Centrum Judaicum

»Deutschland spiegelt sich in uns«

Als sie sich 2015 mit einem Vortrag über »Flüchtlinge in Israel« für ein ELES-Stipendium bewarb, war sich Meytal Rozental nicht sicher, ob sie überhaupt zum jüdischen Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) passen würde. Zu kritisch, zu kontrovers seien ihre Ansichten, vermutete sie damals.

Sie hat sich geirrt. Zwei Jahre später ist die Kulturwissenschaftlerin eine von insgesamt zwölf ELES-nahen Porträtierten, deren Biografien ab Mittwoch in der Ausstellung #Babel 21 zum Thema »Migration und jüdische Gemeinschaft« in der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum zu sehen sind.

momentaufnahme Mit der Ausstellung betreten ELES und seine Kooperationspartner Neuland, sowohl methodologisch als auch politisch. Denn erstmals wird eine wissenschaftliche und visuelle Momentaufnahme der Erfahrungen junger Menschen aus dem Umfeld des jüdischen Studienwerks gezeigt, die über ihre vielschichtigen Herkünfte, Identitäten sowie über ihr jüdisches Selbstverständnis in Deutschland und Europa reflektieren. Auch die Migrations- und Fluchtbewegungen der letzten Jahre werden thematisiert.

Dabei sei es vor allem das Vertrauen gewesen, das diesen »Gesprächsraum geöffnet« habe, sagte Kurator Dmitrij Belkin am Montagabend bei dem politischen Diskussionsabend, der sich anlässlich der bevorstehenden Ausstellung dem Thema »Migration und Zukunft der jüdischen Gemeinschaft« widmete.

Dass jüdische Migration keineswegs »per se kosmopolitisch« ist, machte Anja Siegemund, Direktorin der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, in ihrer Einführung mit einem Blick in die Geschichte klar. »Migration liegt nicht in den Genen, es ist eine Erfahrung über alle Zeiten hinweg, die Juden gemacht haben – eine Erfahrung des Grenzüberschreitens, des Vertriebenwerdens, des Mischens von Kulturen, des Transnationalen.« Genau diese Facetten kämen in der Ausstellung zur Geltung. »Wir spiegeln uns in Deutschland und Europa, Deutschland und Europa spiegeln sich in uns« – das sei eine der Botschaften der Ausstellung.

zukunft Migration von Juden nach Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten sichere überhaupt jüdische Zukunft hierzulande, betonte die Historikerin. Sie habe demografisch einen »bedeutenden Wandel« herbeigeführt – ein Aspekt, den die Diskussionsteilnehmer aufgriffen.

Dabei verwies Kurator Dmitrij Belkin darauf, dass Migration »keine einheitliche Erfahrung« sei. Die Erfahrungen seien unterschiedlich und vielseitig, dementsprechend würden die Biografien mitunter miteinander auf erfrischende Weise »kollidieren« – eine Feststellung, der Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, nach einem ersten Rundgang durch die Ausstellung nur zustimmen konnte. Aus seiner Sicht habe Migration in erster Linie mit Menschen zu tun, und Menschen seien »komplett verschieden«, sagte er – diese Kontroversität zeige #Babel 21 deutlich.

Als wichtigen Aspekt von Migration habe man diese Vielfalt jüdischer Migration in den vergangenen Jahren »viel zu wenig in der Diskussion aufgegriffen«, gab Krüger zu. Er bezeichnete Migration als »kardinales Thema der politischen Bildung«, denn die Gesellschaft durchlaufe durch Migration »einen großen Veränderungsprozess«, den es zu reflektieren gelte – und zwar in all seiner Verschiedenheit: als Chance und Herausforderung, nicht unter dem Aspekt von Angst und Ausgrenzung.

zuwanderung Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, verwies diesbezüglich auch auf die innerjüdische Erfahrung. So sei die jüdische Gemeinschaft in Deutschland nach der Schoa immer auf Zuwanderung gegründet gewesen, sagte Botmann. Denn eine Minderheit hatte auf einmal eine Mehrheit zu integrieren. »Plötzlich wurden dann diejenigen, die bis dahin ›die Fremden‹ waren – aus Polen, Rumänien, Ungarn –, zu ›Deutschen‹, und die anderen waren ›die Russen‹, obwohl sie aus der Ukraine, Weißrussland dem Baltikum kamen.« Schon allein diese Erfahrung zeige, was Migration bewirken könne.

Botmann unterstrich in diesem Zusammenhang auch die große Bereitschaft des Zentralrats, der Gemeinden und Landesverbände, die Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion zu unterstützen und zu integrieren. »Ohne die Zuwanderung würde es eine Vielzahl der jüdischen Gemeinden heute in Deutschland nicht geben«, betonte der Zentralratsgeschäftsführer.

Die jüdische Gemeinschaft sei pluraler, individueller und vielschichtiger geworden – und basiere dennoch auf gemeinsamen demokratischen Werten. Auch das spiegele sich in den Ausstellungsbiografien wider. Die Migrationserfahrung von Meytal Rozental ist eine davon.

Lesen Sie mehr dazu in unserer nächsten Printausgabe.

Weitere Infos unter www.centrumjudaicum.de

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025

Jüdische Kulturtage Berlin

Broadway am Prenzlauer Berg

Vom Eröffnungskonzert bis zum Dancefloor werden Besucherrekorde erwartet

von Helmut Kuhn  13.11.2025

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025