Interview

Fünf Minuten mit…

Herr Schuster, am 1. Dezember wird der Welt-Aids-Tag begangen. Ist die Immunschwäche auch in der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ein Thema?
Sie ist ein Thema, das völlig unabhängig von der Religionszugehörigkeit besteht. Und insofern ist sie auch ein Thema in den jüdischen Gemeinden in Deutschland. Es gibt allerdings meines Wissens keine Statistik oder Zahl von jüdischen Erkrankten.

Aids wird klischeehaft mit Homosexualität und Prostitution in Verbindung gebracht und ist deswegen vielleicht gerade in orthodoxen Kreisen tabu?
Das darf es natürlich nicht sein. Ich gehe davon aus und erwarte, dass auch ein moderner traditioneller Rabbiner sich intensiv mit dem Menschen auseinandersetzt, ihm hilft und ihn unterstützt, wenn er mit dieser Erkrankung und hieraus resultierenden seelsorgerischen Problemen zu ihm kommt.

Kennen Sie persönlich innerhalb der jüdischen Gemeinschaft einen Aidskranken?
Ich kenne niemanden aus der jüdischen Gemeinschaft, der an der Immunschwäche erkrankt ist. Das hängt zum einen mit der demografischen Beschaffenheit der Würzburger Gemeinde zusammen, so viele junge Menschen haben wir nicht. Zum zweiten wird der Betroffene seine Infektion sicherlich nicht von sich aus nach außen kommunizieren. Aber die Tatsache, dass man niemanden kennt, heißt natürlich nicht, dass es niemanden gibt.

Gibt es jüdische Aids-Hilfegruppen?
Ich kenne keine und meine, dass es aus medizinischer Sicht keine geben muss, genauso wenig wie es einer speziellen katholischen oder evangelischen Einrichtung bedarf.

Warum ist das Thema für Sie persönlich dennoch wichtig?
Ich frage mich natürlich, wie viele jüdische Menschen in Deutschland an HIV erkrankt sind. Ich kann mir aber vorstellen, dass ihre Anzahl relativ gering ist. Bei denen, die orthodox leben, wird sie kaum vorkommen, außer in den Zeiten, als man sich durch verunreinigte Bluttransfusionen anstecken konnte. Dieser Infektionsweg ist heute definitiv ausgeschlossen. Ich glaube auch, dass junge Leute in den letzten zehn, 15 Jahren deutlich mehr sensibilisiert wurden. Und dann kommt bei uns der demografische Faktor hinzu. Als die Krankheit ausbrach und Mitte der 80er-Jahre rapide steigende Neuinfektionen verzeichnet wurden, war unsere Gemeinschaft stark überaltert.

Doch die Community ist durch die Zuwanderung seit 1990 stark gewachsen, es kamen auch junge Leute!
Es kamen viele ältere Menschen und Familien mit sehr jungen Kindern. Bis diese herangewachsen waren, waren Aids und HIV ein Thema, das viel mehr im Bewusstsein war. Wichtig ist dennoch: Aids darf von jüdischer Seite nicht negiert werden, und es darf weder von orthodoxer noch liberaler Seite stigmatisiert werden.

Mit dem Internisten und Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden sprach Heide Sobotka.

Interview

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