Chanukka

Die Hoffnung bleibt

Trotz der Rückschläge für die jüdische Gemeinschaft plädiert IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch dafür, die positiven Ereignisse nicht geringzuschätzen. Foto: Astrid Schmidthuber

Es sind nur noch wenige Tage, bis wir die erste Kerze des Chanukkaleuchters entzünden, und das sprichwörtliche Licht in der Dunkelheit, das sie uns spendet, haben wir selten so dringend gebraucht wie heute.

Denn das vergangene bürgerliche Jahr hielt für die jüdische Gemeinschaft zwar auch schöne und freudige Momente bereit. Doch ich befürchte, es werden vor allem die negativen Erinnerungen sein, die uns stärker im Gedächtnis haften bleiben.

Dabei beziehe ich mich nicht allein auf Ereignisse wie den antisemitischen Anschlag von Halle, der aus den Tragödien dieses Jahres besonders hervorsticht. Dieser kaltblütig geplante Angriff, der nur aufgrund des Unvermögens des Täters nicht noch mehr Todesopfer forderte, ist ein Wendepunkt in der jüngeren jüdischen Geschichte in Deutschland. Niemand kann seit diesem 9. Oktober 2019 noch davon sprechen, dass das Problem des Judenhasses aufgebauscht oder übertrieben ist.

Niemand kann seit Halle noch davon sprechen, dass das Problem des Judenhasses aufgebauscht oder übertrieben ist.

zersplitterung Es sagt viel über den Stand der Dinge aus, dass genau das dennoch weiterhin geschieht – im konkreten Fall sogar durch den damals noch amtierenden Vorsitzenden des Rechtausschusses des Bundestages. Der betreffende Politiker ist zwar inzwischen nicht mehr im Amt, doch die Geisteshaltung, die seinen Ausfällen zugrunde lag, weist auf ein größeres Problem hin, das uns auch im neuen bürgerlichen Jahr weiter begleiten wird: eine zunehmende gesellschaftliche Zersplitterung, verbunden mit wachsender Verrohung.

Man muss heute kein Kulturpessimist oder Technologieskeptiker mehr sein, um zu erkennen, dass die großflächige Verlagerung des sozialen und politischen Austauschs ins Internet unserer Debattenkultur einen Bärendienst erwiesen hat. Menschen, deren extreme Haltungen früher durch soziale Kontrolle eingehegt oder isoliert worden wären, können sich heute kinderleicht gegenseitig ermutigen und bestärken – mit oftmals katastrophalen Folgen, wie wir in Halle gesehen haben.

Diese Echokammern des Hasses haben außerdem den Aufstieg einer Kraft am extrem rechten Rand ermöglicht. In den Untiefen des Internets kann eine Partei wie die AfD unbehelligt ihre Halb- und Unwahrheiten verbreiten und damit den politischen Diskurs vergiften.

Der Judenhass hat in der AfD einen politischen Kristallisationspunkt.

Die Folgen bekommen wir alle zu spüren. So hat sich auch in diesem Jahr die Verschiebung der politischen Maßstäbe hin zu den Extremen und an die Ränder weiter beschleunigt. Insbesondere die Landtagswahlen im Herbst haben die letzten Illusionen darüber beseitigt, dass wir als demokratische Mehrheit es aufseiten der AfD nicht einfach mit »Protestwählern« zu tun haben, die in der Wahlkabine ihrem berechtigten oder unberechtigten Ärger Luft machen. Sondern wir müssen erkennen, dass es in unserem Land schlicht eine gewisse Zahl von Menschen gibt, die mit ihrer Stimme bereitwillig und wissentlich eine autoritäre, antidemokratische, intolerante und antisemitische Partei unterstützen.

Der Judenhass, der in Deutschland nach 1945 nie ganz verschwunden war, hat in der AfD heute wieder einen politischen Kristallisationspunkt. Von dort aus verbindet er sich mit anderen antisemitischen Bewegungen aus dem linken und islamistischen Spektrum zu einer gesellschaftlichen Atmosphäre, die es Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft mit jedem Tag mehr erschwert, ohne Angst und Unsicherheit ihrem Alltag nachzugehen. Das erleben wir mittlerweile selbst in München, wo dieses Jahr mehrfach jüdische Menschen am helllichten Tag antisemitisch beleidigt und auch angegriffen wurden.

herausforderungen Über all diesen Herausforderungen tun wir jedoch gut daran, nicht zu vergessen, dass unser Land auch weiterhin eine funktionierende Demokratie mit einem konsequent arbeitenden Rechtsstaat ist, der alle seine Bürger schützt. Vieles können wir uns daher in der aktuell schwierigen Lage erlauben, doch Fatalismus gehört nicht dazu.

Ich kann daher nur dafür plädieren, auch die positiven Ereignisse des vergangenen Jahres – in München und andernorts – nicht geringzuschätzen. Dazu zähle ich die Unterstützung der jüdischen Gemeinschaft durch die Zivilgesellschaft, die teils beeindruckende Formen angenommen hat: Die Menschenkette, die am Freitagabend nach dem Anschlag von Halle rund um unsere Hauptsynagoge am St.-Jakobs-Platz gebildet wurde, hat mich seinerzeit überwältigt und macht mir auch heute noch Mut.

Auch die Politik, die das Problem inzwischen erkannt hat, gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus.

Auch die Politik, die das Problem inzwischen erkannt hat, gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Symbolische Gesten wie der spontane Besuch des Münchner Oberbürgermeisters Dieter Reiter in unserer Hauptsynagoge am Abend von Jom Kippur oder das von Ministerpräsident Markus Söder initiierte Solidaritätsgebet im September haben in entscheidenden Momenten Zusammenhalt gezeigt.

entschliessungen Konkrete politi­sche Entschließungen wie etwa der BDS-Beschluss des Bundestages vom Mai und die jüngst vom Bundesrat angeregte Anpassung des Strafrechts, nach der antisemitische Beweggründe vor Gericht strafverschärfend berücksichtigt werden sollen, überführen diesen Zusammenhalt in greifbare gesetzliche Verbesserungen.

Dass bedeutet nicht, dass nicht noch viel zu tun bleibt. Gegen die laute Minderheit der Antidemokraten müssen die Vertreter der freien und offenen Gesellschaft weiter Position beziehen; wer jetzt nachlässt, weil er sich dauerhaft in der Mehrheit glaubt, der kann schon bald eine böse Überraschung erleben. Gesellschaftlich und politisch müssen die Mehrheiten derer, die den Judenhass ablehnen, noch stärker mobilisiert werden. Meine Hoffnung bleibt, dass dies 2020 gelingt und dass wir beim Entzünden der Kerzen zu Chanukka 5781 auf ein freudigeres Jahr zurückblicken können.

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