Rostock

Erinnern im Waggon

Wenn sich Jurymitglieder bei der Wahl eines Preisträgers derart einig sind wie in Rostock bei der Vergabe der Richard-Siegmann-Medaille, muss der Gewinner etwas Besonderes zu bieten haben. Erst recht, wenn bereits die Projekte der Mitbewerber eine bestechende Qualität besitzen.

Bei der Festveranstaltung der Siegmann-Stiftung vergangene Woche auf dem Gelände der Rostocker Straßenbahn AG stellte deshalb auch niemand infrage, dass zum ausgeschriebenen Thema »Jüdisches Leben« nur die Projektgruppe »Kriegsgräber« für die mit 3.000 Euro dotierte Medaille ausgewählt worden war.

Seit fast zehn Jahren betreibt die Geschichtslehrerin Petra Klawitter mit 15 Schülern der Verbundenen Regionalschule Rövershagen (Landkreis Bad Doberan) historische Forschungsarbeit. Was mit der Pflege von Kriegsgräbern begann – daher der Name –, entwickelte sich zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Juden in und um Rostock während der NS-Zeit.

Im Mittelpunkt der Arbeit stand zwei Jahre lang das »Mahnmal Eisenbahnwaggon«. »Wir haben lange suchen müssen, um einen entsprechenden Wagen zu finden«, sagt Klawitter. »Bei einem Verein in Röbel entdeckten wir schließlich einen mit vergitterten Luken, mit dem Zwangsarbeiter verschleppt und Juden deportiert worden sein sollen.«

unterstützung In mühevoller Kleinarbeit hoben die jungen Leute auf dem Schulhof ein Gleisbett aus und restaurierten den Waggon. Unterstützt wurden die Jungen und Mädchen nicht nur von Unternehmen der Region, sondern auch von der Bundeswehr. Soldaten brachten den Waggon aus dem Landkreis Müritz an die Ostseeküste.

Schon die zweite Ausstellung im Inneren des Wagens befasste sich mit den Verbrechen der Nazis an europäischen Juden. »Züge ins Grauen« wurde zum Gedenktag am 27. Januar diese Jahres gezeigt. Parallel dazu hatte die Projektgruppe an Gedenktafeln entlang eines bei Rövershagen gelegenen Rundwegs gearbeitet, die an ein Außenlager des KZs Ravensbrück erinnern. Dort leisteten vor allem Frauen für die Heinkel-Werke Zwangsarbeit. Die Schüler erinnern sich an äußerst emotionale Begegnungen mit der Holocaust-Überlebenden und israelischen Kinderbuchautorin Batsheva Dagan, die die Schule in diesem Jahr besuchte.

Treffen Derzeit läuft ein Projekt mit Berliner Jugendlichen und einer Gruppe aus dem israelischen Jugenddorf Ben Shemen, das auch gegenseitige Treffen beinhaltet. Hierbei soll das Leben des Jugenddorfgründers Siegfried Lehmann beleuchtet werden. Geplant ist darüber hinaus ein Buch über den israelischen Schriftsteller und Schoaüberlebenden Noah Klieger, der auf seiner Lesereise demnächst auch bei den Schülern in Rövershagen Station machen wird.

Stolz nahm Petra Klawitter die Ehrung aus den Händen des Vorsitzenden des Stiftungskuratoriums, Hajo Graf Vitzthum, entgegen. Zwei Jugendliche machten deutlich, wie wertvoll die Arbeit in der Projektgruppe für ihre persönliche Entwicklung sei. Rebecca Zube (16) meinte: »Es war faszinierend, als Batsheva Dagan trotz ihrer erduldeten Schicksalsschläge sagte: ›Ich liebe das Leben.‹«

Förderpreise Außer der Medaille vergab die Siegmann-Stiftung vergangene Woche auch drei Förderpreise, die mit jeweils 500 Euro dotiert sind: Einer ging an Juri Rosov vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde Rostock. Er erhält ihn für die Entwicklung der Synagoge in der Hansestadt. Einen weiteren Förderpreis bekam das Rostocker Jüdische Theater »Mechaje« für das Zirkusstudio »Wölkchen«, in dem Kinder unterschiedlicher Herkunft zusammengebracht werden. Außerdem ging ein Förderpreis an den 59-jährigen Udo Klacak. Er hat eine 200 Seiten starke Dokumentation zum jüdischen Leben in Rostock erarbeitet.

An der Festveranstaltung nahm auch der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, teil. Wie er sagte, habe er vor der Einladung nach Rostock noch nichts von Richard Siegmann gewusst, nach dem die Stiftung benannt ist. Kramer sagte, er sei beeindruckt gewesen, als er mehr von dem Unternehmer erfahren habe, der ein verdienter jüdischer Bürger der Hansestadt gewesen ist.

Siegmann Als 26-Jähriger hatte Siegmann die Leitung der Rostocker Straßenbahn AG übernommen und betrieb von Anfang an ihren energischen Ausbau. Er arbeitete auch in Ehrenämtern und war angesehenes Mitglied der Rostocker Bürgerschaft. 1935 wurde Siegmann von den Nazis aus sämtlichen Ämtern gedrängt und 1943 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Dort verhungerte er.

Die nach ihm benannte Stiftung wurde im November 2004 gegründet. Das Grundvermögen brachte die Rostocker Straßenbahn AG ein. Die Idee zu der Stiftung entstand bei der 100-Jahr-Feier zur Elektrifizierung der Rostocker Straßenbahn vor sechs Jahren. Die Stiftung möchte Leistungen auf wirtschaftlichem, sozialem oder kulturellem Gebiet sowie demokratisches Engagement fördern.

www.siegmann-stiftung.de

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 27. November bis zum 3. Dezember

 27.11.2025

Mitzvah Day

Grünes Licht

Jüdische Gemeinden und Gruppen gestalteten deutschlandweit den Tag der guten Taten

von Katrin Richter  27.11.2025

Düsseldorf

Cooler Kick

Beim Ilan Fiorentino Cup kamen im Gedenken an Spieler aus dem Kibbuz Nahal Oz Israelis, Exil-Iraner und das NRW-Landtagsteam zu einem Freundschaftsturnier zusammen

von Jan Popp-Sewing  27.11.2025

München

Uschi Glas: Christen müssen jüdische Mitbürger schützen

Uschi Glas mahnt Christen zum Schutz von Juden. Sie warnt vor neuer Ausgrenzung und erinnert an eigene Erfahrungen nach dem Krieg. Was sie besonders bewegt und warum sie sich Charlotte Knobloch verbunden fühlt

von Hannah Krewer  27.11.2025

Berlin

Es braucht nur Mut

Das Netzwerk ELNET hat zwei Projekte und einen Journalisten für ihr Engagement gegen Antisemitismus ausgezeichnet. Auch einen Ehrenpreis gab es

von Katrin Richter  26.11.2025

Feiertage

Chanukka-Geschenke für Kinder: Augen auf beim Kauf

Gaming-Konsole, Teddybär oder Carrera-Bahn - Spielzeug dürfte bei vielen Kindern auf dem Wunschzettel stehen. Worauf zu achten ist - und wann schon der Geruch stutzig machen sollte

 26.11.2025

Orange Day

Palina Rojinski spricht über Gewalt in früherer Beziehung

Wie viele Frauen hat auch die Moderatorin einst in einer Beziehung Gewalt durch ihren Partner erfahren. Darüber spricht sie nun auf Instagram. Sie will anderen Mut machen, sich Hilfe zu holen

 25.11.2025

Entscheidung

Berlin benennt Platz nach Margot Friedländer

Jahrzehntelang engagierte sich die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer für Aussöhnung. Nun erfährt die Berlinerin nach ihrem Tod eine besondere Ehrung

 26.11.2025 Aktualisiert