Porträt der Woche

Der Lokalpolitiker

»Grün wie der Park ist die Farbe meiner Fraktion«: Peter Schüler (57) in Sanssouci Foto: Mike Minehan

Porträt der Woche

Der Lokalpolitiker

Peter Schüler ist Anwalt und sitzt für die Grünen im Potsdamer Stadtparlament

von Olaf Glöckner  23.05.2011 18:15 Uhr

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Ich zähle zu den glücklichen Leuten, die ihren Job in den eigenen vier Wänden ausüben können. Hier im Potsdamer Westen, einen Steinwurf vom Schlosspark Sanssouci entfernt, haben wir Wohnung und Anwaltskanzlei unter einem Dach. Vom Fenster aus kann ich sehen, wie Touristen und Spaziergänger zum Park flanieren. Meine Frau nennt Sanssouci scherzhaft »das grüne Wohnzimmer«.

Grün ist aber nicht nur der Park um die Ecke, sondern auch die Farbe meiner Fraktion. Für die Bündnisgrünen sitze ich seit Langem im Potsdamer Stadtparlament. Mit ein paar Minuten Ehrenamt ist es dort selten getan. In einer der vergangenen Wochen hatten es die Abende besonders in sich: Am Montag Fraktionssitzung, Mittwoch Hauptausschuss, Donnerstag Rechnungsprüfungsausschuss und am Freitag schließlich noch Haushaltsklausur. So ein Rhythmus kann mächtig Zeit und Energie fressen, aber es macht mit den richtigen Leuten im richtigen Umfeld eben auch großen Spaß.

Vor 20 Jahren habe ich begriffen, wie wichtig Bürgerbeteiligung für eine stabile Demokratie ist. Als die DDR wie ein Kartenhaus zusammenfiel, war ich 37 Jahre alt. Für meine Eltern – jüdische Antifaschisten, die 1948 aus dem britischen Exil zurückkehrten und beim Aufbau eines »besseren Deutschlands« dabei sein wollten – war damit eine große Illusion geplatzt. Wie miefig und kleinbürgerlich auch immer, die DDR hatte ihnen so etwas wie Verlässlichkeit geboten. Zumindest schien es so. Dass sich die herrschenden Eliten längst vom Volk entfernt hatten, wollten meine Eltern lange nicht wahrhaben.

Befreiung Im aufregenden Herbst 1989 bekam ich das befreiende Gefühl, viele Dinge noch mal völlig neu gestalten zu können – im eigenen Leben und im Umfeld. Ich war einer von denen, die dann den Aufruf »Hundert für ein anderes Deutschland« unterschrieben haben, und ich glaubte zunächst an einen dritten Weg. Wenn ich etwas am rasanten politischen Umbruch bedauert habe, dann vielleicht, dass ein solcher dritter Weg gar nicht erst versucht worden ist. Aber ich trauere der DDR nicht hinterher.

Anfang 1990 begann ich mich bei der Bürgerbewegung »Demokratie Jetzt« und später dann bei Bündnis 90 und den Grünen zu engagieren. Von Haus aus bin ich Physiker, doch nun fand ich mich plötzlich in Arbeitskreisen und Ausschüssen wieder, die an der Verfassung für das neu zu gründende Land Brandenburg arbeiteten. Anfang der 90er-Jahre saß ich dann auch im Landtag, doch es war nicht mein Traum, Berufspolitiker zu werden.

Aber die Lust auf Neues war ungebrochen. Und so kam es, dass ich mit 42 Jahren anfing, Jura zu studieren. Das habe ich nie bereut, im Gegenteil. Mein zweites Studium hat mir neue Sichtweisen eröffnet, und auch den Respekt vor einem soliden gemeinschaftlichen Regelwerk erhöht. Natürlich hat es enorme Vorteile für Kommunalpolitiker, wenn sie sich im Dschungel der Paragrafen gut auskennen.

Mietrecht In meiner Kanzlei befasse ich mich heute mit ganz verschiedenen Rechtsstreitigkeiten. Oft geht es um Mietrecht. Was mir gar nicht liegt, ist der Umgang mit familiärem Rechtsstreit. Ich glaube, dafür habe ich eine zu dünne Haut. Gewöhnliche Arbeitstage beginnen für mich frühmorgens um neun und enden abends gegen sieben oder acht.

Mein erster Beruf hat mich nie ganz losgelassen. Ich bin froh, auch in diesem Bereich ab und an noch gefragt zu sein. Jedes Semester gebe ich eine Physik-Vorlesung an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft. Es geht mir weniger ums Honorar als um die Freude, mit jungen, interessierten Studenten kreativen Umgang zu pflegen .

Berlin, genauer gesagt Ostberlin, war auch die Stadt, in der viele Freunde meiner Eltern lebten. Häufig kamen wir aus dem thüringischen Ilmenau auf Besuch. Und dann gab es für meinen Bruder und mich riesige neue Welten zu entdecken: Theater, Kino, Konzerte und Unmengen an spannenden Büchern.

Einmal stießen mein Bruder und ich dort eher zufällig auf Lea Fleischmanns Dies ist nicht mein Land. Wir waren beide schon so um die 18 und haben das Buch regelrecht verschlungen. Plötzlich fragten wir uns: Ist es nicht ein seltsamer Zufall, dass wir ausgerechnet hier leben? Eigentlich gehören wir doch nach Israel, oder? Aber wie kommen wir dahin?

Kultur Wir haben das noch eine Weile hin und her diskutiert, am Ende ist es dann wieder in Vergessenheit geraten. Heute würde ich sagen: Es mag ein Zufall sein, dass wir in Deutschland aufgewachsen sind. Aber man kann diesen Zufall genauso wenig verleugnen wie den Umstand, dass wir viel mehr von der deutschen Kultur mitbekommen haben als von der jüdischen.

Vor Kurzem bin ich auf ein Tagebuch meiner Mutter gestoßen, das sie in den Jahren von 1933 bis 1936 geführt hat. In etwas ruhigeren Stunden möchte ich dieses Buch gern transkribieren. Meine Mutter hatte damals in Nürnberg gelebt, bevor sie sich nach England retten konnte.

Einer Reihe von Verwandten dagegen ist es nicht mehr gelungen, Deutschland zu verlassen. Sie sind ermordet worden. Die Angst vor Verfolgung und Vernichtung hat meine Mutter auch nach dem Krieg nie losgelassen. Vielleicht war das ein wesentlicher Grund, dass jüdische Traditionen in unserem Haushalt fast keine Rolle spielten. Sich von den anderen nicht zu unterscheiden, konnte ein Schutzreflex sein.

Erst nach der politischen Wende war der Rahmen da, noch mal neu nach der eigenen Identität zu schauen. Allerdings kann ich von mir nicht behaupten, nach dem Mauerfall das große jüdische Aha-Erlebnis durchgemacht zu haben. Ich verstehe mich nach wie vor als säkular. Deshalb kommt für mich auch nicht infrage, Gemeindemitglied zu werden.

Erbschaft Ich mag meine jüdische Herkunft und mein Interesse an jüdischen Dingen keineswegs leugnen, aber ich gehe damit auch nicht hausieren. Noch zu DDR-Zeiten habe ich mir eine Reclam-Ausgabe mit ausgewählten Talmudzitaten gekauft. Das hat mir einen Eindruck von der großen jüdischen Tradition vermittelt. Ich habe ein Faible für jüdischen Humor – ganz offensichtlich eine Erbschaft von meinen Eltern. Und ich höre nach wie vor gern Synagogenmusik und jiddische Lieder. Das berührt mich sehr und gehört zu meinem Leben.

In Potsdam, wo meine Frau und ich seit fast 30 Jahren wohnen und wo auch unsere Kinder Philipp (33) und Johanna (28) groß geworden sind, hat sich bei mir ein starkes Heimatgefühl eingestellt. Die Stadt boomt, hat viel Kunst und Wissenschaft, zieht Ausländer an und übt sich in Toleranz. Antisemitismus ist hier eher die Ausnahme. Seit 20 Jahren gibt es in der Stadt auch wieder eine jüdische Gemeinde. Fast alle Mitglieder sind Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion. Sie haben meine Sympathien, sie ringen um ihre Identität, und sie benötigen eine Synagoge.

Vor sechs Jahren hat sich ein lokaler Bauverein formiert mit vielen hoch motivierten jüdischen, christlichen und auch konfessionslosen Bürgern. Ich wusste sofort: Da machst du mit, da bist du dabei. Das Projekt ist inzwischen weit fortgeschritten. Im Juni wird der Grundstein gelegt, und Ende 2012 soll die Synagoge fertig sein. Vor ein paar Monaten habe ich den Vorsitz im Bauverein übernommen. Die Arbeit erfordert noch einen langen Atem.

Aufgezeichnet von Olaf Glöckner

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