Nachruf

Ein Leben wie auf Zelluloid

Else Siegel war mit Gregory Peck befreundet. Foto: pr

Nachruf

Ein Leben wie auf Zelluloid

Die Würzburgerin Else Blangsted starb 99-jährig in Los Angeles

von Roland Flade  11.06.2020 10:46 Uhr

Drei Wochen vor ihrem 100. Geburtstag ist Else Blangsted am 1. Mai in Los Angeles gestorben. Jahrzehntelang wirkte sie an großen Hollywood-Filmen wie Tootsie und Die fabelhaften Baker Boys mit, doch die Lebensgeschichte von Else Blangsted bietet selbst genug Stoff für einen Hollywood-Film.

Sie wurde am 22. Mai 1920 als Else Siegel in Würzburg geboren. Ihre Eltern waren Siegmund und Lilly Siegel, Tochter des Bankiers Abraham Oppenheimer. Drei Jahre später kam Elses Schwester Margot auf die Welt.

FAMILIE Else besuchte in Würzburg die Israelitische Volksschule und die Mädchen vorbehaltene Sophienschule; sie gehörte dem jüdischen Jugendbund und dem Jüdischen Kulturbund an. Vor Unstimmigkeiten in der Familie zog sich Else gern lesend unter die Bettdecke oder in die Ställe des Vaters zurück, der in der Pferdehandlung der Familie arbeitete und sie 1928 schließlich auch übernommen hatte.

Als 16-Jährige erlebte sie die sportlichen Triumphe von Jesse Owens bei den Olympischen Spielen in Berlin mit.

Während der Olympischen Spiele besuchte sie 1936 Verwandte in Berlin und erlebte den sportlichen Triumph des schwarzen Leichtathleten Jesse Owens mit. Eine aufregende Zeit für die damals 16-Jährige, doch gleichzeitig musste sie feststellen, dass sie schwanger war, was sie ihren Eltern aber verheimlichte.

SCHULAUSBILDUNG Wie bereits vorher geplant, setzte sie ihre Schulausbildung in einem Internat in der Schweiz fort, auch dort verschwieg sie ihre Schwangerschaft und beging einen Selbstmordversuch, indem sie sich in den Schnee legte, um zu erfrieren. Sie überlebte und brachte im März 1937 in einer Schweizer Klinik eine Tochter zur Welt, Lily.

Die Klinikschwestern teilten der jungen Mutter jedoch mit, dass ihr Kind bei der Geburt gestorben sei, warum, wurde nicht geklärt. Else Siegel, die den Namen des Vaters nicht verriet, kehrte nach Deutschland zurück, gepeinigt von der Vorstellung, dass sie durch den Selbstmordversuch den Tod ihres Kindes bewirkt haben könnte.

Einige Monate lebte sie bei einem Onkel in München. Dort arbeitete sie in einem jüdischen Heim für Kleinkinder, deren Eltern verhaftet worden waren. »Die Babys weinten«, berichtete sie Jahrzehnte später dem »New Yorker«. Im August 1937 wanderte Else nach Los Angeles aus. Ihre Eltern und ihre Schwester folgten im Januar 1939, nachdem die Würzburger Wohnung während des Novemberpogroms von 1938 verwüstet und ihr Vater mehrmals verhaftet worden war.

Warum die Klinikschwestern Else Siegel sagten, dass ihr Kind bei der Geburt gestorben sei, wurde nie geklärt.

Bei der Auswanderung der Angehörigen hatte ihr der Gründer der Produktionsfirma Warner Brothers, Harry Warner, geholfen. Der Rabbiner ihrer Gemeinde kannte den Filmproduzenten und hatte Else als Kindermädchen an ihn vermittelt. Dieser stellte eine Bürgschaft für ihre Eltern aus. 1940 heiratete Else den Vater ihrer tot geglaubten Tochter, der zunächst nach Argentinien ausgewandert war; das Paar bekam noch eine zweite Tochter.

HOLLYWOOD In Hollywood arbeitete Else in der Kostümabteilung von Warner Brothers und als Komparsin in Cecil B. DeMilles Monumentalwerk Samson und Delilah (1949). In ihrer Freizeit strickte Else Pullover, die sie bei der Arbeit trug. Filmstars wie Bette Davis bewunderten ihre Strickkünste und bestellten Pullover für sich, und so konnte Else ihr Gehalt aufbessern.

Ihren Durchbruch erreichte Else Siegel 1960, als sie »music editor« für Produktionsfirmen wie Paramount und Columbia wurde. Sie arbeitete mit Regisseuren wie Sidney Pollack, Norman Jewison und Steven Spielberg zusammen. Robert Redford engagierte sie bei seinen Regiearbeiten. Zu ihren Freunden zählte Else Siegel Gregory Peck und Nastassja Kinski.

Nach der Scheidung von ihrem ersten Mann heiratete Else Siegel 1960 den aus Dänemark stammenden Cutter Folmar Blangsted und nahm dessen Namen an.

WIEDERSEHEN Erst 1984 löste sich das Rätsel um die 1937 in der Schweiz geborene Tochter, Lily Kopitopoulos. Mithilfe des American Jewish Committee kam Lily in Kontakt mit der Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS), die nach vermissten Verwandten suchte. Auf Umwegen erfuhr Else Blang-sted von der Anzeige im »Aufbau« und konnte endlich ihre tot geglaubte Tochter treffen.

Nun ist Else Blangsted im Alter von 99 Jahren in Los Angeles gestorben, dort, wo sie sich am meisten zu Hause fühlte. Ihr Enkel Sandy Kopitopoulos hat ihr Leben verfilmt, unter dem Titel A la Recherche d’Else.

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  18.09.2025 Aktualisiert

Berlin

Zentralrat der Juden begeht sein 75. Jubiläum

Die Dachorganisation der jüdischen Gemeinden lud zahlreiche Gäste aus Politik und Zivilgesellschaft nach Berlin. Der Bundeskanzler hielt die Festrede

von Imanuel Marcus  17.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Erinnerung

Eisenach verlegt weitere Stolpersteine

Der Initiator des Kunst- und Gedenkprojekts, Gunter Demnig aus Köln, die Stolpersteine selbst verlegen

 16.09.2025

Porträt der Woche

Passion für Pelze

Anita Schwarz ist Kürschnerin und verdrängte lange das Schicksal ihrer Mutter

von Alicia Rust  16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Sachsen-Anhalt

Erstes Konzert in Magdeburger Synagoge

Die Synagoge war im Dezember 2023 eröffnet worden

 15.09.2025

Thüringen

Jüdisches Bildungsprojekt »Tacheles mit Simson« geht erneut auf Tour

Ziel des Projektes sei es, dem Aufkommen von Antisemitismus durch Bildung vorzubeugen, sagte Projektleiter Johannes Gräser

 15.09.2025