Buchvorstellung

Glückliche Kindertage

Gemeinsame Sache: Das Ehepaar Elias (v.) und die Kinderbuchautorin Miriam Pressler (l.) signieren das Anne-Frank-Buch. Foto: Miryam Gümbel

Ein Junge und ein Mädchen laufen gemeinsam Schlittschuh, spielen im Garten und entdecken die Lust am Verkleiden. Sie sind Cousin und Cousine. Die Fotos erzählen von einer glücklichen Kindheit. Aus dem Jungen ist ein bekannter Bühnen-, Film- und Fernseh-Schauspieler geworden, es ist Buddy Elias. Seine Cousine lebt nicht mehr, sie wurde nicht einmal 17 Jahre alt. Doch ihren Namen kennt die ganze Welt: Anne Frank. Ihr Tagebuch wurde in mehr als 50 Sprachen übersetzt und ist Weltkulturerbe.

Anne Frank wurde am 12. Juni 1929 in Frankfurt am Main geboren. In Amsterdam glaubten ihre Eltern, vor den Nazis sicher zu sein, eine vergebliche Hoffnung. Rund zwei Jahre konnte die Familie in einem Versteck in einem Hinterhaus an der Prinsengracht überleben. Diese Zeit hielt Anne im Tagebuch fest, schrieb ihre Erlebnisse und Gefühle nieder. Ihr Versteck wurde verraten, die Familie von Nazi-Schergen festgenommen und nach Auschwitz deportiert. Anne Frank starb im März 1945 im KZ Bergen-Belsen. Ihr Tagebuch aber wurde gefunden, von Miep Gies, die die Familie in ihrem Versteck versorgt hatte. Sie bewahrte es auf und übergab es nach Kriegsende Annes Vater.

Und Buddy? Die Wege der beiden Familien hatten sich getrennt, als den Vätern bewusst wurde, dass sie in Deutschland als Juden nicht überleben konnten. Helene, Annes Tante, ging mit ihrem Mann Erich Elias und den beiden Söhnen Stephan und Bernhard (Buddy) in die Schweiz. Otto Frank fand eine Anstellung in Amsterdam.

Urlaubsidylle In der Schweiz trifft sich die Familie immer wieder in den Ferien, auch die Großmutter ist nach dem Tod ihres Mannes dorthin gezogen. Es sind glückliche Tage für die Kinder. Vor allem Buddy und Anne verstehen sich bestens. Von dieser Zeit berichtet Buddy Elias Anfang Februar im Hubert-Burda-Saal der IKG München. Aber auch von dem, was danach kommt: wie die Besuche aus Amsterdam aufhören, die Angehörigen nicht mehr miteinander telefonieren können und die Briefe ausbleiben. Dass diese Zeit, die Hoffnung und die Trauer wieder so lebendig werden konnten, ist einem Zufall zu verdanken: Buddys Frau Gerti Elias entdeckte auf dem Dachboden Briefe, die von dieser Zeit erzählen. Zweieinhalb Jahre lang sichtete sie Briefe, Dokumente und Fotos. Die Universität Basel ehrte sie dafür mit dem Doctor honoris causa.

Schließlich hat die Autorin und Übersetzerin Mirjam Pressler daraus die Familiengeschichte der Franks zusammengefügt. Erschienen ist das 420-seitige Buch mit vielen Fotos, Zeichnungen und Briefen 2009 unter dem Titel Grüße und Küsse an alle. Die Geschichte der Familie von Anne Frank im Verlag S. Fischer.

Zu der Vorstellung dieses Buches und einem Podiumsgespräch mit Mirjam Pressler, Buddy und Gerti Elias hatte das Kulturzentrum der IKG eingeladen. Ellen Presser führte in den Abend – einer Mischung aus Lesung, Kommentierung und Erinnerung – ein. Die Zuhörer erfahren von dem Versuch, den Kindern eine möglichst unbeschwerte Zeit zu bescheren, während die politische Lage den Erwachsenen das Leben fast unmöglich macht. Einen letzten Brief von ihrem Sohn Otto aus Amsterdam erhält Mutter Alice Frank am 7. Juli 1942. Otto schreibt, dass Entschlüsse gefasst werden müssen, »die einem schwer fallen«. Das Versteck ist zu diesem Zeitpunkt bereits vorbereitet. Er schließt seinen Brief mit den Worten: »Wir vergessen Euch nicht und wissen, dass Ihr stets an uns denkt, aber Ihr könnt doch nichts ändern und müsst sorgen, dass Ihr Euch durchbringt. In Liebe wie stets Euer O.«

Die Sorgen in der Baseler Familie wachsen, sie hören von dem Grauen und Morden in Auschwitz. Auch wenn jeder im Hubert-Burda-Saal die Geschichte der Schoa kennt, hören die Zuhörer still und gebannt zu. Sie fiebern geradezu mit, wenn Großmutter Alice nach Kriegsende auf ein Lebenszeichen hofft. Ein Telegramm kommt. Doch die Familie kann nicht antworten, sie hat keine Adresse, an die sie schreiben kann.

Todesnachricht Freude und Bangen wechseln sich ab. Otto kommt zu seiner Mutter nach Basel. Doch dann ein Schock: die Todesnachricht von Ottos Frau Edith. Sie stirbt am 16. Januar 1945 in Auschwitz. Doch es bleibt die Hoffnung, dass die Kinder Anne und Margot überlebt haben. Vergebens: Sie sterben in Bergen-Belsen.

Das Buch erzählt den Lebensweg der Familie nach 1945 weiter. Berichtet davon, wie das Tagebuch der Anne Frank verlegt und ein Anne-Frank-Fonds eingerichtet wurde. Dass dieser Buddy Elias am Herzen liegt, spürt jeder im Gemeindesaal.

Den letzten Geburtstagsbrief von Anne an ihren Cousin zum 2. Juni 1942 hatte Gerti Elias nicht auf dem Dachboden gefunden. Den hatte Buddy mehr aus Zufall aufgehoben. Vier Jahre später, als er sein Elternhaus zu einem Theaterengagement verlässt, fand er ihn wieder. Seither hält er diese letzte Erinnerung an Anne hoch in Ehren.

Forschung

Vom »Wandergeist« einer Sprache

Die Wissenschaftlerinnen Efrat Gal-Ed und Daria Vakhrushova stellten in München eine zehnbändige Jiddistik-Reihe vor

von Helen Richter  14.01.2025

Nachruf

Trauer um Liam Rickertsen

Der langjährige Vorsitzende von »Sukkat Schalom« erlag seinem Krebsleiden. Er war ein bescheidener, leiser und detailverliebter Mensch

von Christine Schmitt  14.01.2025

Porträt der Woche

Keine Kompromisse

Rainer R. Mueller lebt für die Lyrik – erst spät erfuhr er von seiner jüdischen Herkunft

von Matthias Messmer  12.01.2025

Familien-Schabbat

Für den Zusammenhalt

In den Synagogen der Stadt können Kinder und Eltern gemeinsam feiern. Unterstützung bekommen sie nun von Madrichim aus dem Jugendzentrum »Olam«

von Christine Schmitt  12.01.2025

Köln

Jüdischer Karnevalsverein freut sich über großen Zulauf

In der vergangenen Session traten 50 Neumitglieder dem 2017 gegründeten Karnevalsverein bei

 11.01.2025

Vorsätze

Alles neu macht der Januar

Vier Wochen Verzicht auf Fleisch, Alkohol und Süßes? Oder alles wie immer? Wir haben Jüdinnen und Juden gefragt, wie sie ihr Jahr begonnen haben und ob sie auf etwas verzichten

von Brigitte Jähnigen, Christine Schmitt, Katrin Richter  09.01.2025

Würdigung

»Vom Engagement erzählen«

Am 10. Januar laden Bundespräsident Steinmeier und seine Frau zum Neujahrsempfang. Auch die JSUD-Inklusionsbeauftragte Jana Kelerman ist dabei

von Katrin Richter  09.01.2025

Gedenktag

Uraufführung mit den »Violins of Hope«

Ein besonderes Konzert anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz hat sich das Rundfunk-Sinfonieorchester vorgenommen. Es interpretiert ein Werk für die Geigen, die die Schoa überstanden haben

von Christine Schmitt  08.01.2025

Universität

Preise der »World Union of Jewish Students« in Berlin vergeben

Die weltweite Vertretung jüdischer Studierender hat ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert und besonders verdienstvolle Personen und Verbände ausgezeichnet

 07.01.2025