Porträt der Woche

Der Verleiher

In einer seiner Lagerhallen in Potsdam: Emil Serebrinski Foto: Stephan Pramme

Porträt der Woche

Der Verleiher

Emil Serebrinski vermietet Möbel und Geschirr für Großveranstaltungen

von Tobias Kühn  23.09.2013 14:39 Uhr

Bei mir gleicht kein Tag dem anderen. Mal ruft mich 18 Uhr ein Kunde an, er brauche innerhalb der nächsten Stunde 2000 Gläser. Mal muss ein juristisches Problem geklärt werden: Ein Hotel hat sich teures Küchengerät bei uns geliehen, doch den Spediteuren ist es kaputtgegangen. Mal beantworte ich Anfragen fürs kommende Jahr und sogar schon für 2015!

Ich habe ein mittelständisches Unternehmen; gemeinsam mit einer Geschäftspartnerin verleihe ich Geschirr und Möbel. Vor sechs Jahren haben wir die Firma gegründet. Es ging mit einer Halle los, 2011 kam die zweite dazu, und demnächst nehmen wir die dritte in Betrieb. Die Firma sitzt in Potsdam, aber ich wohne in Berlin.

Familie In der Regel stehe ich etwa 6.20 Uhr auf, mache mich fertig und wecke die Kinder. Meine Frau Sarah und ich teilen uns die familiären Aufgaben. Unser Sohn Joshua (6) geht seit August in die Schule; Fanny, unsere Tochter, ist drei und geht in den Kindergarten. Damit Joshua pünktlich in der Schule ist, müssen wir um 7.20 Uhr zu Hause losfahren. Heute habe ich beide gebracht, da konnte meine Frau zeitig zur Arbeit und früh Schluss machen. Am Nachmittag holt sie dann die Kinder ab, bringt Joshua zum Russischunterricht und Fanny zum Ballett. Morgen ist es anders: Da muss ich früher in der Firma sein, also bringt meine Frau die Kinder morgens weg.

An einem durchschnittlichen Tag bin ich kurz vor neun in der Firma. Zuerst gehe ich einmal herum und sage jedem Hallo. Da kriege ich schon einiges mit und höre, wo es hakt. Ich spüre die Stimmung. So eine Firma ist ein bisschen wie eine Fußballmannschaft: Jeder hat seine Aufgabe, alles ist miteinander verbunden. Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass immer genügend Aufträge da sind. Solange wir pünktlich liefern, wird uns der Kunde immer wieder buchen.

Alle Abläufe müssen gut durchdacht sein. Ich rationalisiere gern. Zurzeit beschäftige ich mich mit Laufmetern. Wenn die Mitarbeiter, die das Geschirr reinigen, es zählen und verpacken, eine Frage haben, sollen sie schnell eine Antwort erhalten. Also haben wir ein Telefon in die Halle gestellt, dass sie nicht jedes Mal kommen müssen, denn das kostet Zeit. Und Zeit bedeutet Geld. Wenn jeder meiner 20 Mitarbeiter jeden Tag 1000 Meter zu viel läuft, dann sind das insgesamt drei, vier, fünf Stunden – was das im Jahr ausmacht!

Automatisieren Schon immer wollte ich gern selbstständig sein. Es gefällt mir, niemanden nach Urlaub fragen zu müssen – außer meine Geschäftspartnerin. Ich entscheide gern selbst und entwickele Sachen, das hat mir schon immer Spaß gemacht. Es ist faszinierend zu sehen, wie das, was man sich ausgedacht hat, tatsächlich entsteht. Und das hört nie auf, ich will meine Dienstleistung ja immer verbessern! Eines Tages möchte ich ganz entspannt das Dreifache an Volumen machen. Da muss ich überlegen, was ich automatisieren kann, welche neuen Produkte ich ins Sortiment aufnehme und und und.

Es mag sein, dass mir der Unternehmergeist mit in die Wiege gelegt worden ist. Mein Vater hat eine Wäscherei. Als Kind habe ich da manchmal in den Schulferien geholfen und mein Taschengeld aufgebessert. Geboren wurde ich 1972 im moldawischen Kischinjow in der Sowjetunion. Als ich sechs Jahre alt war, sind wir ausgewandert, wir wollten nach Los Angeles. Der Weg führte über Wien. Dort besuchte uns dann aber meine Berliner Tante und sagte, in Berlin sei alles viel besser, man finde gut Arbeit. Also änderten meine Eltern ihre Pläne und zogen nach Tempelhof.

Ich war ein sehr wildes Kind. Wenn es mal einen Dritten Weltkrieg gibt, dann habe der bestimmt irgendetwas mit mir zu tun, sagte die Umgebung. Mit der jüdischen Gemeinde hatte ich damals kaum zu tun, ich fand das nicht so spannend. Ich wusste, dass ich jüdisch bin und habe manches über das Judentum gelesen, war auch Mitglied der Gemeinde – aber das war’s. Ich hatte vor allem nichtjüdische Freunde. Aber meiner Mutter war es extrem wichtig, dass ich einmal jüdisch heirate. Sie hatte Angst, dass, wenn alle Juden Nichtjuden heiraten, es über kurz oder lang in der Diaspora möglicherweise keine Juden mehr geben würde.

geschwister Leider habe ich keine Geschwister. Meine Eltern versuchten es zwei oder drei Mal, aber es hat nicht geklappt. Einmal, in der zweiten oder dritten Klasse, habe ich schon allen erzählt, dass ich ein Brüderchen oder eine Schwester bekomme – aber es hat wohl nicht sein sollen. Vielleicht war deshalb für mich schon immer klar, dass ich auf alle Fälle mehr als ein Kind möchte, denn ich hatte ja in der Familie nie jemanden zum Spielen. Aber es gab Freunde in der Nachbarschaft. Wir waren viel draußen, sind über Zäune geklettert, haben Fußball gespielt. Ich hatte eine tolle Kindheit!

Seit meinem siebten Lebensjahr spiele ich Tennis – und tue es bis heute einmal die Woche. Leider bin ich zurzeit gehandicapt: Mir ist vorletztes Jahr der Meniskus links gerissen, das wurde operiert und ist jetzt wieder okay. Doch kurz darauf passierte dasselbe rechts. Aber ich spiele trotzdem; ich habe einen Spielpartner, der mich nicht zum Laufen bringen kann.

Nach dem Abitur habe ich BWL studiert. Die Uni fand ich klasse: Endlich durfte ich selbst entscheiden, was ich lernen wollte. Ich konnte die Kurse frei wählen – und die Uhrzeit, das entsprach mir sehr. Nach dem Studium bin ich mit meiner heutigen Geschäftspartnerin Claudia, die ich vom Studium kannte, nach Hannover gegangen, um den Online-Versand einer großen Drogeriekette aufzubauen. Fast sechs Jahre waren wir dort. Wir wollten an die Börse, es hätte fast geklappt. Doch als wir das Unternehmen umgestellt, profitabel gestaltet und die Logistik umstrukturiert hatten, da passte es nicht mehr: Claudia war schwanger und wollte mit ihrem Mann zurück nach Potsdam in die Nähe ihrer Eltern. Und ich hatte Sarah kennengelernt, die sich – wegen der fehlenden jüdischen Infrastruktur – nicht vorstellen konnte, in Hannover zu leben.

Wir brauchten eine Geschäftsidee für Berlin. Zuerst wollten wir eine Firma kaufen, vielleicht einen Glückwunschkartenverlag. Aber würden die Menschen in 20, 25 Jahren noch Karten schreiben? Viele haben uns dann geraten, einen Geschirrverleih aufzubauen. Sie sagten, mein Vater könne uns doch bestimmt helfen. Er vermietet Wäsche an große Firmen bei Veranstaltungen. Wer so ein Event durchführt, braucht auch Stühle und Tische, Geschirr, Gläser und Besteck. Über meinen Vater sind wir in die Branche reingekommen und haben unsere Firma dann nach seinem Unternehmen benannt: »Universum«. Viele Kunden kannten den Namen, das war ein Wettbewerbsvorteil.

Kanzlerduell Inzwischen haben wir bestimmt rund 100.000 Gläser aller Art und wahrscheinlich mehr als 250.000 Teller. Als wir anfingen, war eine Veranstaltung für uns groß, wenn 500 Personen kamen. Heute sind mitunter zehnmal so viele Leute da. Eine unserer letzten großen Veranstaltungen war das Kanzlerduell am 1. September. Da haben wir Geschirr und Möbel gestellt. Andere prominente Ereignisse waren der Empfang des Bundespräsidenten zum 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages im Januar, und ein paar Monate davor die Eröffnung der türkischen Botschaft durch Ministerpräsident Erdogan. Da kamen knapp 3000 Leute. Als die Feier vorbei war und wir gerade abbauten, da wollte Erdogan nochmal feiern, mit rund 500 Leuten – und neuem Geschirr! Oh, da hatten wir zu tun!

Wenn ich mein Leben so betrachte, denke ich: Ich habe viel Glück, meine Arbeit macht mir großen Spaß, und meine Kinder sind mir eine Riesenfreude! Ich freue mich jeden Tag auf sie, wenn ich von der Arbeit nach Hause fahre.

Aufgezeichnet von Tobias Kühn

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