Interview

Fünf Minuten mit …

»Ich sehe mich als seine Stimme, als sein Botschafter«, Doron Almog ist Mitbegründer des israelischen Hilfsprojekts Aleh. Foto: Jörn Neumann

Interview

Fünf Minuten mit …

Doron Almog über das Behindertenprojekt Aleh und die Pläne für dessen Zukunft

von Barbara Goldberg  18.05.2015 21:00 Uhr

Herr Almog, Sie haben vor vielen Jahren gemeinsam mit anderen Eltern das Zentrum Aleh Negev – Nahalat Eran gegründet. Wie kam es dazu?
Mein Sohn Eran war Autist. Er starb 2007, mit 23 Jahren, an einer extrem seltenen Lungenkrankheit, an der weltweit nur circa 80 Menschen leiden. Für behinderte Kinder gibt es in Israel zwar jede Menge Förderangebote. Aber alle Programme reichen nur bis zum 21. Lebensjahr. Danach gibt es nichts mehr! Gar nichts mehr: keine Schule, keine Universität, keine Arbeit, nichts. Wir standen damals komplett alleine mit Eran da.

Eran hat nie mit Ihnen gesprochen. Wie konnte er Sie dennoch inspirieren?
Eran war sogar mein Lehrer, obwohl er nie »Abba« (Vater) zu mir sagen konnte. Dennoch hat er meine Sicht auf die Menschen, auf die Wirklichkeit komplett verändert, er gibt mir bis heute die Kraft, weiterzumachen. Ich sehe mich als seine Stimme, als sein Botschafter.

Sie sind ein hochdekorierter Generalmajor, haben bei der Operation Entebbe Geiseln befreit und die Luftbrücke zur Umsiedlung von 8000 äthiopischen Juden organisiert. Was konnte Eran Ihnen noch beibringen? Wie lautet seine Botschaft?
Schwerbehinderte Menschen wie Eran sind die unschuldigsten, aber auch die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft. Normalerweise haben bei uns nur die Starken eine Chance, voranzukommen. Eran hat mir gezeigt, was Menschsein heißt, dass dazu auch Hinfälligkeit und Gebrechen gehören. Eine Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sie mit ihren schwächsten Gliedern umgeht. Behandelt sie diese mit Respekt und ohne Bevormundung und belässt ihnen ihre Würde, dann verändert das die Gesellschaft insgesamt zum Guten.

Eran hat ein Jahr lang in Aleh gewohnt, bis zu seinem Tod 2007. Warum lebte Ihr Sohn nicht zu Hause, bei seiner Familie?

Auch ein autistischer Mensch wie Eran braucht Sozialkontakte, vor allem zu Gleichaltrigen, er braucht Beschäftigung, Anregungen und einen Freiraum, in dem er sich ohne ständige Kontrollen und Verbote bewegen kann. All das konnten wir ihm zu Hause nicht bieten. Darum haben wir das Zentrum gegründet. Dort hat er all das vorgefunden, vom Swimmingpool bis zum therapeutischen Reiten. Und er hat Freundschaften geschlossen. Er war glücklich an diesem Ort.

Was gab Ihnen die Kraft, nach seinem Tod weiter zu kämpfen?

Meine Frau hatte größere Probleme. Sie wollte aufgeben und dachte, sie könne das Zentrum nie mehr besuchen, Erans Zimmer sehen, seine Freunde treffen. Ich bin da etwas sturer und sehe die Möglichkeiten.

Keren Hayesod ruft zur Unterstützung des Projektes auf. Was ist geplant?
Wir wollen das Aleh-Projekt ausweiten. So schwebt uns vor, auf dem Gelände eine Rehabilitationsklinik zu errichten, die alle möglichen Therapien nach Maßgabe der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse anbietet und Fachleute aus der ganzen Welt zur Weiterbildung einlädt. Diese Klinik soll allen Bewohnern des Südens von Israel offenstehen. Denn Aleh will keine Insel, kein Ghetto sein – das würde ja das Gegenteil von Integration bedeuten. Um dieses Vorhaben realisieren zu können, benötigen wir Geld. Wir haben eine Vereinbarung mit dem israelischen Staat getroffen: 50 Prozent der Kosten trägt unsere Stiftung, für die andere Hälfte kommt die Regierung auf.

Was ist Ihr langfristiges Ziel?

Wir wollen die sichtbaren und die unsichtbaren Mauern zwischen Behinderten und Nichtbehinderten einreißen – auch das verstehen wir unter Tikkun Olam.

Mit dem Mitbegründer des israelischen Hilfsprojekts sprach Barbara Goldberg.

Antisemitismusverdacht

Ermittlung wegen Plakat »Juden haben hier Hausverbot« läuft

Ein antisemitischer Aushang in einem Flensburger Geschäft sorgt für Entsetzen. Politiker und Bürger reagieren deutlich. Die Staatsanwaltschaft schaltet sich ein

 18.09.2025

Nürnberg

Annäherung nach Streit um Menschenrechtspreis-Verleihung

Die Israelitische Kultusgemeinde hatte den diesjährigen Träger des Nürnberger Menschenrechtspreises nach Bekanntgabe des Juryvotums kritisiert. Nach Gesprächen gibt es nun offenbar eine Verständigung

 18.09.2025

Berlin

Zwölf Rabbiner blasen das Schofar

Die Jüdische Gemeinde Chabad Berlin lud zum Neujahrsempfang. Zu Gast war auch der Regierende Bürgermeister Kai Wegner

von Detlef David Kauschke  18.09.2025

Kommentar

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Berlin

Zentralrat der Juden begeht sein 75. Jubiläum

Die Dachorganisation der jüdischen Gemeinden lud zahlreiche Gäste aus Politik und Zivilgesellschaft nach Berlin. Der Bundeskanzler hielt die Festrede

von Imanuel Marcus  17.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Erinnerung

Eisenach verlegt weitere Stolpersteine

Der Initiator des Kunst- und Gedenkprojekts, Gunter Demnig aus Köln, die Stolpersteine selbst verlegen

 16.09.2025

Porträt der Woche

Passion für Pelze

Anita Schwarz ist Kürschnerin und verdrängte lange das Schicksal ihrer Mutter

von Alicia Rust  16.09.2025