Porträt der Woche

Der unbeirrbare Maler

»Das Leben ist kurz und anstrengend, deshalb liebe ich alles, was mit Kultur, Riten und mit Feiern zu tun hat:« Amnon David Ar (51) aus Berlin Foto: Stephan Pramme

Porträt der Woche

Der unbeirrbare Maler

Amnon David Ar folgt mit Disziplin und Leidenschaft seiner Kunst

von Alicia Rust  23.03.2025 08:01 Uhr

Die Schönheit liegt nicht in der Perfektion, eine zerknitterte Verpackung kann viel faszinierender sein als eine glatte. Menschen mit Makel sind viel interessanter als jene ohne Ecken und Kanten. Wenn ich etwas festhalte, ganz gleich, ob mit dem Bleistift oder Pinsel, untersuche ich immer, was sich unter der Oberfläche befindet. Der zweite Blick lohnt sich.

Bis ich dort angekommen bin, wo ich mich heute befinde, habe ich einen weiten Weg zurückgelegt. Lange war nicht einmal sicher, dass ich eines Tages von meiner Kunst würde leben können. Seit meinem 15. Lebensjahr stand für mich fest, dass ich einmal Künstler werden würde.

Geboren wurde ich 1973 als jüngstes von drei Kindern in Kfar Saba, einer Kleinstadt in der Scharonebene, etwa 15 Kilometer nordöstlich von Tel Aviv. Ich habe einen fünf Jahre älteren Bruder, Uri, und meine große Schwester Sigal ist 13 Jahre älter als ich. Beide leben, wie meine Eltern, in Israel, obwohl alle in der Zwischenzeit einiges von der Welt gesehen haben. Uri ist erfolgreicher Grafiker, er hat lange in New York und in Amsterdam gelebt, meine Schwester hat in Princeton Computerwissenschaften studiert und bis zu ihrer Pensionierung an der Universität in Haifa gelehrt.

Daher würde ich mich am ehesten als Kulturjuden bezeichnen

Mein Vater Amos war Wissenschaftler, er beschäftigte sich mit der Tierphysiologie und war Abteilungsleiter an der Uni in Tel Aviv. Er ist ein überzeugter Atheist, genau wie ich. Für uns beide ist es erstaunlich, was überall auf der Welt im Namen der Religion veranstaltet wird. Anders halte ich es mit den Traditionen: Das Leben ist kurz und anstrengend, deshalb liebe ich alles, was mit Kultur, Riten und mit Feiern zu tun hat. Daher würde ich mich am ehesten als Kulturjuden bezeichnen.

Möglicherweise habe ich von meinem Vater meine Rationalität geerbt, denn ich interessiere mich sehr für Geschichte und trete an alles, was ich mache, zunächst sachlich heran. Das mag einige überraschen, schließlich heißt es oft, Künstler seien kreativ. Aber schließt das Rationalität aus? Für mich nicht. Meine Arbeitsweise ist nüchtern, ich arbeite viele Stunden und Tage diszipliniert an einem Gemälde. Dabei strukturiere ich meinen Tag, halte mich mit Sport fit, gehe dreimal die Woche schwimmen – aber über allem schwebt die Kreativität. Sonst könnte ich das gar nicht machen.

Schönheit liegt nicht in der Perfektion. Menschen mit Makel sind viel interessanter.

Meine Mutter Nurit ist inzwischen 84 Jahre alt, sie war Zeichnerin in dem renommierten Architekturbüro von Zvi Hecker. Ihr Vater, mein Großvater, war ein richtiger Held, er hieß Efraim Dekel, der ursprüngliche Name war Krasner. Er kam aus der Ukraine, die damals noch zu Russland gehörte, und emigrierte 1921 nach Eretz Israel. Er gründete den Nachrichtendienst der Hagana in Tel Aviv. Über ihn gibt es viele Geschichten in unserer Familie. Meine Safta Schoschana war ebenfalls sehr couragiert, eine meisterhafte Schützin, die 1936 in Palästina als einzige Frau an einem Schießwettbewerb teilgenommen hat. Ich liebte sie sehr, sie starb, als ich 25 Jahre alt war.

Meine Mutter ist ursprünglich gelernte Goldschmiedin. In dem Beruf arbeitete sie, als ich Kind war. Vorher war sie im Architekturbüro. Sie ist kreativ, schlau und humorvoll. Sie hat uns Kinder immer ermutigt, interessiert, neugierig und ebenfalls fantasievoll zu sein. Von ihr habe ich die kreative Ader geerbt. Aber natürlich hat sie sich zwischenzeitlich auch Sorgen gemacht, denn es heißt ja nicht umsonst »brotlose Kunst«. Für seine Kinder wünscht man sich Glück und Zufriedenheit, aber auch Stabilität. Und egal, wie erfolgreich man als Künstler eines Tages sein mag, man bekommt später keine feste Rente und es gibt keine Sicherheiten. An meinen Beruf, der zugleich meine Berufung ist, habe ich mich über einen langen Zeitraum herangetastet, meine künstlerische Entwicklung war graduell.

Wir hatten tolle Lehrer, und ich liebte den Zeichenunterricht

Als Kind in der Grundschule war ich ein richtiger Unruhestifter. Ich konnte die Dummheit vieler Lehrer nicht ertragen und habe entsprechend oft Ärger gemacht. Trotzdem hatte ich gute Freunde und war kein Außenseiter. In der WIZO Highschool in Tel Aviv wurde es etwas besser, immerhin konnte ich mich dort auf die Kunst konzentrieren. Es war die zweitbeste Highschool für Kunst im Land, ich bin froh, dass ich dorthin gegangen bin. Wir hatten tolle Lehrer, und ich liebte den Zeichenunterricht.

Nach der Highschool ging ich zur Armee. Ob ich danach auf die Uni gegangen bin? Nicht wirklich. Ich unterrichte inzwischen Kunst, aber der universitäre Weg war nichts für mich. Ich besuchte die Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem, nach einem Jahr verließ ich sie wieder. Rückblickend muss ich sagen, das Jahr war die reinste Zeitverschwendung.

Nebenbei brauchte ich natürlich einen Job

Folglich nahm ich meine künstlerische Ausbildung selbst in die Hand. Zunächst nahm ich Privatunterricht im anatomischen Zeichnen bei Oswald Adler, der in der k. u. k. Monarchie im heutigen Rumänien geboren worden war. Deshalb sprach er Deutsch. Er war damals schon sehr alt, doch was ich bei ihm gelernt habe, war unglaublich und hat mich geprägt. Bis zu seinem Tod – er starb 2005 mit 94 Jahren – blieben wir freundschaftlich verbunden. Er stellte mich Abraham Bykov vor, einem studierten Maler, der ebenfalls aus der sozialistischen Schule kam. Bei ihm habe ich ein weiteres Jahr Unterricht in Malerei und Zeichnen genommen. Diese Fertigkeiten haben mich weitergebracht.

Nebenbei brauchte ich natürlich einen Job. Also arbeitete ich als Illustrator und Karikaturist bei Zeitungen, bei Yedioth Tikshoret und Maariv. Rückblickend war das eine tolle Zeit. Das erste Mal habe ich bereits im Alter von 17 Jahren für eine Zeitung gearbeitet. Selbst wenn die Chefredaktion Einfluss nehmen wollte, was ich zeichnen sollte, blieb ich meinen eigenen Ideen treu. Bald nachdem ich meine Ausbildung bei Bykov und Adler beendet hatte, begann ich, mit einem Kunstagenten zusammenzuarbeiten. Von 1996 bis 2002 war ich als Illustrator fest angestellt. In der Zeit, die mir nebenbei blieb, malte ich fieberhaft. Immerhin konnte ich nun meine Miete bezahlen und hatte Raum für die Malerei. Erst nach acht Jahren, 2004, hatte ich meine erste Einzelausstellung: im Museum of Israeli Art in Ramat Gan. Da war ich bereits 29 Jahre alt. Die Ausstellung war sehr erfolgreich.

Ein Jahr später folgte die nächste in der Gallery Bernard in Tel Aviv. 2006 hatte ich eine Gruppenausstellung in New York, danach ergab sich eine Möglichkeit für eine weitere in Amsterdam in der Galerie Vieleers. Der Kurator des Museums Rembrandthaus, Bob van den Boogert, sagte, dass ihn meine Arbeiten an Rembrandts Vorliebe für malerische Themen erinnern – für einen Künstler ein Ritterschlag. 2008 bekam ich einen Preis vom Tel Aviv Museum of Art, und 2009 hatte ich dann dort eine Einzelausstellung. Wenn das jetzt alles nach einer kontinuierlichen Erfolgsserie klingt, dann muss ich sagen: Ich habe immer kleine Schritte gemacht, einen nach dem anderen. Meinen persönlichen Durchbuch hatte ich im Alter von 22, als ich begann, mich jeden Tag der Malerei zu widmen. Seither habe ich mich immer weiterentwickelt, in meiner Technik, meinen Motiven. Aber erstmals hatte ich das Gefühl, dass das, was ich mache, meins ist.

Ich erinnere mich an Flohmarktbesuche mit meiner Familie

2011 ging ich im Rahmen eines Stipendiums nach Paris. Ich liebe diese Stadt, ich spreche Französisch, als Kind war ich mit meiner Familie ein Jahr in Straßburg. Auch in Göttingen haben wir mal ein Jahr gelebt, da war ich vier Jahre alt. Ob ich mich daran noch erinnern kann? Natürlich! Ich erinnere mich an Flohmarktbesuche mit meiner Familie, an die Sprache, und ich hatte damals ein Meerschweinchen.

Im Jahr 2013 bin ich nach Berlin gezogen. Fünf Jahre hatte ich keine Ausstellung, in der Zeit lebte ich von Ersparnissen, der Gedanke daran war manchmal beklemmend. Inzwischen lebe ich gut von meiner Malerei. Das Dranbleiben hat sich gelohnt.

Natürlich habe ich zwischendurch auch die Erfahrung gemacht, dass manche Leute sagen, die Malerei sei tot, schließlich gebe es die Fotografie. Und nun gibt es ja auch die Künstliche Intelligenz. Aber kennen Sie den letzten Satz, den Clark Gable in Vom Winde verweht sagt? »Frankly, my dear, I donʼt give a damn!« Genau damit halte ich es. Ein Computer kann Bach sicher viel besser spielen als ein menschlicher Interpret, doch er wird niemals eine Seele haben.

Aufgezeichnet von Alicia Rust

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