten: Zunächst einmal finanzielle, und dann macht ein Bildhauer eben auch Lärm. Eine richtige Werkstatt habe ich nicht; mein Sohn hat mir seine Garage zur Verfügung gestellt. In einem Atelier müssten eigentlich Fenster und Licht sein, Luft und Raum. Aber in einer Garage gibt es nichts davon.

Als ich im Begegnungszentrum meine Arbeiten gesehen habe, ist mir klar geworden: Es gibt noch viel zu tun – Dinge, die ich in der Garage nicht erledigen kann. Der Betrachter sieht sie vielleicht nicht, denn ich bin Profi. Fast alles, was ich in der Kölner Ausstellung zeige, ist in der Garage entstanden: etwa die Porträts von Heinrich Böll, Ossip Mandelstam und Nelly Sachs.

Studium Mein Leben lang arbeite ich als Bildhauer. Als Kind habe ich geknetet. Dann kam ich auf die Kunstschule, wo man jeden einzelnen Finger und jede Ohrmuschel genau studiert. Später habe ich die Kunsthochschule in Moskau besucht. Nach dem Studium kam ich in meine Heimatstadt Kischinjew, nach Moldawien, zurück und unterrichtete zwei Jahre lang die Abschlussklasse, in der ich Jahre zuvor selbst gelernt hatte. Die Schüler von damals sind seit Langem selbst Meister ihres Fachs.

Ich war erst 24 Jahre alt, und unsere Abiturienten hielten sich natürlich schon für große Könner. Ja, sie kannten durchaus ihre Stärken, aber noch nicht ihre Schwächen. Und Schwächen hat der unreife Künstler viele. Später, nachdem sie sich in alle Winde zerstreut hatten, hörte ich von manchen, dass sie dies oder das von mir gelernt hätten.

Nach einiger Zeit wurde ich in den sowjetischen Künstlerverband aufgenommen. Das hatte den Vorteil, dass ich eine Werkstatt bekam. Ich wollte die Tür hinter mir zumachen und arbeiten, ohne auf die Uhr zu schauen – arbeiten mit voller Kraft, solange es geht. Um keine Lenin-Denkmäler produzieren zu müssen, sondern Kunst, wandte ich manchmal ein wenig List an: Muss in einer Ausstellung zum 50. Jahrestag der Sowjetunion die Büste einer schönen Frau zu sehen sein? Aber sicher doch!

Skulpturen Sogar die Konsolen, auf denen die Skulpturen im Begegnungszentrum stehen, sind von mir gezimmert. Ich werde jedoch bald alles abholen und wieder bei mir lagern. Der Saal wird gebraucht, ständig gibt es Kurse, Veranstaltungen, Konzerte. Da wären die Skulpturen im Weg. Jetzt kann ich zumindest versuchen, sie anderen Ausstellungsorten anzubieten. Wo genau, das muss ich mir noch überlegen. Vielleicht wende ich mich ans Lew Kopelew Forum.

Mein Traum ist, Sponsoren für die Skulptur »Nie wieder!« zu finden. Sie ist nach einem Foto aus dem Zweiten Weltkrieg gemacht: Man erkennt darauf ein Kind mit erhobenen Armen und einen Uniformierten, der auf das Kind zielt. Den Mann sieht man bei mir nicht, nur den Jungen und hinter ihm einen Notenständer, von dem die Notenblätter heruntergefallen sind. Dieses Kind wird nicht mehr Geige spielen.

Ich stelle mir diese Figur in Bronze als Mahnmal vor einem Museum oder ehemaligen KZ vor. Leider kann ich nicht jeden Tag arbeiten. Aber ich versuche, nicht zu viel Rücksicht auf mein Alter zu nehmen. Denn mir bleiben nur noch wenige Jahre, die muss ich nutzen.

Besonderes erwarte ich nicht mehr – höchstens, weitere Haare auf dem Kopf zu verlieren. Noch grauer können sie ja nicht werden. Aber im Ernst: Meine Generation, die ihr Leben größtenteils im 20. Jahrhundert verbracht hat, geht bald. Ich betrachte es als meine Pflicht, eine Erinnerung an diese Epoche zu hinterlassen. Deshalb die Garage – auch an einem solchen Ort bringt man etwas zustande.

Für Sport und Ähnliches habe ich keine Zeit. Lieber arbeite ich ein bisschen mehr. Habe ich eine Idee im Kopf, überträgt sich der Impuls auf die Finger. Und wenn man dann nicht das richtige Material zur Hand hat – dann hat man’s verpasst, und die Idee ist verflogen.

Das ist, als ob sich in der Figur ein Metallgerüst befindet. Es ist zusammengeschweißt. Für den Bildhauer bedeutet das, schon im Kopf den richtigen Winkel für das Bein zu berechnen. Wenn er dann feststellt, dass die Figur besser einen größeren Schritt gemacht hätte, kann er das nicht mehr korrigieren. Mit Knete oder Ton ließe sich jederzeit alles verändern. Weil ich jedoch keine Möglichkeit habe, zunächst einen Entwurf zu machen, arbeite ich direkt nach meiner Vorstellung. Tja, Mozart konnte seine neue Musik direkt aus dem Kopf spielen, aber er war ein Genie. Und ich bin lediglich Profi!

Meine ganze Familie erwartet jedes Jahr ungeduldig die Messe ArtCologne Ende April. Für uns ist das ein fester Termin und ein großes Ereignis: Da stellen Galerien aus der ganzen Welt ihre Künstler vor. Eine Pracht! Leider nehme ich nicht daran teil, aber wir besuchen sie immer, auch dieses Jahr sind wir da gewesen. Ansonsten gehe ich nicht in Galerien.

sprache Zu hiesigen Kunstvereinen habe ich keinen Kontakt. Ehrlich gesagt, hatte ich gar nicht erwartet, dass die deutsche Sprache mir dermaßen Schwierigkeiten bereiten würde. Ich war überzeugt, mich nach zwei Jahren frei verständigen zu können. Aber offensichtlich macht sich das Alter bemerkbar – ganz zu schweigen davon, dass Migranten mit fast allem bei null anfangen. Man muss sich um ganz elementare Dinge Gedanken machen, zum Beispiel: Wo nehme ich ein Stück Draht her?

Ich habe nichts aus Moldawien mitgebracht. Wir haben lediglich unsere Taschen gepackt und uns ins Flugzeug gesetzt. Die Arbeiten aus so vielen Jahren mussten dort bleiben. Hier in Deutschland konnte ich aber nicht einfach mit leeren Händen zu meinen Kollegen gehen und behaupten, dass ich auch bildhauern kann. Erst jetzt, nach vielen Jahren, habe ich etwas vorzuweisen.

Mein einziges Hobby ist das Lesen. In der Gemeinde gibt es eine wunderbare Bibliothek. Ich lese keinen Schund, weder Krimis noch Liebesromane. Ansonsten mag ich alle guten Autoren, sowohl die Klassiker als auch Modernes. In Russland gibt es noch sehr interessante Schriftsteller – zwar wenige, aber es gibt sie. Gerade lese ich Andrei Sinjawski.

Übrigens bin ich entrüstet, dass ich in ganz Köln kein Denkmal für Heinrich Böll gesehen habe. Böll hatte Sinjawski seinerzeit empfangen wie auch Alexander Solschenizyn und Lew Kopelew. Vermutlich hat er die beiden dadurch gerettet, denn in der Sowjetunion war Bölls Meinung gefürchtet.

Immerhin war er Nobelpreisträger und eine Autoritätsperson. Deshalb konnte man diese Dissidenten in der Sowjetunion nicht einfach an die Mauer stellen, wie man es früher mit Mandelstam getan hat. Ihn hat keiner in Schutz genommen. Das kommt, denke ich, auch in meinen Porträts zum Ausdruck. Ob Saint-Exupéry, Kafka, Böll oder Sacharow: Es sind alles Menschen, die den Schmerz ihrer Zeit spüren konnten.

Aufgezeichnet von Matilda Jordanova-Duda

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