Rheinland-Pfalz

Erstes jüdisches Welterbe

Eingang zur Mikwe in Speyer: Sie entstand in den Jahren 1110–1120. Foto: picture alliance/dpa

Die alten jüdischen Friedhöfe in Mainz und Worms, die Wormser Synagoge und der Speyrer Judenhof mit seiner Mikwe aus dem 12. Jahrhundert dürften seit Dienstag vergangener Woche in Deutschland und der Welt um einiges bekannter geworden sein: Die nach den Anfangsbuchstaben der mittelalterlichen Städtenamen benannten historischen »SchUM«-Stätten in den Städten Speyer (Spira), Worms (Warmaisa) und Mainz (Magenza) wurden als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt – und sind damit das erste jüdische Welterbe Deutschlands. In der jüdischen Gemeinschaft wurde diese Nachricht auch über Rheinland-Pfalz hinaus mit Freude aufgenommen.

Kultur Gerade im Festjahr »1700 Jahre jüdisches Lebens in Deutschland« sei die Entscheidung der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO) »ein wichtiges Zeichen, dass jüdisches Leben, Religion und Kultur seit vielen Jahrhunderten Bestandteil dieses Landes sind«, sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Damit würdige die UNESCO die Bedeutung der Zentren jüdischer Gelehrsamkeit des Mittelalters in den SchUM-Städten, betonte Schuster.

Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER) und Oberrabbiner von Moskau, begrüßte ebenfalls die Entscheidung und würdigte die historische Bedeutung der SchUM-Stätten: »Europas Juden freuen sich über diese wichtige Anerkennung der UNESCO.« Sie markiere, »welchen wertvollen Beitrag jüdische Kultur seit vielen Jahrhunderten auch für Europas Kultur leistet«. »Die drei Städte Speyer, Worms und Mainz gehören zur Wiege des Judentums in Europa«, so Goldschmidt.

»Für uns ist die Entscheidung ein Grund, stolz zu sein.«

Avadislav Avadiev

»Für uns und für die jüdische Glaubensgemeinschaft in Deutschland und Europa ist die Entscheidung der UNESCO ein Grund, stolz zu sein«, sagte Avadislav Avadiev, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz, der Jüdischen Allgemeinen. Die ganze Welt schaue nun auf die jüdischen Welterbe-Stätten in Rheinland-Pfalz: »Wir stehen im Fokus.« Es sei daher auch ein großer Gewinn für die Städte Mainz, Speyer und Worms, so Avadiev. »Mit der Anerkennung der SchUM-Stätten verbinden die jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz die große Hoffnung, dass wir in diesem Land richtig sind, dass wir hierher gehören.«

touristen »Dies ist ein Tag großer Freude«, sagte auch Anna Kischner, Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mainz und Worms. Die Gemeinde sei »stolz darauf, dass wir Juden zum weltweiten Ansehen von Rheinland-Pfalz beitragen können«. »Mögen die Blicke der Touristen angesichts der mittelalterlichen Vermächtnisse geweitet werden für die Schönheit unserer Kultur, mögen sie die Zusammenhänge erkennen und Botschafter werden nicht nur für die mittelalterlichen SchUM-Gemeinden, sondern auch für uns, für die jüdischen Leute, die heute hier am Rhein leben«, betonte Kischner.

Auch Avadislav Avadiev erwartet ein gesteigertes touristisches Aufkommen in Speyer, Worms und Mainz: »Schon jetzt beobachte ich ein wachsendes Interesse seitens der nichtjüdischen Gesellschaft an jüdischer Geschichte und jüdischem Leben. Die Anfragen an die Gemeinden häufen sich.« Auch Reise- und Touristikunternehmen zeigten ein erhöhtes Interesse. »Dieser steigenden Nachfrage müssen wir gerecht werden. Wir brauchen Menschen vor Ort, die all die Fragen beantworten können«, betonte Avadiev.

Sichtbarkeit »Die Verleihung des Welterbe-Status ist eine überfällige Entscheidung, die absolut verdient ist und diesem großartigen jüdischen Erbe gerecht wird«, sagte Aron Schuster, Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), der Jüdischen Allgemeinen. Mit der Anerkennung der SchUM-Städte als UNESCO-Weltkulturerbe sei es möglich, »die Vergangenheit dieses weltweit einmaligen Erbes zu bewahren, es heute sichtbarer zu machen und daraus für die Zukunft zu lernen«.

»Aufgrund der geografischen Nähe des Max-Willner-Heims, der zentralen Freizeit- und Bildungsstätte der ZWST in Bad Sobernheim, sind die SchUM-Städte seit Langem regelmäßiger Bestandteil unserer Bildungsprogramme für Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene«, erläuterte Schuster. »Neben Besuchen der Stätten kooperieren wir auch mit dem SchUM-Städte e.V. und binden Referentinnen und Referenten des Vereins in unsere Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen ein.« Es sei beabsichtigt, die SchUM-Stätten noch stärker in die Kinder- und Jugendarbeit der ZWST einzubeziehen.

Heimat Anna Kischner betonte ebenfalls die Bedeutung der Welterbe-Stätten für das heutige Gemeindeleben: »Für uns als Jüdische Gemeinde, Inhaberin der SchUM-Stätten in Worms und Mainz, ist SchUM historisches, kulturelles und in manchen Überlieferungen auch noch immer lebendiges Judentum«, sagte sie. »Die SchUM-Stätten erzählen nicht nur uns Juden vom jüdischen Leben und jüdischer Geschichte, von Wurzeln in Aschkenas und von den Hoffnungen und Wünschen, am Rhein als Ansche Rhenus (›ferne‹ Bewohner des Rheins) eine Heimat zu finden«, erklärte Kischner in einem Beitrag für die Gemeindewebseite.

Der Friedhof in Worms bildet die Gemeinden über Jahrhunderte ab.


Der Friedhof in Worms bilde die Gemeinde über Jahrhunderte ab – »wir sehen jeden Grabstein als Dokument, dass dieser Platz den Toten auf ewig gehören soll«, heißt es darin weiter. »In Mainz sehen wir auch die Leerstellen, die vom Abräumen und Verbauen der Steine erzählen«, schreibt Kischner. Der Mainzer Denkmalfriedhof berichte von Generationen Gelehrter sowie von Frauen und Männern mit hoher Reputation.

Hochzeiten »Wenn ich an die Mikwen in Speyer und Worms denke, so sehe ich viele Generationen Frauen, die dort untertauchten, sich vielleicht auf ihre Hochzeit vorbereiteten. Ich höre diese Frauen, wie sie miteinander sprechen, wie sie sich über Sorgen und Freuden austauschen und diese Mikwen zu einem sozialen Ort machten«, so die Mainzer Gemeindevorsitzende.

Avadislav Avadiev blickt unterdessen bereits auf Dinge, die der Anerkennung der SchUM-Stätten als Weltkulturerbe folgen könnten: »Der Tourismus wird sich entwickeln. Davon werden auch die Städte profitieren. Über die Anerkennung können wir zudem UNESCO-Fördergelder beantragen, etwa für die Instandhaltung der historischen Stätten.« Erst einmal gelte es aber zu begreifen, »was diese Entscheidung bedeutet und über welche Schätze wir nun verfügen«.

Einen historischen Schatz birgt auch die thüringische Landeshauptstadt. Die Alte Synagoge und Mikwe in Erfurt könnten im nächsten Jahr ebenfalls den Weltkulturerbe-Status erlangen. Wie kürzlich bekannt wurde, findet die entscheidende Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees im Juni 2022 im russischen Kasan statt.

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 02.11.2025

Hund, Katze & Co

Beste Freunde

Wenn Tiere Familie werden: Gemeindemitglieder erzählen vom leisen oder lauten Glück, mit Vierbeinern zu leben

von Christine Schmitt  02.11.2025

Berlin

Parfüm mit Geschichte

Das israelische Label Zielinski & Rozen stellte seine Duftkollektion vor, die 1905 in Jaffa kreiert wurde

von Alicia Rust, Erez Zielinski Rozen, Gemeinde Berlin, Parfüm  02.11.2025

Feier

Zusammenhalt und Zuversicht

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern lud zum Neujahrsempfang in den Hubert-Burda-Saal

von Esther Martel  02.11.2025

Auszeichnung

Die Frau mit den Blumen

Zwei Jahre lang ging Karoline Preisler auf anti-israelische Demonstrationen, um auf das Schicksal der Geiseln aufmerksam zu machen. Jetzt erhält sie den Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden

von Michael Thaidigsmann  02.11.2025

Interview

»Wir hatten keine Verwandten«

Erst seit einigen Jahren spricht sie über ihre jüdischen Wurzeln: Bildungsministerin Karin Prien erzählt, warum ihre Mutter davon abriet und wann sie ihre eigene Familiengeschichte erst begriff

von Julia Kilian  02.11.2025 Aktualisiert

Nachruf

Gestalter mit Weitblick

Für Jacques Marx war die Gemeindearbeit eine Lebensaufgabe. Eine persönliche Erinnerung an den langjährigen ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen

von Michael Rubinstein  30.10.2025

Ehrung

Demokratiepreis für Graphic Novel über Schoa-Überlebende

Die Schoa-Überlebenden Emmie Arbel gewährte Zeichnerin Barbara Yelin vier Jahre lang Einblicke in ihr Leben

 30.10.2025

Schwielowsee

Shlomo Afanasev ist erster orthodoxer Militärrabbiner für Berlin und Brandenburg

Militärrabbiner gibt es bereits in Deutschland. Nun steigt der erste orthodoxe Rabbiner bei der Bundeswehr in Brandenburg ein

 29.10.2025