Brit Mila

Erklären und verlinken

Online: Über Facebook vernetzen sich Beschneidungsbefürworter. Foto: Fotolia, (M) Frank Albinus

Brit Mila

Erklären und verlinken

Eine Facebook-Gruppe kämpft um Versachlichung der Beschneidungsdebatte

von Elke Wittich  13.08.2012 19:39 Uhr

Als Tamara Guggenheim vom Kölner Beschneidungsurteil erfuhr, war sie »schockiert, wütend und verletzt. Schockiert, weil ich nicht gedacht hätte, dass so etwas möglich ist. Wütend, weil mich das im Prinzip als Kriminelle stigmatisiert, nicht nur, weil ich meine Söhne beschneiden ließ, sondern auch, weil ich das vertrete. Religiös, persönlich und als Religionslehrerin. Verletzt, weil ich dieses Urteil als massiven Angriff erlebe.«

Auch ihr Freundeskreis sei zunächst wie gelähmt gewesen, berichtet sie weiter. Die Religionslehrerin der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf wurde aktiv – und gründete die Facebook-Gruppe »Für Elternrecht und Religionsfreiheit«. Sie habe »mit der Ohnmacht, die ich empfand, nicht allein sein wollen«, und das Ziel verfolgt, »zusammen mit anderen nach Lösungen zu suchen«. Und außerdem gebe es einen privaten Grund: »Meine Nichte ist schwanger, Nichte und Neffe führen ein religiöses Leben und haben sich vor Kurzem entschlossen, ihre Kinder in Deutschland großzuziehen. In welcher Krise diese Familie jetzt ist, kann man sich ja leicht vorstellen.«

offener Brief Die bis zum Dienstag 1.066 Mitglieder zählende Gruppe arbeitet konzentriert zusammen: Man sammelt Statements von Politikern und Abgeordneten zum Thema Beschneidung, verlinkt Artikel, postet Dokumente, gibt sich gegenseitig Tipps, wie man die religiöse Bedeutung der Beschneidung am besten erklären kann und hat sogar einen Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel entworfen.

Darin wird vor allem das Argument des Kindesmissbrauchs widerlegt: »Die Beschneidung ist kein Instrument der Eltern zur sexuellen Unterdrückung, Entwürdigung oder Verstümmelung ihrer eigenen Söhne, sondern ein Akt, der die Körper der Jungen vollständig werden lässt: Sie werden durch eine Beschneidung zu einem selbstverständlichen Teil ihrer Religionsgemeinschaften, ebenso wie sie selbstverständlich eine Muttersprache erlernen. Nicht die Eltern, sondern eine Gesellschaft, die muslimischen und jüdischen Jungen eine solche selbstverständliche religiöse und soziale Identität verweigert, verletzt ihre Würde«, heißt es darin.

Die Vorurteile, gegen die man gemeinsam anzukämpfen versucht, seien abstrus. In Foren behaupten Beschneidungsgegner zum Beispiel, beschnittene Männer seien bekanntlich nicht in der Lage, Rad zu fahren, seien generell schwer traumatisiert oder unfähig, ein sexuell erfülltes Leben zu führen. Guggenheim seufzt: »Ich kenne niemanden, wirklich niemanden, der leidet oder sich wünscht, nie beschnitten worden zu sein. Das ist etwas, wobei sich mir die Haare sträuben. Unsere Jungen wissen nach Auffassung der Gegner gar nicht, wie schlecht es ihnen geht – wirklich anmaßend.«

Selbstverständlichkeit Häufig wird auch verbreitet, dass Juden vom Beschneidungsurteil kaum betroffen seien, da die jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion ihre Jungen nur sehr selten beschneiden ließen. Das sei Unsinn, sagt Guggenheim, in der Düsseldorfer Gemeinde unterrichte sie beispielsweise rund 100 Kinder, »die meisten sind aus der ehemaligen SU, und unter ihnen sind zwei oder drei, die nicht beschnitten sind. Deren Väter sind nicht jüdisch und wollten das einfach nicht.« Das wisse sie, weil es eben zu ihren Aufgaben gehöre, »die Bedeutung und die Selbstverständlichkeit der Brit zu lehren, und weil die Kids natürlich darüber reden«.

In der Facebook-Gruppe sind nicht nur Juden, sondern auch Muslime aktiv. Abdullah Nsair, Student der Solarenergie-Technik an der TU Berlin, erfuhr durch einen jüdischen Freund von der Initiative. »Und weil die Gruppe ein Beispiel für die Zusammenarbeit von Juden und Muslimen ist, habe ich auch andere eingeladen, mitzumachen«, sagt er. »Wie wichtig Facebook ist, haben wir ja beispielsweise alle während des Arabischen Frühlings erlebt.« Er wünsche sich viel mehr solcher Aktivitäten für Muslime und Juden, »denn es ist ganz wichtig, dass wir zusammenleben, uns respektieren und einander helfen«.

Unter seinen Kommilitonen sei die Beschneidung kein großes Thema, berichtet der 25-jährige Jordanier. »In den technischen Fakultäten redet man meistens nur über Technik. Wenn ich sage, beschnitten zu sein, gehört zu meinem Glauben, dann wird das so akzeptiert.«

Schock Auch Safija Redzovic-Novalic ist Muslimin, sie erfuhr durch ihre Nachbarin Tamara Guggenheim von der Existenz der Facebook-Gruppe. »Gänsehaut rauf und runter« habe sie gehabt, als sie vom Kölner Urteil hörte, »ich konnte es nicht fassen«. Julia Konnik, die Frau des Potsdamer Gemeinderabbiners, war dagegen zunächst ganz ruhig, als sie vom Urteil hörte. Sie habe gedacht: »Jetzt werden alle (Juden) auf die Palme gehen, aber es ist doch nur ein trockenes juristisches Urteil, betrifft uns nur nebenbei.« Der Schock habe eingesetzt, »als dem nicht so war und die ganze absurde Debatte ins Rollen kam«. Vermehrte Anfeindungen habe sie, die sich den größten Teil ihrer Zeit in Berlin aufhält, nicht erlebt. »Hier in Mitte ist so ziemlich heile Welt. Meine Kinder tragen Kippa, mein Sohn spielt mit deutschen, palästinensischen und türkischen Jungs Fußball im Innenhof des Hauses.« Trotzdem: »Ein ungutes Gefühl ist geblieben.«

Facebook-Gruppen ziehen grundsätzlich immer auch diejenigen an, die gegnerische Positionen vertreten. Bei »Für Elternrechte und Religionsfreiheit« war das nicht anders. Sie habe zu Beginn versucht, mit einigen zu diskutieren, schildert Guggenheim, »aber es fehlt an der Bereitschaft, einfach nur das Andersdenken zu respektieren. Einige denken tatsächlich, dass Beschneidung und Klitorisverstümmelung auf gleicher Ebene sind – da graust es mir wirklich –, die meisten aber meinen, dass wir alle archaische Barbaren sind.« Insgesamt beobachtet Guggenheim die in Deutschland geführte Debatte mit einigem Bangen: »Vieles von dem, was ich lese, erzeugt bei mir zunehmend das Gefühl, dass hier etwas entfesselt wurde, was eine gefährliche Dynamik entwickelt – und dieser Mainstream wird immer stärker.«

Dabei solle ja gerade die Religionsfreiheit eine Minderheit schützen. So heißt es in dem Offenen Brief: »Es ist ein zentrales Anliegen des Menschenrechts auf Religionsfreiheit, nicht den Vorstellungen einer Mehrheit folgen zu müssen, sondern für sich das Recht auf ein Leben nach eigenen, dem eigenen Selbstverständnis verpflichteten religiösen Handlungen in Anspruch nehmen zu können.« Und gerade damit erweise sich der Grundrechtsschutz in seiner zentralen Funktion als Schutz der Minderheit.

Varianten Esther Kontarsky ließ ihre drei Söhne beschneiden, »einen durch einen traditionellen Mohel und Arzt, einen durch einen Chirurgen, und den dritten durch eine Mohelet und Ärztin. Einmal ohne örtlich zu betäuben, zweimal mit.« Die Betreuerin der Mikwe in der Oranienburger Straße in Berlin würde heute »immer die erste Variante wählen, unter der Voraussetzung, dass es ein traditioneller erfahrener Beschneider und Arzt ist. Die örtliche Betäubung bei meinem Säugling war in meinen Augen – sicher auch in seinen – eine Tortur.« Außerdem dauere es so viel länger.

Die Beschneidung sei entgegen dem, was Gegner glauben, keine Misshandlung: »Das Missverständnis liegt meiner Meinung nach darin, dass die Misshandlung von Kindern Ausdruck einer tiefgreifenden Missachtung des Individuums ist, die Brit ist jedoch das genaue Gegenteil.« Menschsein habe »relativ wenig mit Beliebigkeit zu tun. Es ist eben nicht alles egal. Ein sich selbst überlassenes Kind hat nicht automatisch den idealen Kompass, von dem die Romantiker unter den Entwicklungspsychologen so gerne träumen. Das Judentum, jüdische Existenz ist eine sehr gesellige und gruppenbezogene Angelegenheit. Und natürlich wünschen sich die meisten unter uns, das Kind möge zu Tora, Chuppa, einer jüdischen Hochzeit und guten Taten heranwachsen.«

Wenn jüdisches Leben in Deutschland möglich sein soll, so müsse es gerade jetzt geschützt werden, heißt es in dem Offenen Brief weiter. »In der öffentlichen Diskussion wird immer wieder betont, dass die Bedürfnisse und Traditionen der beteiligten Religionsgemeinschaften berücksichtigt werden sollen. Diese Berücksichtigung soll allerdings nach den Vorgaben der Mehrheitsgesellschaft erfolgen. Geschützt wird in einer solchen Gesellschaft nicht ›jüdisches und islamisches Leben im Rahmen der deutschen Rechtsordnung‹ – geschützt wird der Traum von einem Land, in dem ausschließlich die Deutungsmuster und Körper der Mehrheitsgesellschaft existieren können.« Die Diskussion geht weiter.

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