Tagung

Gedenken in der Kurve

Der Mensch fehlt. Seine Silhouette wurde aus der Metallplatte entfernt. »Ausgelöscht«, wie der Sporthistoriker Lorenz Peiffer das ungewöhnliche Denkmal deutet. Es soll in Zukunft als Wegmarke auf dem Gelände der Frankfurter Fußballarena an die große Zahl unbekannter Fans erinnern, deren Leben durch die Herrschaft des Dritten Reiches zerstört wurde. Vorerst überwintert das Denkmal im Eintracht-Museum. Dort wurde es am vergangenen Freitag zum Auftakt einer Versammlung zum Erinnerungstag im deutschen Fußball am 27. Januar von Esther Bejarano, einer der letzten Überlebenden des Mädchenorchesters von Auschwitz, feierlich enthüllt.

Zehn Jahre nach Gründung der Initiative »Nie wieder«, die sich für die Gedenkkultur und ein Stadion ohne Diskriminierung einsetzt und die ihren Namen der Inschrift an der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau entlehnt hat, trafen sich Wissenschaftler, Experten und Zeitzeugen, Fußballfunktionäre und Fans zu Diskussionen und Arbeitskreisen. Darin hielten sie Rückschau auf die Gräueltaten des Nationalsozialismus, thematisierten aber auch aktuelle Erscheinungen von Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit im Umfeld von Stadien und Fußballvereinen.

»Wir müssen darüber reden, welches Unrecht es gegeben hat, um es nie zu vergessen«, betonte Schirmherr Willi Lemke bei der Auftaktveranstaltung in der Frankfurter WM-Arena. Der Sonderbotschafter für Sport hatte sich von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon extra freigeben lassen. Denn neben Zeitzeugen, die die Gräueltaten des Nationalsozialismus selbst erlebt haben, sowie Wissenschaftlern und Experten, die sich mit Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung auseinandersetzen, fanden auch Sportler, Funktionäre und Fußballfans den Weg an den Main.

Ausschluss Der Hannoveraner Sporthistoriker Peiffer beschäftigte sich in seinem Vortrag mit dem, was er sarkastisch als die »Blütezeit« der jüdischen Sportbewegung bezeichnete. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 schlossen die bürgerlichen Vereine »in unglaublichem vorauseilenden Gehorsam« ihre jüdischen Mitglieder aus. »Sie wurden ausgelöscht«, erklärte Peiffer mit Bezug auf das Fan-Denkmal – aus den Mitgliederlisten oder, was die bereits bestehenden jüdischen Vereine wie den damaligen Kreisligisten Hakoah Berlin betrifft, aus den Ligentabellen. Daraufhin organisierten sie sich selbst, was dazu führte, dass die Zahl jüdischer Fußballvereine bis 1938 auf 183 anstieg.

Die Sportbunde Schild und Makkabi wurden als Spitzenverbände im November 1933 anerkannt. Unter ihrem Dach wurden Meisterschaften und Pokalspiele ausgetragen. Die in den Stadtzentren liegenden Sportstätten mussten die jüdischen Vereine verlassen und in die Peripherie ausweichen. Teilweise trainierten sie dort hinter Mauern, »ein durchtrainierter Sportler hätte das Bild der Nazis von den Juden konterkariert«, erklärte Peiffer.

Auch auf Kuhweiden wurde gespielt, ungeachtet der Gräben, die durch sie hindurch führten. Teile von Friedhöfen wurden zu Fußballfeldern umgebaut, Synagogen zu Sporthallen. Robby Rajber, der Erste Vizepräsident von Makkabi Deutschland, machte deutlich, dass Spuren dieser Entwicklung noch heute erkennbar seien, etwa an der Lage der Makkabi-Sportstätten oder daran, dass in Synagogen häufig der Hof zum Fußballspielen genutzt werde.

NSU Die Verknüpfung historischer Ereignisse mit der Tagesaktualität zog sich durch das ganze Wochenende. Betroffenheit machte sich aber nicht nur angesichts dessen, was die Zeitzeugen aus den Jahren der Nazidiktatur zu berichten hatten, breit. Den 81-jährigen Ernst Grube erinnert einiges von dem, was heutzutage an Gewalt und Ausgrenzung geschieht oder auch nur in Worte und Parolen gefasst wird, erschreckend an das, was er in seiner Kindheit miterleben musste. »Nie wieder?«, fragte Grube rhetorisch als Podiumsdiskutant die etwa 250 Teilnehmer der dreitägigen Veranstaltung.

»Wir haben es doch schon«, betonte der Münchner und dachte dabei an Brände in Asylbewerberheimen oder den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Ernst Grube hatte beim TSV 1860 München Fußball gespielt und war 1945 nach Theresienstadt deportiert worden. Seit mehr als 20 Jahren erzählt er Jugendlichen von seinen Erlebnissen während des Nationalsozialismus.

Podium Die heute 89-jährige Esther Bejarano verdankt ihr Überleben in Auschwitz der Tatsache, dass sie ins dortige Mädchenorchester aufgenommen wurde. »Schon in meiner Kindheit war die Musik alles für mich«, erzählte die rüstige Dame, die nicht nur als Gesprächspartnerin das Podium betrat. Gemeinsam mit ihrem Sohn und zwei Rappern, der »Microphone Mafia«, brachte sie singend Neuarrangements von Liedern aus dem jüdischen Widerstand dar. »Den gab es nämlich, auch wenn das keiner weiß«, betonte sie.

Rassismus ist auch dem aus Ghana stammenden früheren Fußball-Nationalspieler Gerald Asamoah bekannt. Er sprach über sein Leben, und die Schweizer Journalistin Katharina Kerr vom Überleben ihres jüdischen Vaters. Diese beiden persönlichen Erzählungen gaben der Veranstaltung eine ganz besondere Note.

Auch oder vielleicht gerade im Umfeld der Stadien gibt es besorgniserregende bis bestürzende Entwicklungen, die es, da waren sich die Veranstaltungsteilnehmer einig, umso wichtiger erscheinen lassen, dass man die Erinnerungen an die Morde und Verfolgungen in der Zeit des Nationalsozialismus wachhält. Und dass man den Anfängen wehrt.

So zeigte der Sport- und Politikwissenschaftler Florian Schubert Bilder von immer häufiger auftauchenden Transparenten oder Graffiti mit teilweise offenen, teilweise subtilen judenfeindlichen und rechtsradikalen Parolen. Das Wort Jude, so Schubert, das jahrelang nicht mehr im negativ gemeinten Sprachschatz Jugendlicher und Heranwachsender aufgetaucht sei, werde jetzt wieder als Schimpfwort benutzt.

Ultras Mit viel Mut erzählte der die Aachen Ultras vertretende Marcel – seinen Nachnamen wollte der junge Mann aus Sicherheitsgründen nicht preisgeben – von den Auseinandersetzungen seiner sich gegen Diskriminierung einsetzenden Gemeinschaft mit Rechtsradikalen im Umfeld des Fußballvereins Alemannia Aachen. Deren Gewaltattacken, die darin gipfelten, dass die Neonazis bei einigen Ultras die Wohnungstüren eintraten und sie aus ihren Betten zerrten, sorgten dafür, dass Marcel und seine Freunde sich von ihrem Verein lossagten und teilweise aus dem Raum Aachen wegzogen.

Während die Alemannia in der Sache nichts dagegen unternommen habe, sicherten Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, und Reinhard Rauball, Präsident des Ligaverbandes, die Aufklärung dieser und ähnlicher Vorkommnisse zu.

»Ich bekomme Gänsehaut, dass so etwas in Deutschland noch möglich ist«, kommentierte Alon Meyer, der Präsident von Makkabi Deutschland. Und brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass in fünf oder zehn Jahren die gleichermaßen informative wie berührende »Nie wieder«-Veranstaltung wiederholt werden sollte. Aber eigentlich wünscht er sich, »dass sie nicht mehr nötig ist«.

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