Das vergangene Gemeindewochenende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern war nicht nur Treffpunkt für zahlreiche Gemeindemitglieder – es war auch ein kraftvolles Statement des jüdischen Lebens in München. Bereits zum Auftakt wurde es feierlich: Zum Schabbatessen im prächtig geschmückten Hubert-Burda-Saal begrüßte niemand Geringeres als der aschkenasische Oberrabbiner des Staates Israel, Kalman Ber, die Anwesenden.
Am Samstag luden nach festlichem Schabbat-Gottesdienst und Kiddusch eine Reihe von Workshops zur Teilnahme ein. Das Angebot reichte dabei von Rhetorik-Workshops über thematische Stadtführungen bis hin zu politischen Fragen. So wurde etwa diskutiert, wie sich das jüdische Studentenleben in Zeiten wachsender Bedrohungen behaupten könne und welche Mythen sich über den Nahostkonflikt besonders hartnäckig hielten.
Höhepunkt des Wochenendes bildete zweifellos die Prä-Chanukka-Party am Samstagabend. Aus Israel war dazu der Sänger Imri Ziv angereist, der gemeinsam mit der Showband NOYA hebräische Klassiker und israelische ESC-Songs zum Besten gab. In ihrer Eröffnung betonte IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch die Bedeutung von Chanukka als Symbolfest des Lichts, das dafür stehe, »dass die Finsternis nicht das letzte Wort behält. Das ist jedes Jahr wieder wunderschön – und: Es ist nötig!«
Ehrenpreise wurden verliehen
Wie im Vorjahr wurden im Rahmen der Feier die Ehrenpreise der Kultusgemeinde verliehen, die Uschi Glas, Guy Katz und Jil Meiteles (vertreten von ihrem Vater Benny Meiteles) für ihr Engagement in der Initiative »Run for their Lives« erhielten. Katz erinnerte in seiner Preisrede an die Geschichte seiner Großeltern. Angesichts von allem, was sie durchgemacht hätten, könne er selbst nur fragen: »Und ich soll Angst haben?«
Zum Abschluss des Abends wurde ausgewählten Gemeindemitgliedern, die sich durch besonderes ehrenamtliches Engagement hervorgetan hatten, die Ehre zuteil, insgesamt zwölf »Mizwa-Kerzen« zu entzünden. Vertreten waren Repräsentanten der Chewra Kadischa, des Frauenvereins Ruth, der Mitzwe Makers, der sozialen Klubs der Gemeinde und des Verbands jüdischer Studenten in Bayern.
Andy Weinberger, der gemeinsam mit seiner Frau Ester durch großzügige Zuwendungen die Verpflegung Trauernder ermöglicht, widmete seine Kerze dem im Februar verstorbenen und in der Gemeinde hochgeschätzten David Stopnitzer sel. A.
Die Frage der Heimat: »Müssen wir wieder die Koffer packen?«
Zwei Podiumsdiskussionen beschlossen das Großevent am Sonntag. Im ersten Panel, moderiert von Shahrzad Osterer, diskutierten Manfred Hauser, Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal sowie der Journalist Richard C. Schneider unter dem Titel »Bedroht von allen Seiten?« darüber, »wie radikale Allianzen Gesellschaft, Freiheit und jüdisches Leben herausfordern«.
Tekkal bezog klar Stellung zum vielgestaltigen Antisemitismus, der heute insbesondere von rechtsextremen, islamistischen und auch linksextremen Gruppen komme. Als kurdisch-jesidische Frau, die offen über Antisemitismus spreche, werde sie selbst oft zur Zielscheibe. Richard C. Schneider betonte, dass der Antisemitismus innerhalb der progressiven Linken kein neues Phänomen sei, sondern auch schon zur Zeit des Sechstagekriegs präsent gewesen sei. Hauser und Tekkal warnten vor der Wirkung von sozialen Medien als Brandbeschleuniger politischer Bedrohungen. Dort würden antisemitische Diskurse verstärkt und Vertrauen in die Demokratie untergraben.
Charlotte Knobloch eröffnete die Runde mit einer eindringlichen Ansprache
Im zweiten Panel mit dem Titel »Müssen wir unsere Koffer wieder packen?« kamen Laura Cazés, Autorin dieser Zeitung und Leiterin der Abteilung Kommunikation und Digitalisierung bei der ZWST (Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland), Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, und der österreichische Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici unter Moderation von Awi Blumenfeld ins Gespräch.
Charlotte Knobloch eröffnete die Runde mit einer eindringlichen Ansprache. Nur wenige Stunden nach dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in Sydney fragte sie mit Blick auf den Titel der Veranstaltung, welche Ziele es für jüdische Menschen mit gepackten Koffern noch gebe. In Bezug auf Deutschland betonte die Präsidentin dennoch, das Land habe »bewiesen, dass es sich im Zaum halten kann. Dass es eine jüdische Heimat sein kann und sein will.« Auch wenn dieses jüdische Leben in Deutschland Kraft koste und in einer »Split-Screen-Realität« stattfinde, in der ein umfangreiches Gemeindeleben und barbarische Angriffe auf jüdische Menschen und Einrichtungen nebeneinanderstünden.
Der Rabbiner verband die Zeremonie mit einem Gedenken an die Opfer in Sydney
Laura Cazés verwies darauf, dass viele jüdische Menschen in Deutschland sich die Frage von »bleiben oder gehen« nicht stellten, da sie gar nicht die Möglichkeit, soziale Stabilität oder Mobilität hätten, frei zu wählen, wo sie leben möchten. Nach dem Zerbrechen vieler gesellschaftlicher Allianzen dränge sich, so Doron Rabinovici, ohnehin die Frage auf: »Was tun wir, während unsere Demokratie in Gefahr ist?«
Philipp Peyman Engel beobachtete ein Unsichtbarwerden jüdischer Identität am Beispiel Berlin. Schon lange trage in seinem Umfeld niemand mehr eine Kippa auf der Straße. Er sieht dabei die nichtjüdische Gesellschaft stärker in der Pflicht, Zivilcourage zu zeigen – und zwar nicht nur, wenn die AfD im Fokus steht, sondern auch beim Thema muslimischen und linken Judenhass.
Das anschließende Zünden der ersten Chanukka-Kerze durch Gemeinderabbiner Shmuel Aharon Brodman markierte das Ende des Gemeindewochenendes. Der Rabbiner verband die Zeremonie mit einem Gedenken an die Opfer in Sydney.