München

Ein halbes Jahrtausend Geschichte

Fünfhundert Jahre ist die Bibel alt, ein handwerkliches Meisterstück aus dem 16. Jahrhundert. Den religiösen Inhalt kennt jeder Gläubige, doch diese Bibel erzählt noch eine ganz andere Geschichte, eine mit vielen offenen Fragen.

Eine, die in Zusammenhang mit dieser antiken Schrift im Zentrum und unbeantwortet im Raum steht, führt in das Münchner Auktionshaus Zisska & Lacher. Dort sollte das Werk im vergangenen Jahr im Auftrag eines nicht bekannten Besitzers meistbietend versteigert werden.

intervention Begleitet wurde die Auktion, die für den 7. November geplant war, von massiven Protesten der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG). Die zeitliche Nähe des Versteigerungstags zum Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938, die den systematischen Massenmord der Nazis an den Juden auslöste, wurde gerade in diesem Fall als Geschmacklosigkeit empfunden, war aber nicht der eigentliche Grund der Intervention.

IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch braucht für die Erklärung des Sachverhalts und des Protestes nicht viele Worte. »Die Bibel«, sagt sie, »befand sich im Besitz der Israelitischen Kultusgemeinde und wurde am 9. November 1938 von den Nazis geraubt.«

Zum Neuanfang nach Krieg und Holocaust gehörte für die Gemeinde auch der mühsame Wiederaufbau der Bibliothek.

Bis dahin war sie Teil der IKG-Bibliothek, die nach dem früheren Gemeinde­rabbiner Cossmann Werner benannt war. Der belesene Geistliche, der von 1894 bis 1918 Gemeinderabbiner in München war, hatte seine gesammelten Werke, Tausende Bücher und Schriften, der IKG gestiftet. Auch die antike Bibel gehörte dazu.

versteck Zum Neuanfang nach Krieg und Holocaust gehörte für die Gemeinde auch der mühsame Wiederaufbau der Bibliothek. Ein Teil der geraubten Werke fand sich in der Münchner Stadtbibliothek wieder und wurde in den 50er-Jahren an die Gemeinde zurückgegeben, eine noch kleinere Charge war von Gemeindemitgliedern gerettet worden. Sie hatten einige wertvolle Bücher in einem Grab auf dem Alten Israelitischen Friedhof versteckt.

Sibylle von Tiedemann ist Historikerin und arbeitet für das Kulturzentrum der IKG. Zu ihrem Aufgabengebiet gehört auch 75 Jahre nach Ende des NS-Regimes das Aufspüren von geraubten Büchern aus dem Besitz der IKG: »Ein erheblicher Teil der Bücher aus der Bibliothek ist in alle Winde verstreut, oft nicht mehr nachvollziehbar.«

Trotzdem ist es gelungen, 19 Werke aus der Cossmann-Werner-Bibliothek wieder zurückzuführen, in anderen Fällen laufen Verhandlungen.

antisemitismus Staatlich propagierter Judenhass und systematisches Morden wie während des »Dritten Reiches« gehören in Deutschland zwar der Vergangenheit an. »Antisemitismus und in neuerer Zeit Israelfeindlichkeit haben aber nie aufgehört«, ist eine grundlegende Erkenntnis, die Charlotte Knobloch als langjährige Repräsentantin der jüdischen Gemeinschaft gewonnen hat. Sie selbst wird oft genug beschimpft, beleidigt und sieht sich sogar Morddrohungen ausgesetzt.

Die Nazis raubten das Werk in der Pogromnacht am 9. November 1938.

Antisemitische Motive haben der Bibliothek der IKG nicht nur am 9. November 1938 schwer zugesetzt. Das passierte in noch größerem Ausmaß vor genau 50 Jahren, im Februar 1970, ein zweites Mal. Bei einem bis heute nicht aufgeklärten Brandanschlag auf das damalige Gemeindezentrum in der Reichenbachstraße starben sieben Bewohner des jüdischen Altenheims.

Eine weitere Folge des Terroraktes: Die inzwischen wieder neu aufgebaute Bibliothek ging in Flammen auf, ein Großteil der Bestände, darunter auch die wiedererlangten Cossmann-Werner-Bücher, wurde vernichtet. Die Nazi-Plünderungen und der Brandanschlag haben darüber hinaus einen höchst unangenehmen Nebeneffekt. »Jetzt sind die wenigen Bücher aus der Bibliothek, die noch irgendwo im sogenannten freien Markt kursieren, für fragwürdige Sammler noch wertvoller geworden«, erklärt Charlotte Knobloch.

auktion Ein Blick in den Ausstellungskatalog des Auktionshauses unterstreicht diese Aussage. 15.000 Euro betrug allein der Aufrufpreis für die Rabbiner-Bibel. Dass die antike Schrift von den Verantwortlichen dann unmittelbar vor der Auktion aus dem Angebot herausgenommen wurde, hatte mit Skrupeln oder Moral jedoch nichts zu tun.

Eine der jüdischen Gemeinde nahestehende Persönlichkeit, so berichtet es Charlotte Knob­loch, wollte eine öffentliche Versteigerung der Bibel verhindern und soll sich mit dem Auktionshaus im Vorfeld der Versteigerung finanziell geeinigt haben. Dies hat ihren Worten zufolge einen durchaus positiven Effekt: »Die Bibel soll der Gemeinde als Leihgabe zur Verfügung gestellt werden, in einer Glasvitrine in der Synagoge.«

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