Oberfranken

Hof gibt Hoffnung

Im Foyer des Theaters: Organisatorin Gisela Strunz (l.) zeigt Zentralratspräsident Josef Schuster die Schülerarbeiten. Foto: Thomas Neumann

»Stellt euch vor, ihr sitzt mit euren Eltern beim Abendessen daheim, und dann kommen Leute, die eure Eltern mitnehmen, und ihr seht sie nie wieder.« Da herrscht kurz Stille, als sich Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, an die Hofer Jugendlichen im Raum wendet: »Schüler, so alt wie ihr heute, wurden in Viehwaggons gesteckt, mussten Zwangsarbeit leisten, haben mit angesehen, wie ihre Eltern erschossen wurden; sie konnten keinen Abschied nehmen.«

Reden die Juden zu viel über den Holocaust? Auch diese Frage stellte der Zentralratspräsident bei seinem Hof-Besuch in den Raum, um sie zunächst statistisch zu beantworten: »41 Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass dem so ist.« Josef Schuster stellte dann klar: »Nein, wir reden nicht zu viel über den Holocaust. Wir haben viel zu lange viel zu wenig gesprochen. So haben leider viele Menschen nicht die richtigen Schlüsse aus der Geschichte gezogen.«

Umfragen Das sagte Schuster vor dem Hintergrund von 20 Millionen Deutschen, die aktuellen Umfragen zufolge antisemitische Gedanken hegen. Schuster war gemeinsam mit Präsidiumsmitgliedern des Zentralrats der Juden in Bayern am Mittwochabend in Hof zu Besuch. Er war in die Stadt in Oberfranken gekommen, um die umfangreichen Bemühungen der Hofer gegen Antisemitismus auszuzeichnen.

Erschienen waren Vertreter vieler Hofer Schulen, die sich an einem Schülerwettbewerb zum Thema Antisemitismus beteiligt hatten..

Nach einer Unterredung mit Oberbürgermeister Harald Fichtner (CSU) trug sich Schuster im Rathaus in das Goldene Buch der Stadt ein. Im Anschluss ging es für den Zentralratspräsidenten weiter in das städtische Theater. »Es freut mich wirklich, dass es geklappt hat«, sagte er in die Runde. Er stand im Foyer des Theaters Hof vor 100 geladenen Gästen: Erschienen waren Vertreter vieler Hofer Schulen, die sich im vergangenen Jahr an einem Schülerwettbewerb zum Thema Antisemitismus beteiligt hatten.

Auch Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde, von Stadt und Landkreis sowie aus der Hofer Kulturszene waren dabei. Hier hatten sich all jene versammelt, die sich Gedanken machen über wachsende antisemitische Tendenzen in Bayern und Deutschland, über zunehmenden Rassismus und immer mehr Intoleranz.

GEGENENTWURF Der Hofer Gegenentwurf zum um sich greifenden Hass: Aufklärung und Bildung, Gespräche und Zusammenhalt. Und Mut, auf die ganze Grausamkeit der Entwicklung aufmerksam zu machen, die sich gerade deutlich im Land zeigt. »Es gibt nichts, womit man meine Welt vergleichen könnte, es ist eine Welt für sich, eine satanische Welt.« So zitierte die Gymnasiastin Hannah Volkmann die Hofer Jüdin Käthe Franken, die Deportation und KZ überlebte.

Und ihre Klassenkameradin Jule Herzig fragte sich: »Bin ich schuldig? Ich bin Teil einer Gesellschaft, die ein Antisemitismus-Problem hat.« In der Hofer Altstadt, durch die sie heute unbedarft spaziere, hingen vor 80 Jahren Hakenkreuz-Flaggen. »Ich bekomme Panik, wenn ich daran denke.« Die Erkenntnis, die sie für sich daraus gezogen hat: »Es ist meine Aufgabe, nicht die Augen vor Antisemitismus zu verschließen.«

»Die bittere Wahrheit ist: Es kann wieder passieren.«

Die beiden Schülerinnen sind zwei von acht Gymnasiastinnen des Reinhart-Gymnasiums, die für den Wettbewerb eine literarisch-künstlerische Annäherung an den Leidensweg der Hofer Familie Franken ausgearbeitet haben. Optisch flankiert von großformatigen Kohlezeichnungen der Familienmitglieder, akustisch untermauert von Cello-Ensemble und Oberstufenchor, haben die Beteiligten ein Gesamtkunstwerk geschaffen, das sie nun zum wiederholten Mal aufführen.

Diesmal für Josef Schuster und die anderen Ehrengäste. Sie wollen damit zeigen, wie sich Hof gegen Antisemitismus einsetzt. Das wirkt: In kaltes Licht getaucht, mit viel greifbarer Stille zwischen den Worten, entfalten die Monologe der Mädchen ihre fürchterliche Kraft.

»Die bittere Wahrheit ist: Es kann wieder passieren«, mahnte zuvor der Zentralratspräsident in seiner Rede. Sechs Millionen Menschen haben die Nazis ermordet, »minutiös und von langer Hand geplant«. Und die große Mehrheit der Deutschen habe die Augen verschlossen und geschwiegen. Und auch jetzt beschleiche ihn das Gefühl: »Das Fundament ›Nie wieder!‹, von dem wir bislang ausgegangen sind in Deutschland – es ist eventuell doch nicht so stabil wie gedacht.«

»Wer sich nicht mehr an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.« Zentralratspräsident Josef Schuster

Antisemitismus sei weltweit wieder ein Kassenschlager. Das ungute Gefühl, dass die Vergangenheit sich wiederholen könnte, sei in den jüdischen Gemeinden gegenwärtig. »Wer sich nicht mehr an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen«, sagte der Zentralratspräsident.

HALLE Ursprünglich wollte Schuster bereits zur Preisverleihung des Schülerwettbewerbs im November nach Hof kommen, um sich mit den Jugendlichen zu treffen. Er musste dann aber kurzfristig nach dem rechtsextremistischen Terroranschlag auf die Synagoge in Halle absagen. Der Besuch in Oberfranken lag dem Zentralratspräsidenten besonders am Herzen. Hof war in der NS-Zeit eine der ersten Städte, die als »judenrein« galten – keiner der 160 jüdischen Hofer, die hier 1933 lebten, war sieben Jahre später noch in Hof.

Warum man sich heute für dergleichen interessieren sollte? »Weil wir eine Verantwortung für künftige Generationen haben«, sagte Schuster. An die Hofer gerichtet, betonte er: »Es sind Initiativen wie diese, die mir Hoffnung geben.« Eine derartige Form der Aufarbeitung, einen solchen Schülerwettbewerb habe er noch nie erlebt – dass sich eine ganze Stadt dem Thema verschrieben hat, freute ihn sichtlich.

Dabei machte er auch klar: »Diejenigen, die sagen, Antisemitismus kommt viel von Muslimen, die seit 2015 ins Land gekommen sind, mögen Recht haben. Aber Antisemitismus gab und gibt es auch unter den Alteingesessenen.« Dabei sei im Grunde völlig egal, wer sich warum gegen Juden wende. »Hauptsache, man tut etwas dagegen.« Die Vielzahl an Personenschützern und Polizisten, die für den Besuch das Theater sicherten, sprach für sich.

Sicherheit Schuster lobte die Schüler, Lehrer und Initiatoren der Aktion. »Ihr habt euch auf Schwieriges eingelassen, ihr habt verantwortlich gehandelt!«

Eingeladen hatte die Hermann-und-Bertl-Müller-Stiftung auf Initiative ihrer Vorsitzenden Gisela Strunz. Ausgangspunkt der Recherchen der Hofer Schüler war eine Studie der Stiftung. In der Untersuchung hatte ein Historikerteam die Schicksale von jüdischen Familien in der oberfränkischen Stadt während der NS-Herrschaft nachgezeichnet.

»Uns war wichtig, dass diese Studie nicht nur ein kleines akademisches Publikum anspricht, sondern vor allem die Jugendlichen erreicht, durch die Auseinandersetzung mit dem ganz konkreten lokalen Bezug«, erklärte Gisela Strunz. Auch Oberbürgermeister Fichtner äußerte wiederholt seine Bewunderung für den Einsatz und das Engagement der Beteiligten. Er betonte: »Hof ist die Stadt der Freiheit! Das ist uns nicht erst seit 1989 Verpflichtung.«

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