Statistik

Gemeinden in Zahlen

Nachdenkliche Gesichter gab es bei der Mitgliederversammlung der Israelitischen Gemeinde Freiburg am Sonntag. »Die Zahlen sind erschreckend für uns«, sagt die Vorsitzende Irina Katz. 50 Gemeindemitglieder seien in den vergangenen Jahren auf dem jüdischen Friedhof beerdigt worden, dazu kommen noch Verstorbene, die auf anderen Friedhöfen ihre letzte Ruhe finden.

Demgegenüber steht, dass es keine einzige Geburt in der jüngsten Zeit gab. 700 Mitglieder zähle die Gemeinde. »Aber der Trend, dass es immer weniger werden, wird weitergehen«, sagt Katz. Die Gemeinde kümmert sich zusammen um 100 Geflüchtete aus der Ukraine. Unter ihnen seien 60 halachische Juden, 20 sogenannte Vaterjuden und einige Ehepartner. »Unser Minjan ist nun wieder größer geworden.« Aber: In Freiburg gibt es nicht genügend attraktive Arbeitsplätze, weshalb kaum einer aus diesem Grund in die Stadt ziehen würde, erzählt die Vorsitzende. »Die Zuwanderungswelle aus der Ukraine wird uns nur vorübergehend helfen«, lautet ihre Prognose.

NEUZUGANG Dennoch, zum ersten Mal seit Jahren hat sich die Zahl der Neuzugänge verdoppelt, meldet die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) in einer Pressemitteilung. Sie hat nun gerade die Mitgliederstatistik der jüdischen Gemeinden und Landesverbände vom vergangenen Jahr publiziert. Waren es 2021 noch etwa 1352 Juden, die sich in diesen zwölf Monaten jüdischen Gemeinden anschlossen, erhöhte sich die Zahl im Jahr 2022 auf 2719. Grund hierfür sind neue Mitgliedschaften jüdischer Menschen, die aufgrund des russischen Angriffskriegs seit Februar 2022 aus der Ukraine geflüchtet sind und sich den jüdischen Gemeinden in Deutschland angeschlossen haben. Ihre Zahl umfasst rund 1400 Personen.

Einige Gemeinden konnten mehr Mitglieder gewinnen, als sie verloren.

2022 wurden 90.885 Mitglieder bundesweit gezählt. Erstmals seit 2006 verzeichnen die über 100 jüdischen Gemeinden in Deutschland einen positiven Effekt bei der Entwicklung, heißt es in der Pressemitteilung. In den vergangenen Jahren gab es meistens rund 2000 neue Mitglieder, die zuzogen oder konvertierten – oder erst geboren wurden. Im Jahr 2021 hatte die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinden in Deutschland noch bei 91.839 gelegen.

austritt Der Rückgang geht den Angaben zufolge aber vor allem auf den zwischenzeitlichen Austritt der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz mit ihren rund 1000 Mitgliedern aus dem Dachverband zurück. An die Zahlen aus der Zeit vor 2006 konnte schon lange nicht mehr angeknüpft werden, denn damals gab es mehr als 5000 neue Mitglieder pro Jahr, 1996 sogar mehr als 10.000 – davon knapp 9000 aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Seit 2007 sinkt die Zahl kontinuierlich.

Als Stadt hat München mit 9135 die meisten Gemeindemitglieder, gefolgt von Berlin (8286), Düsseldorf (6565) und Frankfurt (6379). Bei den Landesverbänden ist Nordrhein mit 15.346 weit vorne. Einige Gemeinden und Landesverbände konnten mehr Mitglieder gewinnen, als sie verloren, beispielsweise Baden, Brandenburg, Hamburg und Niedersachsen. Den größten Teil der Gemeinschaft bilden die 71- bis 80-Jährigen, etwa 15.000. Davon sind etwa 8500 weiblich und knapp 7000 männlich.

Den geringsten Anteil machen die Null- bis Dreijährigen aus, es sind etwa 1000. Knapp 10.000 Mitglieder sind zwischen null und 18 Jahre alt. Erschreckend ist der Blick auf die Geburtenzahl. In Bremen, in der Synagogengemeinde Saar und in Schleswig-Holstein sind keine vermeldet worden. In Städten wie München, Berlin und Frankfurt zwölf, 18 und 30.

GEBURTEN Die Jüdische Gemeinde in Halle, deren Vorsitzender Max Privorozki ist, konnte zwei Geburten vermelden, im August und Oktober. Der Trend, dass die Gemeinden immer kleiner werden, bereite auch ihm Sorgen. Immerhin sei derzeit die Zahl in Halle stabil. Früher seien es jedes Jahr weniger geworden. 515 Menschen sind derzeit Mitglieder, stehe bei ihm in der aktuellen Tabelle. Darunter seien zehn jüdische Ukrainer. »Wir lassen jetzt die Papiere prüfen, ob die Geflüchteten, die zu uns gekommen sind, in die Gemeinde aufgenommen werden können«, sagt Janina Kirchner, Geschäftsführerin der Jüdischen Gemeinde Schwerin. 60 Prozent der Mitglieder seien über 60 Jahre alt. Derzeit gebe es kaum jüngere.

München hat die meisten Gemeindemitglieder, gefolgt von Berlin, Düsseldorf und Frankfurt.

Die jüdischen Gemeinden in Deutschland seien für viele schutzsuchende Menschen aus der Ukraine ein sozialer Empfangsraum geworden, sagte der Präsident der ZWST, Abraham Lehrer. Dies zeige, dass die Gemeinden neben den religiösen Angeboten auch eine elementare Rolle in der sozialen Daseinsvorsorge für jüdische Menschen spielten. Da laut ZWST etliche ihre Papiere eingereicht hätten und diese derzeit geprüft würden, dürfte die Statistik von 2023 positiver ausfallen. Von der Statistik sind nur Juden erfasst, die sich bei einer Gemeinde registriert haben.

ENTWICKLUNG Allerdings dürfe man sich auf der erwarteten Entwicklung nicht ausruhen. »Der Trend der sinkenden Mitgliederzahlen wird sich fortsetzen, und darauf sollten wir als Gemeinden und Dachverbände auch reagieren.«

Die ZWST bildet den Zusammenschluss der jüdischen Wohlfahrtspflege in Deutschland. Sie ist der soziale Dachverband von 105 Gemeinden, davon 99 zusammengefasst in 17 Landesverbänden und sechs selbstständigen Gemeinden. Dazu kommen vier weitere Organisationen.

Hanau

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