Ukraine-Hilfe

Hier kocht der Rabbi

Zwölf Quadratmeter. So groß ist die Küche der sefardischen Synagoge Tiferet Israel an der Passauer Straße, wenn Rabbiner Reuven Yaacobov allein am Herd steht. Zwölf Quadratmeter – so klein ist sie, wenn drei bis vier Leute täglich in diesem Raum koscheres Essen für etwa 60 ukrainische Geflüchtete kochen. Mit einem Auto werden die Speisen in das provisorische Flüchtlingsheim in Reinickendorf gebracht. Mitarbeiter des Cateringservice Milo übernehmen das Kochen.

»Wir suchen dringend eine größere Küche, gerne in einem Hotel, die wir nutzen können, um die Flüchtlinge weiter zu versorgen«, sagt der Rabbiner, der sich eine schwarze Schürze umgebunden hat. Denn die Synagoge komme kurz vor Pessach an ihre Grenzen, zumal sie auch noch gekaschert werden muss. Sie würden auch für die Betriebskosten aufkommen.

Anna Pavlenko möchte den Flüchtlingen schöne Stunden schenken.

An diesem Aprilsonntag hat Rabbiner Reuven Yaacobov den großen Kochtopf auf die heiße Platte gestellt. Vergnügt öffnet er die Flasche mit dem Sesamöl und lässt es langsam in den erhitzten Topf laufen. Es ist zehn Uhr am Vormittag, und um 15 Uhr möchte er mitsamt dem Essen in Potsdam in einem Flüchtlingsheim sein. »Bis dahin ist alles fertig«, verspricht er.

Anna, eine Beterin der Gemeinde, hatte unlängst Geburtstag und möchte ihn mit Flüchtlingen nachfeiern, um ihnen schöne Stunden zu schenken. Die 34-Jährige ist vor 20 Jahren aus dem ukrainischen Charkiw nach Berlin gekommen. Nun hat ihr der Rabbiner versprochen, für die 60 Leute zu kochen, die in diesen Tagen aus ihrer Heimatstadt geflohen sind.

URGROSSVATER In einer großen Plastikschale liegen klein geschnittene Möhren. Der Reis wartet noch in Beuteln, ebenso Chillischoten, Knoblauch und das Lammfleisch. Es gibt Plov. »Leider habe ich nicht immer so viel Zeit, aber wo ich helfen kann, mache ich es gerne«, so der Rabbiner. Sein Urgroßvater habe in Usbekistan während des Ersten Weltkrieges jeden Tag Essen für 1000 Flüchtlinge zubereitet. Auf einer Feuerstelle hatte er einen überdimensionalen Topf und täglich das gleiche Gericht gekocht – ebenfalls Plov. »Und nun stehe ich am Topf in der Küche und mache es ihm nach. Jetzt bin ich dran.« Sein Urgroßvater sei ein reicher Mensch gewesen und habe täglich ein Tier geschlachtet, um genügend Fleisch zu haben.

Die täglichen Speisen für die Geflüchteten in Reinickendorf werden über Spenden finanziert. Sie stammen von Betern, »guten Menschen und dem lieben Gott«. Auch Kunden des KaDeWe, das gegenüber der Synagoge liegt, sind häufiger großzügig. »Im Sommer lassen wir immer die Fenster offen, und dann hören sie unseren Gesang und kommen nachfragen«, berichtet Reuven Yaacobov, während er mit einem scharfen Messer das Lammfleisch von den Knochen auslöst.

Ein älterer Herr habe einmal das Gespräch mit ihm gesucht und erzählt, dass sein Vater Rabbiner der Synagoge Passauer Straße 2 war – die in der Pogromnacht geschändet und später abgerissen wurde. »Sie heißen nicht Rabbi der Passauer Straße, sondern Sie sind der KaDeWe-Rabbiner«, habe er zu ihm gesagt, erzählt Yaacobov. Denn so habe es früher geheißen. »Aber wir sind natürlich nicht so groß wie die vorherige Synagoge.«

Zu Pessach haben sowohl die Beter als auch die Flüchtlinge Pakete mit koscherem Fleisch, Schokolade, Wein und Mazzot erhalten. Zwei bis drei Tage wird das Kaschern in Anspruch nehmen. Mittlerweile haben Geflüchtete gefragt, ob sie mit anpacken könnten. »Sie helfen uns nun bei den Vorbereitungen zum Kochen.«

KOCHEN »Das Sesamöl gibt ein gutes Aroma«, sagt Rabbiner Yaacobov und lässt eine ganze Zwiebel in den Topf gleiten. Als er zehn Jahre alt war, fand sein Vater, dass er Kochen lernen sollte. Er meinte damals zwar spontan, dass doch seine spätere Frau oder Schwiegermutter am Herd stehen könnte. Aber der Vater ließ das nicht gelten, denn seine Mutter war so krank, dass sie nichts mehr machen konnte. »Seit 30 Jahren koche ich nun.« Und: »Fürs Kochen muss man gute Laune haben.« Die hat er an diesem Tag.

Aber dann wird er ernst und berichtet von den Flüchtlingen. Mit den Kindern, die aus Charkiw geflohen sind, wollten die Beter in den Zoo gehen. Als sie bei den Elefanten waren, flog ein ADAC-Hubschrauber über die Anlage. Die Kinder erschraken und legten sich sofort auf den Boden. »Sie sind seelisch zerstört«, sagt der Rabbiner. Mehrmals war er am Hauptbahnhof. Er sei auch öfters im Stadion und spreche mit den Flüchtlingen.

Zu Pessach erhalten die Flüchtlinge Schokolade, Mazzot und Wein.

Klein geschnittene Zwiebeln lässt er nun in den Topf fallen. Dazu kommen die Knochen des Lamms. »Sie geben dem Essen den Geschmack«, so Yaacobov. Eine Handvoll Möhren folgt. Er rollt das Fleisch aus und tupft es mit einem Tuch ab. Dann schneidet er es klein und wirft die Fleischstückchen in den Topf. Zwei Kilo hatte er besorgt. Wenn die Poren geschlossen sind, kommen die Gewürze. Mehrere Löffel Salz, frisch gemahlener Pfeffer. Schließlich nimmt er Kreuzkümmel in die Hand und reibt ihn, sodass er warm wird und seinen Duft entfalten kann. Die zwei Beutel Reis werden in eine Schale ausgeschüttet, dazu kommen kochendes Wasser und Curry.

SCHÄRFE In den Kochtopf wirft er Knoblauch, Rosinen, Berberitzen und gelbe, rote sowie grüne Peperoni. »Da muss ich immer aufpassen, denn wenn sie an einer Stelle offen sind, wird das Essen ungenießbar scharf, sie müssen geschlossen sein.« Eine halbe Stunde muss das Fleisch nun ziehen, damit es weich wird. Dann kommen noch die restlichen zwei Kilo Möhren dazu und der Reis oben drauf. Später müssen Knochen, Chilischoten und Knoblauch wieder raus, denn sie haben dann ihren Dienst getan. Zusätzlich werden Lachs und Salzgurken aufgetischt.

»Wenn ich mit dem Essen in Potsdam ankomme, ist der Tisch schon gedeckt«, sagt Yaacobov. Anna Pavlenko kommt zur Synagoge, um den Rabbiner abzuholen. Sie freut sich über das duftende Essen und ist voller Vorfreude auf die Feier.

Manchmal werde er gefragt, warum er sich so engagiere – übrigens auch für Nichtjuden. »Ich bin ein Mensch«, sagt Reuven Yaacobov dann. Und wenn er Kindern helfen kann und die sich freuen, dann ist auch er glücklich. »Dieses Gefühl kann man nicht kaufen.« Am Abend berichtet Anna Pavlenko: »Es waren schöne Stunden für uns alle.«

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