Kulturtage Stuttgart

Der Bankier des Herzogs

Ein zum Katholizismus konvertierter Herzog, protestantische Landstände, ein jüdischer Finanzmakler und die hohe Kunst von Politik und Finanzwirtschaft: Diese konfliktträchtige Konstellation wurde Joseph Ben Issachar Süßkind Oppenheimer, der Nachwelt bekannt als Joseph Süß Oppenheimer, zum Verhängnis.

Als Herzog Carl Alexander von Württemberg am 12. März 1737 überraschend starb, wurde Oppenheimer Opfer eines antisemitischen Justizskandals. Sein Schicksal diente als Vorlage für literarische, filmische und theatrale Umsetzungen. Ein literarischer Stadtspaziergang im Rahmen der Jüdischen Kulturwochen mit Geschichtsvermittler Bernd Möbs und dem Schauspieler Rudolf Guckelsberger führte rund 40 Interessierte an historische Orte.

Treffpunkt: Schillerplatz vis-à-vis vom Alten Schloss. Hier zog Carl Alexander im Jahre 1733 in einer 16-spännigen Kutsche als neuer Herzog von Württemberg ein. Rudolf Guckelsberger zitiert aus dem Roman Jud Süß von Lion Feuchtwanger. Die ganze Stadt sei getaucht gewesen in Musik, Bollerschüsse und 1.000 bunte Fahnen.

»Herz und Mäuler offen«, hätten sich die Stuttgarter gefreut, aber auch gemischte Gefühle gehabt. »Viel Ruhm, wenig Geld« brächte der neue Regent mit. Um also die marode Staatsfinanzierung in Ordnung zu bringen und das rückständige Herzogtum wirtschaftlich zu entwickeln, holte Carl Alexander den Frankfurter Bankier und Finanzmakler Joseph Süß Oppenheimer nach Stuttgart.

MÜnzwesen Treffpunkt: Münzstraße, vor der Markthalle. Hier war die damalige Münzprägestätte des Herzogtums Württemberg, aber auch des Deutschen Reiches. Oppenheimer wurde nicht nur persönlicher Finanzberater, Hof- und Kriegsfaktor, sondern auch Pächter der Münze. Treffpunkt: Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz. Eingequetscht zwischen einer breiten Tiefgarageneinfahrt und eher unschönen Rückfronten von Geschäftshäusern trägt ein kleiner Platz den Namen Oppenheimers.

Hier erfährt der vielgeschmähte Bankier mehr als 260 Jahre nach seiner Hinrichtung 1998 eine symbolische Würdigung. In den damaligen Zeitungsberichten nennen Journalisten die Wahl des Ortes »eine nach- trägliche Bestrafung«. Danach wurde der Platz mit Blumenkübeln aufgehübscht.

Politik Treffpunkt: Kronprinzenstraße. Hier war zu Zeiten Carl Alexanders der Sitz der Württembergischen Landschaft, des Vorgängers des Landtages. Guckelsberger liest aus Feuchtwangers Roman das komplizierte Procedere zur Abstimmung der Verfassung.

Treffpunkt: Schlossstraße/Friedrichstraße: Kein einziges Gebäude aus der Zeit Oppenheimers ist erhalten. Doch hier lebte der Finanzier. Und hier hat Wilhelm Hauff in seiner Novelle Jud Süß auch das Verhältnis zwischen der fiktiven Tochter Oppenheimers, Lea, und Gustav Lanbeck, einem Protestanten, angesiedelt.

Treffpunkt: Königstraße. Von hier aus ging der Hinrichtungszug, nachdem Joseph Süß Opfer eines Justizskandals wurde. Sein Sturz kam, als Herzog Carl Alexander 1737 starb. Noch in der gleichen Nacht wurde der Geheime Finanzrat festgenommen. Die evangelisch-pietistisch geprägten Landstände pochten auf alte Rechte, setzten sich durch und brachten Oppenheimer nach einem Scheinprozess an den Galgen. Mehr als 12.000 Menschen waren Zeugen seiner Hinrichtung; sechs Jahre blieb der Leichnam in einem eisernen Käfig hängen. Das Skelett wurde am Fuße des Galgens verscharrt.

Verhängnis Der wirkliche Oppenheimer blieb in der öffentlichen Wahrnehmung hinter all den Zerrbildern bis heute verborgen: Ein fantasievoller und engagierter Geschäftsmann, dessen Idee eines modernen Finanzwesens ihm zum Verhängnis wurde, auch, weil er Jude war.

Da passt, was Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, sagt: »Über Jahrhunderte hinweg versuchten Staaten, auch in Europa, kulturelle Einheitlichkeit zu erzwingen. Wo Herrscher über Menschen unterschiedlicher Kultur und Religion geboten, galt dies gemeinhin als Problem. Und wo Unterschiede benannt wurden, dienten sie oft der Rechtfertigung von Diskriminierung, Ausgrenzung und sogar Verfolgung.«

Programm Der Ministerpräsident ist Schirmherr der Jüdischen Kulturwochen Stuttgart 2011. Unter dem Motto »Jüdische Identität – Die Kultur des Unterscheidens« finden noch bis 17. November Vorträge, Lesungen, Theateraufführungen, Filme und Konzerte statt. So lädt Thomas Schild am Sonntag, 13. November, ab 15 Uhr zum Stadtrundgang durchs jüdische Stuttgart ein, Treffpunkt ist das Literaturhaus Breitscheidstraße 4.

Die Preisträger des Karl-Adler-Wettbewerbs 2011 geben am selben Tag um 15 Uhr ein Konzert im Gemeindesaal der IRGW, Firnhaberstraße 9. Und abends, ab 19.30 Uhr, moderiert Rabbiner Joel Berger die Lesung »von Rabbis und Juden im Kriminalroman« im Gemeindesaal der IRGW. Die jüdische Küche entdecken können Interessierte am Mittwoch, 16. November, von 18 bis 22 Uhr in der Lehrküche am Rothebühlplatz 28. Mit den ko- scheren Speisegesetzen machen sie Rachel Dror und Alfred Hagemann vertraut.

Jom Haschoa

Geboren im Versteck

Bei der Gedenkstunde in der Münchner Synagoge »Ohel Jakob« berichtete der Holocaust-Überlebende Roman Haller von Flucht und Verfolgung

von Luis Gruhler  05.05.2025

Berlin/Potsdam

Anderthalb Challot in Apartment 10b

In Berlin und Potsdam beginnt am 6. Mai das Jüdische Filmfestival. Die Auswahl ist in diesem Jahr besonders gut gelungen

von Katrin Richter  05.05.2025

Sehen!

Die gescheiterte Rache

Als Holocaust-Überlebende das Trinkwasser in mehreren deutschen Großstädten vergiften wollten

von Ayala Goldmann  04.05.2025 Aktualisiert

Nachruf

»Hej då, lieber Walter Frankenstein«

Der Berliner Zeitzeuge und Hertha-Fan starb im Alter von 100 Jahren in seiner Wahlheimat Stockholm

von Chris Meyer  04.05.2025

Essay

Das höchste Ziel

Was heißt es eigentlich, ein Mensch zu sein? Was, einer zu bleiben? Überlegungen zu einem Begriff, der das jüdische Denken in besonderer Weise prägt

von Barbara Bišický-Ehrlich  04.05.2025

Zusammenhalt

Kraft der Gemeinschaft

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern feierte das Fest der Freiheit im Geiste von Tradition und Herzlichkeit

von Rabbiner Shmuel Aharon Brodman  03.05.2025

Porträt der Woche

Die Zeitzeugin

Assia Gorban überlebte die Schoa und berichtet heute an Schulen von ihrem Schicksal

von Christine Schmitt  03.05.2025

München

Anschlag auf jüdisches Zentrum 1970: Rechtsextremer unter Verdacht

Laut »Der Spiegel« führt die Spur zu einem inzwischen verstorbenen Deutschen aus dem kriminellen Milieu Münchens

 02.05.2025

Auszeichnung

Margot Friedländer erhält Großes Verdienstkreuz

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer erhält das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Steinmeier würdigt ihr Lebenswerk als moralische Instanz

 02.05.2025