München

Eindringliche Warnung

Peter R. Neumann beleuchtet die Gefahren eines neuen Dschihadismus

von Luis Gruhler  06.11.2024 16:43 Uhr

»Wer ein liberales Europa will, muss den Terrorismus bekämpfen«: Peter R. Neumann Foto: IKG München und Oberbayern/ Andreas Gregor

Peter R. Neumann beleuchtet die Gefahren eines neuen Dschihadismus

von Luis Gruhler  06.11.2024 16:43 Uhr

Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr war Ende vergangenen Monats der Terrorismusexperte und Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London, Peter R. Neumann, im Jüdischen Gemeindezentrum zu Gast. Hatte er im Frühjahr über die Terrororganisation Hamas, ihre Vorgeschichte und Hintergründe gesprochen, stellte er dieses Mal sein neues Buch vor, dessen Thesen auf die nahe Zukunft gerichtet sind. Die Rückkehr des Terrors. Wie uns der Dschihadismus herausfordert, so lautet der warnende Titel.

Eingeladen hatten Neumann erneut das Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern unter Leitung von Ellen Presser und die Vorsitzende der Münchner Arbeitsgruppe der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Bettina Nir-Vered. In ihrer Einleitung verdeutlichte Nir-Vered, wie sich die Gefahrenlage seit dem Frühjahr verändert hat. Mit dem Krieg gegen die Hisbollah im Libanon habe Israel es nun mit einer weit wirkmächtigeren Terrororganisation aufgenommen. Der Terror sei aber, so Nir-Vered, auch näher an Deutschland herangerückt, wie die Messeranschläge in Mannheim und Solingen und der versuchte Anschlag in München und auf Bundeswehrsoldaten im oberfränkischen Hof drastisch gezeigt hätten.

»Wer Schlimmeres verhindern möchte, muss also jetzt handeln«

Die grundlegende These, die Neumann aus seinem Buch präsentierte, lautet, dass Terroranschläge in Wellen auftreten und wir uns in der jetzigen Situation am Beginn einer solchen neuen Welle befinden. »Wer Schlimmeres verhindern möchte, muss also jetzt handeln«, so Neumann. Auslöser für eine neue Welle sei jeweils ein einschneidendes Ereignis. Die Anschläge in New York am 11. September 2001 waren ein solches Ereignis, auf das ein Jahrzehnt mit Terroranschlägen in Europa folgte, die sich erst zum Ende der Dekade erschöpften.

Mit dem Bürgerkrieg in Syrien habe 2011 eine Phase eingesetzt, die ebenso nach etwa zehn Jahren an ein Ende gekommen sei. Dass der 7. Oktober 2023 ein solch neuer Kristallisationspunkt sei, so Neumann, zeigten auch die Zahlen. Gab es im gesamten Jahr 2022 in ganz Europa zwei ausgeführte und vier geplante Anschläge, so waren es in der Zeit seit dem 7. Oktober neun Anschläge und 25 Anschlagsversuche. Etwa 40 Prozent davon richteten sich gegen jüdische oder israelische Einrichtungen, verdeutlichte Neumann.

Neumanns grundlegende These: Wir befinden uns gerade am Beginn einer neuen Terrorwelle.

Der Kampf gegen Israel liefere den Terroristen ein starkes »Framing«, das zur massiven Mobilisierung, insbesondere auch im Internet führe. Zur schlimmsten Entwicklung gehöre dabei der omnipräsente Genozid-Vorwurf gegen Israel. »Es ist ein Vorwurf, der früher von ganz wenigen Randgruppen erhoben wurde, sich jetzt aber fast schon im Mainstream befindet«, erklärte Neumann. »Dadurch wird es für die Dschihadisten leichter, ihre Gewalt als Notwehr zu rechtfertigen.« Jüdische und israelische Einrichtungen seien als Ziele des Terrors noch stärker in den Fokus gerückt. Wenige Monate nach dem 7. Oktober ist auch die Terrororganisation IS auf den Zug dieser Mobilisierung aufgesprungen.

Im Unterschied zu Hamas und Hisbollah ist die Strategie des IS unabhängig vom Krieg im Nahen Osten. Die Propaganda des IS geht nicht von einem lokal begrenzten Krieg aus, sondern sieht einen globalen Kampf zwischen dem Islam und dem Westen. »Der IS hat am deutlichsten den Zweck des Terrors verstanden«, erklärte Neumann. »Das Ziel ist, Angst und Schrecken zu verbreiten, das Gefühl, es könnte überall etwas passieren.« Verübt werden Anschläge dabei von durch Propaganda inspirierten Einzeltätern, von Tätern, die aus der Ferne über Internetkommunikation angeleitet werden, oder von zentral organisierten Terrorzellen und Netzwerken.

Thema Flucht und Asyl

Bei dem Thema Flucht und Asyl suchte Neumann eine differenzierte Position einzunehmen. »Die allermeisten Flüchtlinge werden nicht zu Terroristen«, unterstrich Neumann. Auch hätten Länder wie Frankreich und Großbritannien, die weniger Flüchtlinge als Deutschland aufgenommen haben, trotzdem ein größeres Terrorismusproblem.

Jedoch zeigten die Zahlen, dass 90 Prozent der Attentäter in Deutschland Asylbewerber oder Flüchtlinge sind. »Wir müssen entweder die Integrationsleistung massiv erhöhen oder die Zahl der Flüchtlinge reduzieren.«

Zunehmend finde sich ein neuer Typus des Attentäters, der jünger und verrohter sei.

Zunehmend finde sich auch ein neuer Typus des Attentäters, der jünger, aber auch verrohter sei. Terror sei hier weniger Ausdruck einer Ideologie als das Ausleben einer Gewaltfantasie. Die Radikalisierung finde dabei auf Internetplattformen wie TikTok, Instagram und Telegram statt. Als Maßnahme forderte Neumann ein erweitertes Eingreifen von »virtuellen Agenten«, die solche Chaträume kontrollieren: »Wir müssen mit den Plattformen viel strenger sein.«

Einen eigenen Abschnitt widmete Neumann auch dem Schattenkrieg des Iran. Gerade für die jüdischen Gemeinden sei dieses Thema von besonderer Bedeutung. Seit 2018 wurden elf Anschläge in Europa gezählt, die als Staatsterrorismus durch den Iran zu bezeichnen sind. Neumann erinnerte insbesondere an den geplanten Anschlag auf drei Synagogen in Nordrhein-Westfalen. Es gelte, die bevorstehende Welle so früh wie möglich zu brechen: »Wer ein liberales Europa erhalten will, muss den Terrorismus bekämpfen.«

Peter R. Neumann: »Die Rückkehr des Terrors. Wie uns der Dschihadismus herausfordert«. Rowohlt Berlin, Berlin 2024, 176 S., 22 €

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