Porträt der Woche

»Farben sind Widersprüche«

»Alles ist eine Suche, und die Suche begleitet mich immer«: Yury Kharchenko (30) aus Berlin Foto: Uwe Steinert

Porträt der Woche

»Farben sind Widersprüche«

Yury Kharchenko ist Künstler und stellt gerade im Jüdischen Museum Westfalen aus

von Alice Lanzke  30.05.2016 18:16 Uhr

Vor Kurzem wurde im Jüdischen Museum Westfalen meine Ausstellung »Wege des Unsichtbaren« eröffnet. Der Titel ist klar und bringt eine gewisse Einfachheit mit sich, die für mich in Ordnung ist. Gleichzeitig beinhaltet er allerdings auch eine Kryptik, die meine Arbeit auszeichnet. Die Bilder, die ich zeige, stammen aus unterschiedlichen Serien, die aber alle einen bestimmten verhüllenden Hintergrund haben.

Ein Teil der Arbeiten stammt aus einer Zeit, in der ich mich intensiv mit philosophischen und literarischen Fragen beschäftigt habe, mit Jacques Derrida, Nelly Sachs und Paul Celan. Es hat mich interessiert, wie diese Menschen existenzielle Fragen beantwortet haben und mit ihrem Jüdischsein umgegangen sind. Oder auch die amerikanischen Expressionisten wie Mark Rothko, die aus der Sowjetunion auswanderten und sich in den USA neu sozialisierten.

nameN Rothko etwa hieß eigentlich Rothkowitz – mein Name »Kharchenko« ist ja eigentlich vollkommen aus der Luft gegriffen. Mein Großvater wählte ihn aus, um nicht zum Ziel von Antisemitismus zu werden. Eigentlich lautet der Familienname Grünspan. Mein Vater behielt den neuen Namen bei, denn auch in der Sowjetunion der 70er-Jahre gab es einen versteckten Antisemitismus.

Eine Zeit lang überlegte ich, ob ich zum eigentlichen Familiennamen zurückkehren sollte, aber damals hatte ich mich schon als Kharchenko etabliert, obwohl ich Grünspan schöner finde. Insofern ist das Jüdische aber für mich nicht nur auf einer höheren intellektuellen Ebene interessant, sondern auch auf der biografischen.

Ich möchte mich nicht mit all den großen Namen vergleichen, und doch gibt es da diese Parallele. Ein neuer Name beinhaltet für mich auch wieder eine gewisse Kryptik, etwas Verhüllendes, das meine Kunst prägt. Denn ein Name ist eben viel mehr als nur eine Familienbezeichnung, dazu hat auch Derrida viel geschrieben. Er führt zu den für mich als Künstler existenziellen Fragen: Woher komme ich? Und wohin gehe ich?

Identität In meiner Kunst will ich die Identität als Jude aber gar nicht in den Vordergrund stellen, auch wenn sich mein kultureller Background natürlich in meiner Arbeit zeigt. In meinen Augen merkt man vielen jüdischen Künstlern dieses Kryptische oder Mysteriöse an, wie man zum Beispiel bei Lucian Freud sieht. Man könnte sagen, dass ich transparent über mein Jüdischsein reflektiere, es aber nicht zentral nach vorne trage. Spuren sind allerdings sichtbar – vermutlich in meinem sensiblen Umgang mit Farben, den vielen lyrischen und philosophischen Aspekten, die meine Arbeit beeinflussen und die wiederum durch das Groteske gebrochen werden.

Mit elf Jahren zog meine Familie aus Russland nach Deutschland. Meine Eltern sind beide Naturwissenschaftler. Trotz diesem ganz anderen beruflichen Hintergrund haben sie mich immer unterstützt. So ließen sie mich schon mit sechs Jahren eine Kunstschule in Moskau besuchen.

Bereits als Kind wollte ich nicht einfach vor mich hin malen, sondern realistisch, wenn auch mit imaginärer und fantastischer Kraft. Das haben meine Eltern wahrscheinlich erkannt und mich deswegen gefördert. Mit 13 Jahren konnte ich meine Bilder einem Professor der berühmten Kunstakademie Düsseldorf zeigen. Das war ein großer Ansporn für mich. In den folgenden Jahren hat er sich immer wieder über die Entwicklung meiner Arbeit auf dem Laufenden gehalten.

Akademie Mit 18 habe ich dann offiziell angefangen, an der Kunstakademie zu studieren. Die meisten anderen Studenten waren älter als ich, aber ich hatte gar keine Zeit, darüber nachzudenken. An der Kunstakademie geht es nicht um das Handwerk, sondern vor allem darum, sich als Künstler selbst zu finden.

Das schafft eine ganz besondere Atmosphäre, die für mich sehr wichtig war. Ebenso wichtig war die Phase, in der ich mich viel mit Philosophie und Literatur beschäftigt habe. Davon geblieben ist die Erkenntnis, dass alles eine Suche ist. Diese Suche begleitet mich immer.

Rhythmus Beim Arbeiten habe ich keinen festen Rhythmus. Wenn ich aber arbeite, dann ist das sehr intensiv – ich muss mich ganz auf das Kunstwerk und meinen Ausdruck konzentrieren. Es gibt zum Beispiel meine Häuserserie, bei der sich in jedem Bild die Form eines Hauses wiederfindet. Vorher habe ich mehr figurative Geschichten auf der Leinwand erzählt, doch durch den Malprozess kam diese Form zum Vorschein. Sie war anfangs eine unbewusste Form. Im Laufe der Arbeit habe ich aber bewusst reflektiert, warum ich sie gewählt habe.

Für mich bedeuten Häuser Unsicherheiten in der Sicherheit und Sicherheiten in der Unsicherheit und das alles in jener Schutzhülle Haus, die eigentlich keine ist. Diese Erkenntnis ist sehr bipolar und berührt globale Lebensfragen, aber es passt dazu, dass ich mich als universeller Künstler sehe. Dabei haben die Bilder dieser Serie eine ganz unterschiedliche Farbigkeit.

Der Umgang mit Farbe ist unglaublich wichtig für mich, weil ich so eine große Sinnlichkeit erwecken kann. Farbzusammenhänge können philosophisch-nachdenklich wirken, aber auch sehr hell werden. So gibt es zahlreiche Brüche und Widersprüche in den Farben. Der Umgang mit ihnen, mit der Oberfläche und der Tiefe, die Farben erzeugen, beschäftigt mich stark, weil alles zusammen auch so emotional ist. Farben wirken auf das emotionale Innenleben eines Menschen.

Judentum Privat sehe ich das Judentum nicht als existenzialistischen Wert. Ich nehme Bezug auf die Kultur, auf das, was sie hervorgebracht hat. Für mich wird das Jüdische durch die Suche ausgemacht, durch die Konfrontation mit dem Anderen.

Bei mir ist das nicht angegliedert an eine religiöse Ebene, sondern an das Essenzielle des Jüdischen: die Abwendung von sich selbst und seiner Kultur, in deren Tradition man trotzdem bleibt. Man wendet sich von dieser Tradition ab und ist der Suche trotzdem verhaftet. Man versucht, diese 1000 Kilo abzuwerfen, und ist nicht der Erste, der das versucht hat. So negiert man sich selbst, um etwas schaffen zu können.

Am Judentum hat mich immer das Wissen interessiert, der Talmud und seine Wirkung auf mich. Diese Wirkung zeigt sich zum Beispiel in meiner Serie »12 Stämme«, bei der ich nicht illustrativ oder historisch gearbeitet, sondern mich ganz frei der Kunst gewidmet habe.

dialog In einer anderen Serie beschäftige ich mich mit dem Maler Felix Nussbaum und dem ihm gewidmeten Haus in Osnabrück. Dieses wurde von Daniel Libeskind entworfen – seine Architektur mit ihren labyrinthischen Linien hat Eingang in meine Arbeit gefunden. Zudem sind die Bilder schwarz-weiß, ein für mich anderer Umgang mit Farbe, der an die Schwarz-Weiß-Filme des vergangenen Jahrhunderts erinnert. Schaut man sich einen Film jener Zeit an, vermitteln die gebrochenen Bilder einen Eindruck des Unfertigen, den ich in diesen Arbeiten aufgreife.

Meine Ausstellung im Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten ist nun sehr interessant für mich, da das Haus ein kulturgeschichtliches Museum ist. Aber das passt, da ich mich mit den philosophischen Hintergründen des Jüdischen beschäftigt habe. Zudem finde ich es spannend, mit so einem Museum in einen anderen Dialog zu treten.

Nicht zuletzt kann ich mit der Schau zeigen, dass das Jüdische weiterleben kann – für mich ein sehr existenzialistisches Kunstverständnis.

Aufgezeichnet von Alice Lanzke.

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