Interview

Fünf Minuten mit...

»Die Arbeit an der Sammlung IKG ist eine Mizwa«: Leibl Rosenberg Foto: Miryam Gümbel

Herr Rosenberg, was genau ist die »Sammlung IKG« der Stadtbibliothek Nürnberg?
In ihr befinden sich »verfolgungsbedingt entzogene« Bücher der ehemaligen Stürmer-Bibliothek. Unter den Besitzern der in der NS-Zeit geraubten Werke waren auch Münchner Juden. Die Sammlung ist bei den Bombenangriffen auf Nürnberg erhalten geblieben. Die Bücher sind in das Eigentum der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg (IKG) übereignet worden und befinden sich als Dauerleihgabe in der Stadtbibliothek.

Sie befassen sich seit vielen Jahren mit der Inventarisierung dieser Bücher. Sind Sie dabei auf Namen einstiger Eigentümer gestoßen?
Ja. Jetzt sind rund 9000 Schriften katalogisiert – von Aachen bis Zuromin in Polen. Bei einigen davon haben sich Stempel oder andere Eintragungen gefunden, die einen Hinweis auf den früheren Besitzer erlauben.

Wie sehen solche Eintragungen aus?
Um auf das Beispiel München zu kommen: Da gibt es ein Buch mit der klaren Beschriftung »Israelitische Volksschule München«. In einem anderen Buch steht der handschriftliche Eintrag »Fraenkel Friedrich Herrnstraße«. Das sind nur zwei Beispiele. In dieser Weise haben wir aber nur für einen Bruchteil der Bücher die Provenienz zuordnen können.

Richtet sich das Bestreben der IKG und der Stadt Nürnberg ausschließlich auf die Feststellung der früheren Besitzer? Oder sollen die Bücher, sofern möglich, auch wieder »nach Hause« finden?
Beides. In der Pressekonferenz mit Vertretern der IKG Nürnberg und der Stadt wurde dies am vergangenen Dienstag deutlich hervorgehoben. Damit die überlebenden Opfer oder deren Nachkommen eine erste Orientierung finden, haben wir die ermittelten Namen und Orte ins Internet gestellt.

Haben Sie sich auch schon selbst an mögliche Vorbesitzer und deren Erben gewandt?
Durchaus. Bei der Suche helfen mir am Anfang alte Telefon- und Adressbücher. Dann geht die Recherche weiter. Als DP-Kind sind mir manche Namen bekannt, zuweilen hilft das bei der Suche. Trotzdem kann es manchmal Jahre dauern. Immerhin konnten wir bereits 180 Bücher zurückgeben.

Wollen alle Erben das Eigentum ihrer Vorfahren zurück haben? Oft wären dazu ja auch mehrere Kinder oder andere Verwandte berechtigt.
Auch hier ein Beispiel aus München: Bei einem alten Schulbuch haben wir die Tochter der früheren Eigentümerin ausfindig machen können, die heute in Übersee lebt. Sie hat dieses Buch der IKG-Sammlung überlassen. 30 Schriften bleiben auf Wunsch der Familien auf Dauer in unserer Bibliothek.

Haben Sie noch weitere Beispiele, wie Identifizierungen zustande kommen können?
Ich erinnere mich an einen älteren Herrn, der auf der Suche nach religiösen Schriften seines Vaters zu uns gekommen ist. Solche eindeutig zu identifizieren, ist außerordentlich schwierig. Im Gespräch kamen wir dann darauf, dass sich auch seine Kinderbücher in der geraubten Bibliothek befanden. Welche, daran erinnerte er sich nicht. Beim Durchblättern einiger Bücher merkte er schließlich überrascht auf. Er hatte verschiedene Eintragungen entdeckt: Eine Tante hatte ihm zur Barmizwa einen Stempel geschenkt – und in seiner Begeisterung hatte er diesen auch in seine Bücher gedrückt.

Wird die Sammlung bestehen bleiben?
Ja, wir werden sicherlich nicht alle früheren Eigentümer ausfindig machen oder alle Bücher eindeutig zuordnen können. Mit denjenigen, die ein Buch zurückbekommen, machen wir aber einen entsprechenden Restitutionsvertrag, der die Zustimmung weiterer Verwandter einschließt. Einige überlassen uns auch ihre Bücher.

Wie wichtig ist Ihnen die Arbeit an der Sammlung?
Man kann sich kaum vorstellen, welche Bedeutung ein abgewetztes altes Schulbuch haben kann. Ich weiß von einer Familie, die sich das Buch vom Großvater neben den Chanukkaleuchter stellt – damit er beim Lichterzünden »dabei« ist. Die Bücher, die nicht zurückgegeben werden können, stellen in der Sammlung IKG ein Denkmal für die Opfer der Schoa dar. Die Arbeit dafür ist somit auch eine Mizwa – die Erfüllung des Gebotes des Zachor, des Gedenkens und der Erinnerung.

Mit dem Beauftragten für die Sammlung IKG der Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg sprach Miryam Gümbel.

Die IKG-Sammlung online: http://url9.de/KYq

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024

Essay

Steinchen für Steinchen

Wir müssen dem Tsunami des Hasses nach dem 7. Oktober ein Miteinander entgegensetzen

von Barbara Bišický-Ehrlich  16.04.2024

München

Die rappende Rebbetzin

Lea Kalisch gastierte mit ihrer Band »Šenster Gob« im Jüdischen Gemeindezentrum

von Nora Niemann  16.04.2024

Jewrovision

»Ein Quäntchen Glück ist nötig«

Igal Shamailov über den Sieg des Stuttgarter Jugendzentrums und Pläne für die Zukunft

von Christine Schmitt  16.04.2024

Porträt der Woche

Heimat in der Gemeinschaft

Rachel Bendavid-Korsten wuchs in Marokko auf und wurde in Berlin Religionslehrerin

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.04.2024