Porträt der Woche

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André Bibo ist Polizist und wuchs in einem West-Berliner kommunistischen Elternhaus auf

von Gerhard Haase-Hindenberg  13.09.2020 17:35 Uhr

»Ich wurde spät Gemeindemitglied«: André Bibo (71) lebt in Berlin. Foto: Gregor Zielke

André Bibo ist Polizist und wuchs in einem West-Berliner kommunistischen Elternhaus auf

von Gerhard Haase-Hindenberg  13.09.2020 17:35 Uhr

Auf welche Weise ich erfahren habe, dass wir Juden sind, kann ich gar nicht genau sagen. Meine Großmutter wird es mir sicher erzählt haben, aber da war ich noch sehr klein. Irgendwie lief das in meiner kommunistischen Familie immer so nebenbei mit.

Wenn wir das Grab der Oma besuchten, gingen wir ja hier in Berlin nach Weißensee auf den Jüdischen Friedhof, wo man eine Kippa tragen musste. Außerdem wurde bei uns zu Hause auch über jene Zeit gesprochen, als meine Eltern in einem Haus im Wald bei Alt-Hüttendorf unweit von Joachimsthal versteckt waren.

Meine Mutter war Schneiderin und nähte für die Bauern der umliegenden Dörfer, von denen bis auf eine Großbäuerin niemand wusste, dass sie Jüdin ist. Sie wurde für ihre Arbeit mit Lebensmitteln bezahlt. Mein Vater täuschte eine Arbeitsstelle in Berlin vor, indem meine Mutter ihn montagsfrüh zur Bahn begleitete und freitags wieder abholte. Tatsächlich aber hatte er sich nachts zu dem Haus im Wald zurückgeschlichen und sich, wenn Leute kamen, in einem mit einem Teppich verhängten Verschlag versteckt.

Meine Eltern überlebten die Schoa versteckt in einem Haus im Wald bei Berlin.

Es war vor allem meine Mutter, die darüber gesprochen hat, mein Vater hat diese Zeit eher verdrängt. Sie aber musste darüber reden, da sie zutiefst traumatisiert war. Immer wieder hatte sie nachts Albträume, und bis ins hohe Lebensalter kam es vor, dass sie die Vorhänge zuzog und tagelang von Depressionen geplagt im Bett lag. Sie war als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt – im Gegensatz zu meinem Vater. Ihm verweigerte man die Opferrente wegen seiner Tätigkeit als kommunistischer Parteifunktionär.

Als ich schon erwachsen war, habe ich mit meinen Eltern und meinem kleinen Sohn jenes Haus im Wald besucht, wo sie im Mai 1945 von Soldaten der Roten Armee befreit wurden.

FAMILIE Mein Vater war schon vor der Nazi-Herrschaft Kommunist, meine Mutter ist erst nach dem Krieg in die Partei eingetreten, wenngleich sie auch vorher schon Sympathien hegte. Die ganze Familie meines Vaters war kommunistisch und jüdisch.

Die jüdische Mutter meiner Mutter, also meine Oma, war nicht kommunistisch, aber eine sehr fortschrittlich denkende Frau. Sie war nach Jugoslawien emigriert, wo sie ursprünglich mit meinem Großvater gelebt hatte. Während der deutschen Besetzung war sie zeitweilig in einem Konzentrationslager inhaftiert. Sie hat überlebt und war nach Berlin zurückgekehrt.

Meine Großmutter war keine fromme Frau, aber ihr habe ich wohl zu verdanken, dass ich im Jüdischen Krankenhaus, wo ich 1949 geboren wurde, beschnitten wurde.

Sie ist keine fromme Frau gewesen, aber ihr hatte ich wohl zu verdanken, dass ich im Jüdischen Krankenhaus, wo ich im Dezember 1949 zur Welt kam, beschnitten wurde. Bei ihr spürte ich als Kind auch, dass es da noch etwas anderes gab als das kommunistische Weltbild meiner Eltern. Meine Oma benutzte zum Beispiel noch jiddische Worte. Allerdings verstarb sie, noch bevor ich eingeschult wurde. So war jenes kommunistische Weltbild der prägendste Eindruck in meiner Kindheit.

Wir wohnten in Berlin-Kreuzberg, und mein Vater war hauptberuflicher Parteifunktionär der auch in West-Berlin tätigen SED. Später, als die Partei Sozialistische Einheitspartei Westberlins (SEW) hieß, war er der Vorsitzende des Kreisbezirks Wilmersdorf. Er wurde auch zum Vorsitzenden der VVN, der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes« gewählt, was er viele Jahre blieb.

Ich war als Kind bei den Pionieren und später bei der FDJ West-Berlins. Und als am 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg erschossen wurde, trat ich in die Partei ein. Meine Eltern hatten mich nicht dazu gedrängt, das war ein freier Entschluss infolge dieses tragischen Ereignisses.

ISRAEL Zu dieser Zeit gab es jemanden, der als mein »Patenonkel« bezeichnet wurde und der in der jüdischen Gemeinde war. Er war einer der wenigen Freunde meiner Eltern, der kein Kommunist war. »Onkel Alfred« war Unternehmer und nicht besonders fromm, aber er hatte seinem Vater am Sterbebett versprochen, an Jom Kippur immer in die Synagoge zu gehen. Daran hat er sich gehalten.

Das kommunistische Weltbild war der prägendste Eindruck in meiner Kindheit.

Mit ihm konnte ich über Dinge sprechen, die bei uns zu Hause nicht üblich waren. Von diesem Onkel habe ich zwei Kippot und seinen Tallit geerbt, aber da ich nie eine Synagoge besuche, brauche ich das eigentlich gar nicht. Seine Frau habe ich später, als sie schon verwitwet war, einmal zum Chanukka-Ball begleitet und auch zu Veranstaltungen der WIZO. Auf diese Weise habe ich sehr interessante Leute kennengelernt.

Ich erinnere mich, dass meine Eltern und auch ich uns mit Onkel Alfred in den 60er-Jahren mal über Israel in die Haare gekriegt haben. Durch diesen Streit aber habe ich erstmals eine andere Sicht auf dieses Land kennengelernt, auch wenn ich sie nicht gleich verstanden habe.

Als ich dann viele Jahre später mit der Gewerkschaft der Polizei erstmalig nach Israel reiste, war mir zwar alles neu, aber überhaupt nicht fremd. Es ist schwer zu beschreiben, aber ich habe mich vom ersten Moment an heimisch gefühlt.

MAUERFALL Nach dem Abschluss der Realschule hatte ich eine Lehre als Fernmeldemechaniker bei der Deutschen Reichsbahn absolviert, die damals auch in West-Berlin zur DDR gehörte. Danach habe ich in Abendkursen eine Art technisches Fachabitur gemacht.

Eigentlich wollte ich studieren, kam dann aber Mitte der 70er-Jahre durch meinen heutigen Schwager zur Bahnpolizei, die kurioserweise ebenfalls der DDR unterstand. Um als Bahnpolizist die Betriebsabläufe zu verstehen, habe ich noch einen Facharbeiterabschluss im Bereich »Betrieb und Verkehr« gemacht und war dann viele Jahre als Diensthundeführer tätig.

Durch meine Tätigkeit bei der Bahnpolizei hatte ich Einblicke in ein ganz normales Arbeiterleben in einem DDR-Betrieb. Wenn meine Eltern aus einem der Erholungsheime des FDGB von einem relativ privilegierten Urlaub nach Hause kamen und in höchsten Tönen von der DDR erzählten, sagte ich oft zu meinem Vater: »Wir reden von zwei verschiedenen Ländern.«

In den Jahren vor dem Mauerfall hatten wir dann viele, teils heftige politische Auseinandersetzungen, bis ich mich in der Wendezeit aus der kommunistischen Bewegung verabschiedet habe. Den Mauerfall aber hatte mein Vater nicht mehr erlebt.

Nach wie vor sitze ich als Gewerkschaftsvertreter im Hauptpersonalrat der Polizei.

Zur Wiedervereinigung Deutschlands wurde die Bahnpolizei in dieser Form aufgelöst. Kurz zuvor hatte ich noch mitgeholfen, einen Betriebsrat zu gründen. Wir hatten nun die Möglichkeit, uns beim Bundesgrenzschutz zu bewerben, was ich auch tat. Wir wurden natürlich von der Stasi-Unterlagenbehörde durchleuchtet. Schließlich bin ich angenommen und nach einiger Zeit in den Personalrat gewählt worden. Danach war ich bis zu meiner Pensionierung Dienstgruppenleiter.

Nach wie vor sitze ich als Gewerkschaftsvertreter im Hauptpersonalrat der Polizei und auch im Aufsichtsrat der Polizeistiftung des Bundes, was ein reines Ehrenamt ist.

RÜCKKEHR Nach der Wende hatte meine Mutter mit zittriger Hand einen Brief an die Partei verfasst, die nun in die PDS übergegangen war, und ihren Austritt erklärt. Plötzlich erklärte sie mir, sie sei als junge Frau nur wegen unseres Vaters aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten.
Da sie in der Nähe des jüdischen Seniorenklubs wohnte, war sie dort immer vorbeigekommen.

Eines Tages hat sie den Wachpolizisten angesprochen, der sie einließ. Fortan besuchte sie diesen Seniorenklub regelmäßig, hörte sich die Vorträge an und lernte jüdische Menschen kennen. In ihrem hohen Alter begann sie sogar noch, an der Volkshochschule Russisch zu lernen. Nach einiger Zeit wurde sie wieder Mitglied der jüdischen Gemeinde – und ich kurz danach auch. Da meine Mutter in der Gemeinde war, ging das bei mir problemlos.

Wir sind auch einmal zusammen nach Israel gereist, und meine Mutter war von Land und Leuten total begeistert. Vor allem, als sie eine Berliner Jüdin kennenlernte, die vor der Schoa in derselben Straße gelebt hatte, in der sie selbst nun wohnte, entstand zwischen den beiden alten Damen eine wunderbare Freundschaft.

Inzwischen bin ich auch in die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) eingetreten, besuche dort Foren, bei denen ich versuche, mich einzubringen. Beim Israeltag bin ich regelmäßig am Infostand zu finden, wo ich gern auch mal diskutiere. Und seit einiger Zeit bin ich einer der Kassenprüfer. Meine Aktivitäten sind eben inzwischen etwas altersgerechter.

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