»Woche der Brüderlichkeit«

Dialog in Hannover

Im Zentrum der »Woche der Brüderlichkeit«, die seit 1952 veranstaltet wird, steht der Dialog zwischen Christen und Juden. Doch Bundespräsident Joachim Gauck sprach bei der offiziellen Eröffnung der Veranstaltung am vergangenen Sonntag in Hannover, eine Woche vor den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt am 13. März, vor allem aktuelle Fragen an – in einem eindringlichen Appell gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus.

»Wer glaubt, das christliche Abendland mit der Herabsetzung anderer, mit Ausgrenzung Andersgläubiger, mit Hassparolen und Säuberungsfantasien verteidigen zu sollen, hat es schon verraten«, sagte der Politiker bei der Feierstunde im Theater am Aegi in Hannover.

Gauck betonte, ein klares Profil und entschiedenes Bekenntnis zur eigenen Tradition, Kultur und Religion sei »vollkommen in Ordnung«. Aber die wachsende Unbarmherzigkeit von selbst ernannten Verteidigern des »christlichen Abendlandes«, die sich längst nicht mehr nur verbal äußere, sei nicht akzeptabel. Er äußerte die Hoffnung, dass beim Dialog zwischen Christen und Juden zunehmend auch muslimische Gesprächspartner einbezogen würden.

Die einst sichere Einigung Europas drohe, Risse zu bekommen, mahnte der Bundespräsident: »Wir erleben doch in diesen Tagen eine zutiefst zerstrittene Welt, eine Welt, in der Not und Krieg Menschen zu Hunderttausenden, ja Millionen in die Flucht treibt. ... Vorgeblich im Namen Gottes werden Menschen vergewaltigt und gekreuzigt, verbrannt und enthauptet, erschossen und in die Luft gesprengt.« Uralte Zeugnisse menschlicher Kultur und religiösen Glaubens würden von »fanatisierten islamistischen Gotteskriegern« vernichtet.

Buber-Rosenzweig-Medaille Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR) verlieh seine traditionelle Auszeichnung, die Buber-Rosenzweig-Medaille, in Erinnerung an die jüdischen Philosophen Martin Buber und Franz Rosenzweig, in diesem Jahr an den Erziehungswissenschaftler und Publizisten Micha Brumlik. Auch der Preisträger warnte vor einem Einzug rechtspopulistischer Parteien in deutsche Parlamente: »Wir müssen alle zivilgesellschaftlichen Kräfte aufbieten, damit diese Kräfte so schwach wie möglich bleiben.«

Das jüdisch-christliche Gespräch dürfe kein Thema bleiben, das nur seine Generation berühre, sagte Brumlik: »Wir sollten alles dafür tun, um jüngere Menschen dafür zu gewinnen.« Der Appell des 68-Jährigen kam nicht von ungefähr, denn unter den etwa 1000 Festgästen in Hannover überwogen die älteren Besucher. Micha Brumlik wurde 1947 im schweizerischen Davos geboren und lehrte als Professor für Erziehungswissenschaft in Hamburg, Heidelberg, Frankfurt am Main und Berlin.

In ihrer Laudatio auf den Preisträger würdigte die evangelische Theologin Margot Käßmann dessen jahrzehntelangen Einsatz für eine Verständigung zwischen Juden und Christen. Brumlik sei wie ein »Seismograf für die Suche nach jüdischer Identität in Deutschland nach der Schoa«. Als Mahner und Querdenker habe er auch mit unbequemen Äußerungen dazu beigetragen, die jüdische Position in der deutschen Mehrheitsgesellschaft sprachfähig zu machen. Mit Kritik an den Kirchen habe er dabei nicht gespart. »Wenn allzu viele allzu schnell vergessen, legt Brumlik den Finger in die Wunde«, betonte die Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Reformationsjubiläum 2017. Bei alledem habe Brumlik jüdisches Denken und Handeln für Christen zugänglich gemacht.

In einem Vortrag am Samstag zur Woche der Brüderlichkeit widmete sich der Preisträger dem Thema »Franz Rosenzweig und der Zionismus«. Rosenzweig gelte gemeinhin als Gegner des Zionismus. Doch wäre der Philosoph nicht 1929 gestorben, hätte er seine Sicht des Zionismus revidieren müssen, sagte Brumlik. Die Massenvernichtung habe das Ewige Volk »in seiner ganzen Endlichkeit sichtbar werden lassen«, während die Gründung des Staates Israel wenigstens einem Teil von ihm Geschichtlichkeit, gemeinsame Alltagssprache und die Fähigkeit zum Kriegführen zurückerstattet habe.

Doch auch heute präge die Erinnerung an die Massenvernichtung weiterhin das Selbstverständnis von Juden in aller Welt und in Israel, konstatierte Brumlik. Das Bewusstsein, noch vor Kurzem eine »in Teilen grausam vernichtete Ethnie« gewesen zu sein, führe bei Juden in aller Welt heute zu einer »ununterbrochenen Sorge« um das Fortbestehen dieses Staates, sagte Brumlik. Der Junikrieg 1967 und die mit ihm verbundene Eroberung der Sinaiwüste, der Golanhöhen, Ost-Jerusalems und der Klagemauer sowie des Westjordanlandes habe »die drohende Selbstzerstörung des zionistischen Vorhabens« eingeleitet.

Rückzug Rabbiner Henry G. Brandt, jüdischer Präsident des deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR), sagte am Sonntag, es werde »wohl das letzte Mal sein, dass ich in dieser Eigenschaft an dieser Stelle vor Ihnen stehe«. Brandt hat das Amt seit 1985 inne. Der 88-Jährige kündigte an: »Die Zeit ist gekommen, den Stab weiterzureichen.«

Als Nachfolger Brandts ist der liberale Berliner Rabbiner Andreas Nachama im Gespräch. Der 64-Jährige, der im Vorstand des DKR sitzt, will im Mai für das Amt kandidieren. Das Gremium hat zwei christliche und einen jüdischen Präsidenten, die von den Vertretern der etwa 85 Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gewählt werden. Henry G. Brandt sagte am Montag, in einem demokratischen Wahlverfahren sei der Ausgang offen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass weitere jüdische Kandidaten vorgeschlagen würden.

Während der Woche der Brüderlichkeit finden bundesweit Veranstaltungen zur Verständigung zwischen Juden und Christen statt. Sie steht in diesem Jahr unter dem Thema »Um Gottes Willen«. Die »Woche der Brüderlichkeit« wird seit 1952 jedes Jahr von den Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Deutschland veranstaltet.

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