Hameln

Hoffnung auf Rückkehr

Zwischen Freude und Trauer liegen bei den Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde von Hameln nur neun Tage. Am vergangenen Sonntag standen Rebekka Dohme und Amitai Yareev Schleier unter der Chuppa – eines der ersten jungen Paare seit langer Zeit. Doch am kommenden Montag steht ein trauriges Ereignis an: Die Familie Mima, »die unser Gemeindeleben so bereichert« – wie die Vorsitzende Rachel Dohme sagt –, soll nach Albanien abgeschoben werden.

Fast alle Gemeindemitglieder nahmen an der Hochzeitszeremonie teil, die Rabbinerin Irit Shillor in der Synagoge leitete. »Das ist unsere erste Hochzeit von jungen Leuten in unserer vor wenigen Jahren eingeweihten Synagoge«, sagt Gemeindechefin Rachel Dohme, die Mutter der Braut. Ihre Tochter hatte schon in Chicago ihrem Ehemann das Jawort gegeben, aber sie wollte unbedingt in der Gemeinde, in der sie groß geworden ist und in der sie auch als Kantorin gewirkt hat, unter der Chuppa stehen.

Vor ein paar Jahren hatte Rebekka Dohme eine CD mit Liedern zu Schabbat aufgenommen, von deren Erlös die neue Synagoge auch mitfinanziert wurde. Nun konnte sie in diesem Haus heiraten. Ebenso wichtig war es ihr, mit den Mitgliedern zusammen zu feiern.

Davidstern Unter den Gästen war auch die Familie Mima aus Albanien. Der 39-jährige Vater, Stelian, hatte seinem Sohn Samuel einen Davidstern in die Haare hineingeschnitten: »Ich wollte Freude und Lächeln verursachen«, so Stelian Mima. Selbst hat er im Moment wenig Grund zur Freude: Am kommenden Montag wird der jüdische Albaner mit seiner Familie abgeschoben – sein Antrag auf Asyl wurde abgelehnt, sagt Rachel Dohme.

Kaum ein Gemeindeblatt erschien in den vergangenen Monaten, in dem die beiden Kinder Samuel und Greta nicht abgebildet waren. Die Kleinen und ihre Eltern waren bei den Ausflügen fast immer dabei, verpassten keinen Gottesdienst und keine Unterrichtsstunde. »Samuel stand oft neben mir auf der Bima, wenn ich einen Gottesdienst leitete«, so Dohme.

Die Familie war auch beruflich gut integriert und galt in der Gemeinde als große Bereicherung, sodass es schon Überlegungen gab, ihnen Synagogenasyl zu gewähren. »Aber ich habe mich aufklären lassen, dass es nicht gut für die Familie wäre«, meint die Vorsitzende. Es sei besser für sie, den offiziellen Weg einzuschlagen und von Albanien aus eine Rückkehr nach Deutschland zu beantragen. Das haben die Eltern nun auch vor: Sie werden in ihr Haus in Elbasan im Zentrum Albaniens zurückkehren und auf einen Termin in der deutschen Botschaft warten, um dann legal nach Deutschland zurückzukehren. Mit im Gepäck haben sie sogenannte Unterstützerbriefe, damit die Mitarbeiter der Botschaft sehen, dass eine Rückkehr nach Hameln den Steuerzahler nichts kosten würde.

Landrat Vor mehr als einem Jahr kamen die vier Albaner in Deutschland an und wurden erst einmal in das Auffanglager Friedland gebracht. Mima habe in Albanien vor den Wahlen Schriften verfasst und sich für eine Partei engagiert, die der Opposition angehört – so stehe es in den Akten, berichtet Tjark Bartels (SPD), Landrat von Hameln-Pyrmont.

»Ich hatte Angst«, sagt Mima. Deshalb fassten er und seine Frau den Entschluss, ihre Heimat zu verlassen. Im Auffanglager Friedland begegneten sie Mitarbeitern der Kirche, die Stelian Mima fragten, ob er Muslim oder Christ sei, was er nicht beantwortete, sondern sich lieber abwendete und schwieg. Nach zwei Wochen traute er sich endlich und erklärte, er sei jüdisch – so berichtet es Rachel Dohme.

»Ich hörte, wie jemand ›Samuel‹ rief, und drehte mich um«, erzählte ein Gemeindemitglied, das mit Vornamen ebenfalls Samuel heißt, der Gemeindechefin. Aber nicht er war mit dem Ruf auf der Straße gemeint, sondern der vierjährige Sohn der Mimas. Das Gemeindemitglied trug eine Kippa, und Mima fragte nach der Synagoge. Zu fünft gingen sie zum Gotteshaus. Seitdem gehörten die vier Albaner wie selbstverständlich zur Jüdischen Gemeinde Hameln. »Herr Mima kennt sich mit der Liturgie aus, er kennt viele Gebete und spricht etwas Hebräisch«, so Rachel Dohme.

»Diese Familie würden wir gerne hier behalten«, sagt auch Landrat Bartels. Sie falle dem Steuerzahler nicht zur Last, da beide Eltern arbeiten. Denisa Mima wurde ein Ein-Euro-Job in einem städtischen Kindergarten angeboten. Dort machte die 28-Jährige einen so guten Eindruck, dass ein fester Arbeitsvertrag folgte. Stelian hat ebenfalls feste Arbeit bei der Firma Dohme, die Champignons züchtet. Die achtjährige Tochter Greta besucht die Schule, Samuel den Kindergarten. Mittlerweile haben alle auch etwas Deutsch gelernt, verständigen sich aber überwiegend noch auf Englisch.

Herkunftsland Die Familie sei mehrfach auch beim Landrat gewesen, in der Hoffnung, dass er ihnen helfen könne. Aber: »Albanien gilt als sicheres Herkunftsland, da ist es nahezu aussichtslos, Asyl zu bekommen«, so Tjark Bartels. Die »Ausreisepflichtigen« wollen nun signalisieren, dass sie bereit sind, freiwillig auszureisen und diesen Flug aus eigener Tasche zu bezahlen – damit sie bei der Deutschen Botschaft bessere Karten haben, wenn sie ihren Antrag auf ein »Visum zur Arbeitsaufnahme« stellen. Der Landkreis Hameln werde auf jeden Fall zustimmen und ist jetzt schon dabei, einen Termin für die Familie festzuklopfen, sagt der Landrat. »Ob das klappt, liegt leider im Ermessen der Mitarbeiter der Deutschen Botschaft in Albanien.«

Für Stelian und Denisa Mima würde mit ihrer Rückkehr ein Traum in Erfüllung gehen. Sie könnten in Sicherheit leben und offiziell zum Judentum übertreten. Denn obwohl die Vorfahren von Stelian Mima, wie er sagt, seit mehr als vier Generationen jüdisch sind, fehlen ihm dafür die Nachweise – was für Albanien nicht ungewöhnlich ist, weil es dort derzeit keine offizielle jüdische Gemeinde gibt. Koscheres Essen ist ebensowenig erhältlich. Eine Synagoge wurde 2010 in der Hauptstadt Tirana eingeweiht, aber recht bald wieder geschlossen.

Erst 2012 eröffnete Israel in Tirana eine Botschaft. Das Judentum in Albanien hat zwar eine lange Geschichte – die ersten Juden siedelten sich in der Spätantike an, und während der Schoa fanden viele Juden dort Schutz. Doch 1967 erklärte sich die Sozialistische Volksrepublik Albanien zum atheistischen Staat. Die Religionsausübung wurde verboten; das Verbot wurde erst 1990 aufgehoben. Heute leben nur noch ein paar Dutzend Juden in dem Land. Die Mehrheit ist längst ausgewandert.

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025

Jüdische Kulturtage Berlin

Broadway am Prenzlauer Berg

Vom Eröffnungskonzert bis zum Dancefloor werden Besucherrekorde erwartet

von Helmut Kuhn  13.11.2025

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025