Halle

Hakenkreuze und Heil-Hitler-Rufe

Wenige Wochen vor Beginn des Prozesses gegen Synagogen-Attentäter mehren sich judenfeindliche Übergriffe

 11.06.2020 10:43 Uhr

Gemeindechef Max Privorozki Foto: dpa

Wenige Wochen vor Beginn des Prozesses gegen Synagogen-Attentäter mehren sich judenfeindliche Übergriffe

 11.06.2020 10:43 Uhr

Die sachsen-anhaltinische Stadt Halle kommt nicht zur Ruhe. Am Mittwoch vergangener Woche beleidigte ein 41-Jähriger auf dem Marktplatz mehrere Passanten antisemitisch und schlug einen Mann. Der Hallenser habe am Nachmittag mehrere Menschen als »Judensau« bezeichnet. Als er von einem Passanten daraufhin angesprochen und zum Unterlassen der Äußerungen aufgefordert wurde, habe der Mann »Heil Hitler« gerufen und dem 28-Jährigen ins Gesicht geschlagen.

Die zweite jüdische Gemeinde in der Stadt, die Synagogengemeinde in Halle, hatte erst vor wenigen Tagen einen Hassbrief mit beleidigendem und volksverhetzendem Inhalt erhalten.

ATTENTÄTER Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki, versteht die Welt nicht mehr. Tage zuvor hatte der Synagogenattentäter Stephan B., der in der JVA Roter Ochse einsitzt, einen Fluchtversuch unternommen. Minutenlang habe er sich offenbar unbeobachtet auf dem Gelände der JVA bewegen können.

Er soll in einem Innenhof über einen 3,40 Meter hohen Zaun geklettert sein. Dabei habe er wohl auch versucht, einen Gullydeckel zu heben. Die Beamten konnten ihn den Angaben zufolge anschließend widerstandslos in Gewahrsam nehmen.

Es sei wie ein Wunder, dass es wieder eine Tür war, die zum richtigen Zeitpunkt verschlossen war und Schlimmeres verhinderte, sagt Max Privorozki.

Die Tatsache, dass der Fluchtversuch erst drei Tage später bekannt geworden ist, beunruhige ihn, sagte Max Privorozki der Jüdischen Allgemeinen. Die Leitung der JVA äußerte sich wiederum Tage später zu dem Vorfall mit der Angabe, sie habe selbst erst drei Tage später aus einem Protokoll von dem Vorfall erfahren.

TÜREN »Ich erwarte Konsequenzen. Welche, darüber muss die Landesregierung entscheiden. Dass so etwas passieren kann, ist absolut unmöglich«, sagt Privorozki. Es sei wie ein Wunder, dass es wieder eine Tür war, die zum richtigen Zeitpunkt verschlossen war und so verhindert hat, dass der Attentäter fliehen konnte. Die Situation irritiere ihn umso mehr, da die Jüdische Gemeinde nach dem Anschlag am 9. Oktober 2019 viel Solidarität erfahren habe.

»Ich war damals wirklich sehr positiv überrascht«, bekundet der Gemeindevorsitzende. »Jetzt bin ich ein wenig erschrocken darüber, in welchem Zustand die Sicherheitsorgane und die Sicherheitskräfte sind. Das macht mich sprachlos.« Auch wenn es einen absoluten Schutz nie geben könne, so sei er dennoch besorgt um die Sicherheit der Gemeinde. »Wir haben – das sage ich in aller Offenheit – noch nicht den Status der Sicherheit erreicht, der leider notwendig wäre.«

PROZESSBEGINN Ab 21. Juli soll der Prozess gegen Stephan B. beginnen, bei dem er als Nebenkläger auftreten wolle, sagt Privorozki. Er hofft, dass dies positiv entschieden wird. »Denn ich möchte verstehen, wie sich ein Mann zu einem Attentäter entwickeln kann.« Es gehe nicht nur um Halle, sondern auch um Terroranschläge wie die in Marseille, Paris oder in Israel und London. »Ich hoffe, dass ich im Rahmen des Prozesses darauf Antworten bekommen kann.«

Sachsen-Anhalts Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) hat inzwischen die JVA Halle für den Fluchtversuch von Stephan B. verantwortlich gemacht. Diese habe eigenständig die Haftbedingungen gelockert und damit seinen Fluchtversuch ermöglicht, teilte Keding am Dienstag mit. Die JVA-Beamten sind in anderen Bereichen eingesetzt worden.

Zudem hatte am 31. Mai und am 2. Juni ein inzwischen ermittelter 64-jähriger Mann vor einem Gebäude der Jüdischen Gemeinde aus einem Zellstofftaschentuch gefertigte Hakenkreuze abgelegt. Der Mann war aufgrund einer Videoaufnahme von Polizisten auf der Straße wiedererkannt und vernommen worden. In dem Zusammenhang wurden auch Ermittlungen gegen einen Polizeibeamten wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt eingeleitet. Er soll am 2. Juni das Hakenkreuz entfernt und nicht gemeldet haben. Der Polizist wurde in eine andere Dienststelle versetzt. ja/epd/dpa

Oldenburg

27-Jähriger gesteht Anschlag auf Synagoge

Nachdem der Fall bei »Aktenzeichen XY ... Ungelöst« behandelt wurde, bekam die Polizei den entscheidenden Hinweis

 25.01.2025

Porträt der Woche

Liebe auf den ersten Blick

Lior Hoffman ist Israeli, begeisterter Lichtdesigner und Opernfan

von Alicia Rust  25.01.2025

Oldenburg

Neue Ermittlungsansätze nach Brandanschlag auf Oldenburger Synagoge

In »Aktenzeichen XY... Ungelöst« war das Überwachungsvideo mit dem Wurf eines Brandsatzes sowie Bilder des Tatverdächtigen aus einem Regionalzug von Oldenburg nach Delmenhorst gezeigt worden

 23.01.2025

Holocaust-Gedenktag

Saiten der Erinnerung

Die Musiker des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin geben ein Konzert auf Instrumenten, die einst verfolgten Juden gehörten. Jüngst konnten sie diese zum ersten Mal spielen. Ein Ortsbesuch.

von Christine Schmitt  23.01.2025

Universität

»Eine tolle Chance«

Philipp Lenhard über seine Tätigkeit am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der LMU München, Forschungsschwerpunkte und die Zusammenarbeit mit der Gemeinde

von Luis Gruhler  22.01.2025

Schulen

Zwölf Punkte für die Bildung

In der Kölner Synagoge diskutierten Vertreter von Zentralrat und Kultusministerkonferenz über die Darstellung des Judentums in Schulbüchern. Entstanden ist eine Leitlinie für Pädagogen

von Stefan Laurin  22.01.2025

Lohheide

Vor 80 Jahren starb Anne Frank im KZ Bergen-Belsen

Blumen, Fähnchen, Stofftiere: Nirgendwo in der Gedenkstätte Bergen-Belsen werden so viele Gegenstände abgelegt wie am Gedenkstein für Anne Frank

von Michael Althaus  22.01.2025

Berlin

Sicher in der Kunst

Im Herbst 2024 wurde die Jüdische Kunstschule gegründet. Sie soll ein »Safe Space« für Kreative sein. Ein Besuch in zwei Workshops

von Katrin Richter  21.01.2025

München

Zeugnisse jüdischen Lebens

Das Landesamt für Denkmalpflege kartografiert die Friedhöfe in Thalkirchen und Freimann

von Ellen Presser  21.01.2025