Vortrag

Die verlorene Insel

Michael Brenner, Aron Rodrigue, Sofia Grammata und Nikolaj Kiessling (v.l.) Foto: Julia Baumann

Jedes Jahr im Januar gibt es beim Freundeskreis des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur eine Mitgliederversammlung. Jedes Mal ist es eine höchst erfreuliche Zusammenkunft, denn der Lehrstuhlinhaber Michael Brenner setzt die Erfolgsgeschichte seiner Abteilung stetig fort. Und auch dieses Mal traf man sich im Jüdischen Gemeindezentrum am Jakobsplatz.

Schon jetzt angekündigt ist eine Tagung im Juni über »Juden und Muslime im Zarenreich und der UdSSR«. Ebenfalls im Juni gibt es einen Vortrag »How Jews became Israelis« und auf Jiddisch einen, wie sich der Sprachkulturkampf zwischen Jiddischisten und Hebräisten entwickelte. Eva Haverkamp ergänzte mit Informationen aus der Abteilung »Jüdische Geschichte des Mittelalters«. Wichtig ist auch stets die öffentliche Auszeichnung von Studenten, was durch Zuwendungen aus dem Freundeskreis und dank einiger privat gesponserter Stipendien möglich ist.

sefarden Einer, der vor über 15 Jahren mit seiner Stiftung für Jüdische Geschichte und Kultur in Europa einen Meilenstein setzte, ist Nikolaj Kiessling. Er lebt seit einiger Zeit auf Kreta und interessiert sich sehr für die Geschichte der Juden im griechischen Raum. Da passte es perfekt, dass dieses Jahr Aron Rodrigue für den traditionellen Gastvortrag gewonnen werden konnte. Der Experte für sefardisches Judentum (sein Standardwerk erschien in 14 Sprachen) lehrt seit Jahren an der Stanford University, ist aber zur Zeit Allianz-Gastprofessor in München. Rodrigue, der mit Ladino, Türkisch und Englisch aufwuchs, referierte über die Juden auf Rhodos: »The Island of Roses: Rhodes, the Holocaust, and Sephardi Memory«.

Wer sein Thema wie Rodrigue mit so schlafwandlerischer Sicherheit beherrscht, braucht kein Skript und keine Notizen. Mittels »Schnappschüssen aus der Geschichte« gab er einen Überblick: über die jüdische Präsenz in der Antike, über die martialische Dezimierung durch den Johanniterorden um 1500, über eine lange Phase relativer Ruhe von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis hin zum Jahr 1912.

Den neuen Grundstock hatten 50 Familien gebildet, die aus Saloniki nach Rhodos gebracht worden waren. Unter muslimischer Verwaltung war es damals möglich, dass Leute verschiedener Herkunft und Religion friedlich zusammenlebten. Handel sicherte das Auskommen der meisten, im 19. Jahrhundert war das vor allem der Handel mit Schwämmen. 1912 geriet Rhodos unter italienische Herrschaft, was sich ab 1936 als fatal erwies, weil nun die antijüdische italienische Gesetzgebung eingeführt wurde. Koscheres Fleisch und jüdische Schulen wurden verboten, Geschäfte mussten sonntags geschlossen bleiben.

Verstreut Nach dem Sturz Mussolinis marschierten 1943 deutsche Truppen ein. Von 1673 Juden, die am 24. Juli 1944 nach Athen und nach Auschwitz weiter verfrachtet wurden, überlebten 151. »Das jüdische Rhodos lebt weiter in vielen Teilen auf der gesamten Welt, obgleich die Juden von Rhodos ganz verschwunden sind.« Ob in New York, Montgomery in Alabama oder in Seattle, wo es sogar zwei sefardische Gemeinden gibt – eine davon bezieht sich nur auf Vorfahren, die vor langer Zeit in die Neue Welt aufgebrochen waren.

Eine andere Auswanderungswelle führte von Rhodos über Ägypten nach Elisabethville in Belgisch-Kongo und von dort später nach Brüssel. Heute gibt es etwa 4000 Juden in einem weltweiten Netzwerk, die sich über »The lost island Rhodes« austauschen – ihre verlorene, imaginäre Insel.

Rodrigues Vortrag belegte in Thema und Stil, wie faszinierend jüdische Geschichte sein kann. Michael Brenner blieb am Ende vor allem, seinem Kollegen dafür zu danken. Teilgenommen hatten – als Reminiszenz an die gegenwärtige und eine frühere Autorität über Rhodos – die griechische Generalkonsulin Sofia Grammata und ihr italienischer Amtskollege Filippo Scammacca del Murgo.

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