Gedenkkultur

Gegen das Vergessen

Die Erinnerungszeichen sind ein noch junger Teil der Münchner Gedenkkultur. Seit drei Jahren gibt es die stählernen Stelen und Tafeln, die an der Hauswand oder auch davor an die Münchner Juden erinnern, die hier gelebt haben und von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Die Pandemie hat die Umsetzung des Projekts in der ersten Jahreshälfte nur für sehr kurze Zeit bremsen können. Seit den Sommermonaten wurden bereits wieder mehr als ein halbes Dutzend Erinnerungszeichen eingeweiht, weitere befinden sich in Vorbereitung.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), Charlotte Knobloch, die den Holocaust selbst nur durch glückliche Umstände überlebte, lässt es sich nicht nehmen, an den kleinen Feierstunden zur Übergabe der Erinnerungszeichen persönlich teilzunehmen, wann immer es ihr möglich ist. So gehörte sie am 23. September auch zu den Gästen und Rednern vor dem Haus in der Tengstraße 35 in Schwabing. Auf den Erinnerungszeichen, die jetzt dort zu sehen sind, stehen die Namen der ehemaligen jüdischen Bewohner: Mina, Nathan und Helene Bergmann, Sophie und Emanuel Gutmann, Rosa und Jakob Hirsch Landauer sowie Rosa Gabriele Wolfsheimer.

theresienstadt Ein Blick auf ihre Lebensdaten und die ihrer Familien verrät, dass sie angesehene Münchner Geschäftsleute waren: Nathan Bergmann ein Hopfengroßhändler, Emanuel Gutmann ein Kaufhausbesitzer, Jakob Hirsch Landauer der Teilhaber eines Unternehmens. Keiner von ihnen überlebte die Mordmaschinerie der Nazis. »Theresienstadt« steht bei den Namen ihrer Frauen und Kinder als Sterbeort auf den Tafeln vor dem Haus in der Tengstraße.

Die IKG-Präsidentin erinnerte in ihrer Rede auch an die große Teilnahmslosigkeit, mit der die breite Gesellschaft während der NS-Zeit dem allgegenwärtigen Schrecken begegnete und dadurch den Boden für den Holocaust bereitete. So weit hätte es nicht kommen müssen, aber dennoch sei es so gekommen. »Die Familien und die Bewohner dieses Hauses«, hielt Charlotte Knobloch fest, »erlebten deshalb die Folgen von Ausgrenzung, Entrechtung und Raub. Und diejenigen unter ihnen, die nicht bereits in den 30er-Jahren eines natürlichen Todes starben, wurden im Holocaust verschleppt und ermordet.«

Die Präsidentin der IKG zitierte vor dem Haus in Schwabing auch den berühmten Satz des Holocaust-Überlebenden Primo Levi: »Dass geschehen konnte, was geschehen ist, muss für sich bereits Mahnung genug sein, dass es auch wieder geschehen kann.« Diese Erkenntnis gilt nach Überzeugung von Charlotte Knob­loch auch heute ohne Einschränkungen. Die Betroffenen hätten nicht erwartet, dass ihr Leben in solcher Finsternis enden würde, betonte sie. Ein würdiges Gedenken sei das Mindeste, was die Gesellschaft tun könne – und vereint dafür zu stehen, dass sich das Elend dieser Jahre nicht wiederholt. »Wir wissen«, sagte die IKG-Präsidentin in ihrer Rede, »wohin Indifferenz führen kann – und wir wissen, was zu tun ist. Wir müssen es allerdings auch tun.«

In den vergangenen Wochen wurden etliche Erinnerungszeichen der Öffentlichkeit übergeben.

Weitere Erinnerungszeichen wurden am vergangenen Montag und Dienstag ihrer Bestimmung übergeben. In unmittelbarer Nähe zu ihrem ehemaligen Wohnsitz (heute Franz-Josef-Strauß-Ring 4) erinnern jetzt Tafeln mit den Namen und Fotos an Charlotte Carney, Berta Konn, Hermann Marx, Amalie Spitzauer und Emma Wallach.

sobibor In der Königinstraße 85 sind jetzt auch Erinnerungszeichen für Auguste Hirsch, Witwe eines bereits 1892 verstorbenen Bankiers, und ihren Sohn Paul zu finden. Paul Hirsch wurde 1942 in Sobibor ermordet. Seine Mutter Auguste flüchtete nach Arnheim zu ihrer Tochter, wo sie 1942 starb. Die Tochter und ihr Mann waren bereits 1941 von der SS ermordet worden.

Im laufenden Jahr wurden trotz der Pandemie bereits acht dieser Projekte umgesetzt. Sie gedenken 25 ermordeter Münchner Juden, darunter auch Kinder. Insgesamt sind es bisher 38 solcher Zeichen quer über die Stadt verteilt, sie erinnern an beinahe 100 Opfer des Holocaust – auf Augenhöhe. Das war für den Münchner Stadtrat wichtig, als er sich 2017 gegen die Verlegung von Stolpersteinen entschied. Auch IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch hatte sich dagegen ausgesprochen.

An der Feier in der Tengstraße nahmen unter anderem Stadtrat David Süß teil, die Initiatorin Elisabeth Noske sowie Thomas Rock vom Bezirksausschuss. Zum Franz-Josef-Strauß-Ring kamen unter anderem Staatsministerin (Wohnen, Bau, Verkehr) Kerstin Schreyer, Stadträtin Kathrin Abele, Mitarbeiter der Erinnerungs-Werkstatt und Andrea Stadler-Bachmaier vom Bezirksausschuss. Bei der Veranstaltung in der Königinstraße waren Stadträtin Marion Lüttig, Daniel Stern von Beth Shalom und Patric Wolf vom Bezirksausschuss anwesend.

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