EILMELDUNG! Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer (103) ist tot

Bechhofen

Einsatz auf dem Friedhof

Arbeit getan: Ruth und Aaron Bruck Foto: epd

Es ist früh am Morgen, ein kühler Wind weht an diesem Sommertag durch die jahrhundertealten Baumwipfel auf dem jüdischen Friedhof im mittelfränkischen Bechhofen. Die Sonnenstrahlen fallen auf die Grabinschriften. Aaron und Ruth Bruck sind schon bei der Arbeit, reinigen die Steine, fotografieren und dokumentieren sie.

Bereits seit drei Jahren kommt das Ehepaar aus Jerusalem im Sommer in den Ort bei Ansbach. »Wir haben uns gefragt, da wir beide schon in Pension sind, was wir für die Ewigkeit tun können«, sagt der 69-jährige ehemalige Bankdirektor Bruck.

8.000 Grabsteine Der jüdische Friedhof in Bechhofen ist der zweitgrößte in Bayern. Seit 1595 fanden hier Bestattungen statt. Der älteste Grabstein stammt aus dem Jahr 1602. »Der war ganz schwarz und schmutzig und die Inschrift nicht mehr zu lesen«, sagt Aaron Bruck. Juden aus einem Umkreis von rund 40 Kilometern wurden hier bestattet. Insgesamt waren es wohl 8.000 Grabsteine. Doch sie sind im Laufe der Jahrhunderte verwittert oder für immer im Boden versunken.

Heute ragen noch ungefähr 2.400 Grabsteine aus einem Teppich aus Farnen und Gräsern hervor. Mit Wasser und einem weichen Schwamm säubert das Ehepaar jeden Grabstein. Bei manchen Steinen habe die Reinigung fast eine Woche Zeit
gekostet, erzählt die 68-jährige Ruth Bruck, die früher als Lehrerin gearbeitet hat.

Dokumentation Vor einigen Jahren hatte das Ehepaar, das deutsche Wurzeln hat, bei einem Besuch in München von dem jüdischen Friedhof in Bechhofen gehört. Vorher hatten sie schon die jüdischen Friedhöfe im schwäbischen Ichenhausen und im mittelfränkischen Pappenheim dokumentiert.

In den frühen Morgenstunden sieht man nur Buchstabenschemen auf dem Grabstein. Erst mittags, wenn die Sonne direkt auf den Stein scheint, kann man die hebräische Inschrift lesen. Der Verstorbene sei ein sehr anständiger Mensch gewesen, der armen Menschen geholfen habe, übersetzt Bruck.

Die Grabsteine ärmerer Menschen wurden nur mit einem Messer bearbeitet. »Alle waren gleich, aber nicht punktgleich«, meint Bruck schmunzelnd. »Wir wollen das dokumentieren, weil in zehn Jahren die Inschriften fast überhaupt nicht mehr zu lesen sein werden.« Manche Grabmale aus Solnhofener Kalkstein »sind sehr gut erhalten«, sagt Ruth Bruck. Andere aus Sandstein zerfallen.

Gedenksteine Auf einigen Stelen liegen kleine Steinchen, die von den Familien der Verstorbenen mitgebracht wurden. »Jeder gibt einen Stein von Herzen und platziert ihn oben auf dem Grabstein«, erklärt Bruck. Einige Gedenksteine sind mit Symbolen verziert. Zerbrochene Blumen, eingraviert auf der Ruhestätte einer Frau, stünden beispielsweise dafür, dass sie sehr jung verstorben sei, erklärt Bruck.

Besonders mitgenommen haben Ruth und Aaron die Hunderte von Grabmalen aus dem 19. Jahrhundert, die Kindern gewidmet sind. Damals habe wohl eine Epidemie gewütet, vermuten die Brucks. »Bei einer Familie sind alle vier Kinder innerhalb eines Jahres verstorben. Das ist schrecklich.«

Im nächsten Jahr will das Ehepaar seine Dokumentation auf dem jüdischen Friedhof abschließen. Unterstützt wird die Arbeit vom »Frankenbund«. Der wurde 1920 in Würzburg gegründet und möchte das kulturelle fränkische Erbe pflegen. Sobald die Dokumentationen im jüdischen Friedhof abgeschlossen sind, soll ein Buch über die Arbeit der Brucks erscheinen. »Wir geben den Toten die Ehre. Und wir hoffen, dass alles so bleibt, wie es jetzt ist«, sagt Ruth. epd

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