Debatte

»Der Mensch hat immer eine Wahl«

»Sich einmischen statt wegschauen«: Zentralratspräsident Josef Schuster bei seiner Rede im Jüdischen Museum Berlin Foto: Screenshot

»Forum 20. Juli 1944 – Vermächtnis und Zukunftsauftrag« – unter diesem Motto diskutiert die Konrad-Adenauer-Stiftung regelmäßig mit ausgewählten Personen des öffentlichen Lebens. Am Dienstagabend nun lud die CDU-nahe Organisation im Rahmen dieser Reihe, die vor rund zweieinhalb Jahren gegründet wurde, ins Jüdische Museum Berlin zum Thema jüdischer Widerstand ein. Hauptredner war diesmal Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden.

DEBATTE Schuster berichtete, dass er seit dem vergangenen Jahr in einem Ausmaß mit dem Thema Widerstand gegen den Nationalsozialismus konfrontiert worden sei, »wie es lange nicht mehr der Fall war« – im Guten wie im Schlechten. So erinnerte er unter anderem an die Debatte über den heutigen Umgang mit den Widerstandskämpfern der Nazizeit, die vom 100. Geburtstag Sophie Scholls im Mai ausgelöst worden war.

Als Schuster etwa von dem Projekt »Ich bin Sophie Scholl« gehört hatte, das der Bayerische Rundfunk und der Südwestrundfunk aufwendig im sozialen Netzwerk Instagram inszenierten, habe das für seine Ohren zwar erst einmal »etwas befremdlich« geklungen. »Der Erfolg dieses medialen Experiments« freue ihn aber dennoch, so Schuster. Gerade für jüngere Menschen seien derartige Aktionen wichtig und erkenntniserweiternd.

QUERDENKER Der 67-Jährige erinnerte jedoch auch an die Instrumentalisierung Sophie Scholls oder auch Anne Franks durch sogenannte Querdenker und Corona-Leugner, die sich im Widerstand gegen eine angebliche Corona-Diktatur wähnen: »Das Selbstbild, das diese Menschen haben, ist ebenso degoutant wie lächerlich.« Gerade von rechtsextremen Kräften würden diese Narrative und Verschwörungsmythen ganz bewusst genutzt, um sich selbst als Opfer darzustellen und den Nationalsozialismus zu verharmlosen, betonte Schuster.

Josef Schuster warnte davor, Widerstandskämpfer zu instrumentalisieren.

Dagegen gelte es, sich die Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus zum Vorbild zu nehmen und Zivilcourage und Haltung zu zeigen: »Den Antisemitismus und die Demokratiefeindlichkeit der Corona-Leugner müssen wir auch dann anprangern, wenn wir uns damit in der eigenen Familie oder im Freundeskreis unbeliebt machen«, erklärte Schuster. »Sich einzumischen statt wegzuschauen« – das sei für ihn das Erbe des Widerstands.

Der Zentralratspräsident erinnerte an die Widerstandsgruppe um Herbert Baum, die in der DDR vor allem als kommunistisch dargestellt worden sei, tatsächlich aber eben auch eine der wichtigsten jüdischen Widerstandsgruppen im damaligen Deutschland gewesen ist. Schuster erinnerte ebenfalls daran, dass viele Mitglieder von Partisanengruppen in Frankreich und Osteuropa jüdisch waren und wie Juden in den Ghettos und NS-Lagern Aufstände organisierten: »Der Blick über den nationalen Tellerrand ist in den deutschen Debatten über jüdischen Widerstand häufig zu kurz gekommen.«

WÜRDE Trotz der Übermacht ihrer Verfolger hätten die widerständigen Juden versucht, ihre Würde zu bewahren, indem sie den Kampf für Gerechtigkeit und Menschlichkeit wählten: »Dass der Mensch immer eine Wahl hat, ist für mich eine der zentralen und bis heute gültigen Botschaften der Widerstandskämpfer.« Schuster sprach sich sowohl gegen »Opferpädagogik« (Wolfgang Wippermann) als auch gegen übertriebene Heldenverehrung aus. Die heutige Situation in Deutschland lasse sich selbstverständlich in keiner Weise mit der Nazizeit vergleichen.

Auf den Vorschlag, ein europäisches Schoa-Museum zu errichten, reagierte Josef Schuster skeptisch.

Wenn Menschen allerdings gegen Rechtsextremisten protestieren, sind sie durch diese akut gefährdet, sagte Schuster und erinnerte an den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Deshalb ehre der Zentralrat der Juden regelmäßig Menschen, die gegen Rechtsextremisten aktiv werden, mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage.

DISSENS So eindrücklich Schusters Vortrag war, so wenig allerdings wollte die anschließende Podiumsdiskussion in Schwung kommen – obwohl Moderatorin Shelly Kupferberg sich redlich mühte. Der deutlichste Dissens zwischen Andrea Löw, stellvertretende Leiterin des Zentrums für Holocaust-Studien am Münchner Institut für Zeitgeschichte, und ihrem Historikerkollegen Ulrich Schlie von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn entspann sich um den Widerstandsbegriff selbst: Während Löw eher für eine weite Fassung plädierte, warnte Schlie vor einem »zu beliebigen« Begriff und stellte sogar infrage, »ob es eine so kluge Idee war«, das Recht auf Widerstand im Grundgesetz zu verankern.

Angesprochen auf den von dem CDU-Politiker Jürgen Rüttgers jüngst gemachten Vorschlag, ein europäisches Schoa-Museum zu errichten, reagierte Josef Schuster skeptisch: »Wir sollten nicht versuchen, die Geschichte umzuschreiben. Der Holocaust ist nun mal eine Thematik, die in einem engen Verhältnis zum Entstehungsort, sprich zu Deutschland, steht.«

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