Interview

Freude über fertige Synagoge in Dessau »ist ungebrochen«

Aron Russ, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde zu Dessau Foto: Privat

Interview

Freude über fertige Synagoge in Dessau »ist ungebrochen«

Aron Russ über die Wirren des Synagogen-Baus, ihren neuen Namen und was sie der Gemeinde bedeutet

von Christine Schmitt  19.10.2023 15:44 Uhr

Herr Russ, am Sonntag wird die neu gebaute Synagoge in Dessau eröffnet. Es ist der erste Neubau eines jüdischen Gotteshauses in Sachsen-Anhalt seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die Freude ist ungebrochen. Egal, was kommen mag, wir werden die Feier nicht absagen, sondern ein Zeichen setzen. Die Gefährdungsstufe hat sich durch den Krieg in Israel erhöht. Das ist leider so.

Würden Sie sagen, dass der Bau endlich oder schon fertig ist?
Ich bin in dieser Frage geteilt. Zum einen »endlich«, weil wir den
Bau von Beginn an seit knapp drei Jahren begleiten und lange
auf seine Fertigstellung hingefiebert haben. Zum anderen aber auch
»schon«, da wir diesen Ort ab jetzt mit Leben füllen können.

Es zog sich etwas hin …
Ja, etwa vier Jahre ab der Grundsteinlegung im November 2019. Im vergangenen Jahr musste die Jüdische Gemeinde zu Dessau im Zuge der Sanierung des Gemeindehauses mit einem Ausweichquartier vorliebnehmen, bei größeren Feierlichkeiten sogar in andere Objekte ausweichen. Die Finanzierung des Synagogenbaus war zuletzt aufgrund massiver Preissteigerungen in der Baubranche infolge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges nicht mehr gesichert.

Die Synagoge in Dessau soll an eine Torarolle erinnernFoto: Privat

Wer hat den Synagogenbau finanziell unterstützt?
Wir hatten eine Mischfinanzierung. Zum einen beteiligte sich der Bund, vertreten durch das Bundesinnenministerium. Vor Kurzem hat der Bund die Gelder aufgestockt. Dann das Land Sachsen-Anhalt, die Stadt Dessau, die auch noch mal mehr Mittel bereitgestellt hat. Die Reemtsma-Stiftung beteiligte sich, ebenso die Lottostiftung. Die Gemeinde hat rund 200.000 an Eigenmitteln dazugegeben.

Wie haben Sie es geschafft, diese Summe zu finanzieren?
Das war unser langjährig Erspartes. Also im Prinzip alles, was die Gemeinde an Rücklagen hatte, ist in den Bau geflossen.

Kann die Gemeinde schnell wieder einen finanziellen Sockel aufbauen?
Das wird ein wenig dauern. Die Synagoge wird ja auch einiges an Folgekosten haben.

Wie groß ist sie?
Jetzt bietet die Synagoge rund 90 Plätze für rund 260 Gemeindemitglieder in einer würdevollen Umgebung, um dort Gottesdienste und Feiern abhalten zu können. Und das ist eine Riesenveränderung für die Gemeinde. Das ist eine riesige Aufwertung auch des religiösen.

Was soll in der neuen Synagoge alles neben den Gottesdiensten stattfinden?
Neben dem eigentlichen Rundbau, der der Torarolle nachempfunden ist, gibt es auch ein Foyer, was für jedwede Art von Zusammenkunft, Veranstaltungen, Konzerten, Lesungen vorgesehen ist. Wir haben jetzt sofort nach der Eröffnung die jüdischen Kulturtage in Sachsen-Anhalt und da werden auch diverse Veranstaltungen stattfinden. Natürlich sind Besuche von Schulklassen und anderen Gruppen geplant. Ich habe jetzt schon - vor der Eröffnung - in den vergangenen Wochen sehr viele Gruppen hier begrüßt. Das Bundesamt war da, das Stadtmarketing kam und die Kirchenvertreter ebenfalls. Wir haben sozusagen ein wirklich enormes Interesse. Und all das soll auch in dem gesamten Synagogengebäude und auch in unserem Gemeindegebäude natürlich stattfinden. Wir haben jetzt die Möglichkeiten, noch viel mehr stattfinden zu lassen, als wir das bis dato konnten.

Auch das Gemeindehaus wurde saniert.
Der Synagogenbau und die Sanierung des angebundenen »Kantorhauses«, also des Gemeindezentrums, sind separate Vorgänge. Beide werden von der Reemtsma-Stiftung gefördert, letzteres alleinig durch diese. Die Sanierung des Gemeindezentrums begann vor einem guten Jahr und zwang unsere Gemeinde in ein Ausweichquartier.

Ist die Gemeinde gewachsen?
Na ja, durch die jüdischen Geflüchteten aus der Ukraine, die wir im vergangenen Jahr aufgenommen haben, ist sie zumindest nicht wesentlich geschrumpft.

Der Tag der offenen Tür soll eine Woche nach der Einweihung stattfinden.
Nun ist es so, dass wir natürlich schauen müssen, wie sich die Situation entwickelt. Es ist uns ein Anliegen, unsere Tür zu öffnen. Wir rechnen auch mit hunderten Besuchern. Und da müssen wir sehen, ob wir das aus sicherheitstechnischen Gründen verlegen müssen. Da kommen ja Menschen, deren Identität wir nicht kennen. Aber derzeit gehen wir davon aus, dass es stattfinden wird. Aber es gibt halt immer noch sozusagen ein paar letzte Fragezeichen, wie sich die Situation entwickelt.

Wie wird die Synagoge heißen?
Sie soll an die jüdische Familie des Komponisten Kurt Weill (1900 - 1950) erinnern und deshalb den Namen »Weill« tragen. Kurt Weills Vater war Kantor der Jüdischen Gemeinde zu Dessau.

Mit dem Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde zu Dessau sprach Christine Schmitt.

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Vertrag

Jüdische Gemeinde Frankfurt erhält mehr Gelder

Die Zuwendungen durch die Mainmetropole sollen bis 2031 auf 8,2 Millionen Euro steigen

von Ralf Balke  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Hannover

Ministerium erinnert an 1938 zerstörte Synagoge

Die 1938 zerstörte Neue Synagoge war einst mit 1.100 Plätzen das Zentrum des jüdischen Lebens in Hannover. Heute befindet sich an dem Ort das niedersächsische Wissenschaftsministerium, das nun mit Stelen an die Geschichte des Ortes erinnert

 10.11.2025

Chidon Hatanach

»Wie schreibt man noch mal ›Kikayon‹?«

Keren Lisowski hat die deutsche Runde des Bibelquiz gewonnen. Jetzt träumt sie vom Finale in Israel

von Mascha Malburg  10.11.2025