Bundestag 2017

Demokratie üben

Seit einigen Tagen dürfen die Parteien für die Bundestagswahl am 24. September plakatierten. Foto: dpa

Bei der telefonischen Anfrage, sich zur AfD zu äußern, hält sich Michael Fürst zurück. Er kennt den Autor nicht, und so spontan will er sich dazu nicht äußern. Als der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen jedoch erfährt, wer und was hinter der Umfrage steht, wird er redseliger und fordert das Publikum im Kulturzentrum PFL in Oldenburg öffentlich auf, am 24. September zur Bundestagswahl zu gehen, das demokratische Instrument zu nutzen, um rechten Populisten nicht das Feld zu überlassen. »Gehen Sie am 24. September zur Wahl«, sagt er den Festgästen an einem Sonntag im August. Bis dahin sind es noch sechs Wochen.

Die Aufforderung kommt nicht von ungefähr – auch, dass teils Juden davon angesprochen werden. Denn die Wähler von Polikern, die sich zwar israelfreundlich geben, aber sich fremdenfeindlich und islamfeindlich äußern, finden sich auch unter Juden. So gibt es in Württemberg sogar drei AfD-Politiker, die aus der jüdischen Community stammen. Für viele Gemeindemitglieder ein Unding, für den Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) eine Unmöglichkeit.

Und so sprach der Vorstand in seiner neuesten Ausgabe der Gemeindezeitung auch dezidiert in einem Editorial seine Mitglieder an: »Abschließend gestatten Sie uns die dringende Bitte, dass Sie am 24. September zur Wahl gehen.« Für die Bevölkerungsmehrheit sei es leider ein Leichtes, aus Protest ein Wahlkreuz am politisch rechten Rand zu machen. »Bis man in der Mitte der Gesellschaft die Folgen spürt, ist es zumeist ein langer Weg, dennoch schneller als man glaubt«, warnen Barbara Traub, Susanne Jakubowski und Michael Kashi. »Doch wir als kleine Minderheit, die wir eben nicht immer im Mainstream mitschwimmen, spüren den sich drehenden Wind mitunter schnell.«

Religionsfreiheit Sie verweisen auf ein Schreiben von Zentralratspräsident Josef Schuster, der bereits im April warnte: Die AfD »will offenbar ein chauvinistisch-nationalistisches Denken in Deutschland wieder salonfähig machen. Gegen nationale und religiöse Minderheiten wird ohne Skrupel und ohne Verantwortungsbewusstsein Stimmung gemacht. (… Die) AfD strebt (...) Einschränkungen der Religionsfreiheit an, die jüdisches und muslimisches Leben hierzulande bedrohen. (…) Antisemitismus, Antiziganismus und Rassismus gehören mittlerweile zum gängigen Ton der Partei. Das müsste nun auch den letzten Zweiflern klar geworden sein. (…) Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland setzt auf die übrigen demokratischen Parteien und die Zivilgesellschaft, sich der AfD klar entgegenzustellen.« »Daher gilt ganz klar auch für uns«, so der IRGW-Vorstand: »Gehen Sie am 24. September zur Wahl – es zählt eine jede Stimme!«

Auch an anderen jüdischen Gemeinden geht das Thema nicht spurlos vorbei, nicht zuletzt angesichts der jüngsten Wahlerfolge der rechtspopulistischen »Alternative für Deutschland« (AfD). Auch sie äußern sich zu der bevorstehenden Bundestagswahl und der rechtspopulistischen Gefahr.

Gespräche Es habe bisher keinen offiziellen Wahlaufruf gegeben, sagt Irina Katz, Vorsitzende der Israelitischen Gemeinde Freiburg. Gleichwohl habe sie die Gemeindemitglieder mehrfach darauf angesprochen, dass die AfD eine Gefahr für das jüdische Leben darstellt. »Man sollte nicht passiv bleiben, wenn man die Möglichkeit hat zu wählen«, sagt Katz.

Mit der Haltung des Gemeindevorstands seien nicht alle einverstanden. Unter den russischsprachigen Zuwanderern gebe es eine Gruppe, die die AfD zwar nicht wählen möchte, es aber gut fände, wenn die rechtspopulistische Partei im Bundestag vertreten wäre. »Eine andere Gruppe sagt, sie würde die AfD wählen«, erzählt Katz.

»Wir werden als Vorstand zur Wahl aufrufen«, bekennt Reinhard Schramm, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen in Erfurt. Der Aufruf werde auf der Mitgliederversammlung erfolgen. Er werde zudem den Rabbiner bitten, in Gesprächen mit den Gemeindemitgliedern das Thema anzusprechen, sagt Schramm und ergänzt: »Wir werden aufrufen, zur Wahl zu gehen und die Demokratie zu festigen.«

»Eine explizite Wahlaufforderung beziehungsweise Wahlempfehlung gibt es bei uns nicht«, sagt hingegen Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle (Saale). Die stimmberechtigten Mitglieder, die in Halle eine Minderheit seien, würde der Vorstand jedoch ansprechen und bei Bedarf »wegen der rechten Parteien, die sich als judenfreundlich tarnen, vorwarnen«, ergänzt Privorozki.

»Selbstverständlich fordern wir unsere Mitglieder auf, zur Wahl zu gehen, sofern sie wahlberechtigt sind«, sagt dann noch Michael Fürst als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hannover. Dies geschehe vor allem in Gesprächen und bei gemeindeinternen Treffen. »Wir werden keine Weisung erteilen«, betont Fürst. Das Thema Rechtspopulismus werde ebenfalls angesprochen.

REchtspopulismus Avadislav Avadiev, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde Koblenz, findet die Stimmabgabe am 24. September sehr wichtig. »Unsere Mitglieder sollen sich stark an den Wahlen beteiligen.« Die Gefahr des Rechtspopulismus spiele dabei eine große Rolle. »Wir wissen aus der Geschichte, wie die Anfänge sind und wohin das führt«, sagt Avadiev. Er plädiert dafür, den Rechtspopulismus mit demokratischen Mitteln zu bekämpfen.

In der Marburger Gemeinde sei die bevorstehende Bundestagswahl »immer wieder Thema«, berichtet die stellvertretende Vorsitzende Monika Bunk. Es gebe keinen offiziellen Wahlaufruf. »Wir sagen beispielsweise in den Seniorengruppen denjenigen, die wählen dürfen, dass sie zur Wahl gehen sollten«, berichtet Bunk.

Wahlrecht »Wir rufen dazu auf, vom demokratischen Wahlrecht Gebrauch zu machen und wählen zu gehen«, sagt auch Richard Bermann, Vorsitzender der Synagogengemeinde Saar. Es werde keine eindeutige Wahlempfehlung für eine bestimmte Partei ausgesprochen. Gleichwohl werde die AfD in Gesprächen und Vorträgen innerhalb der Gemeinde thematisiert, erzählt Bermann. Er betont: »Da stellen wir uns absolut dagegen.«

Igor Wolodarski, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Kiel und Region, macht sich keine Sorgen um die Wahlbeteiligung seiner Gemeindemitglieder: »Ich gehe davon aus, dass die Gemeindemitglieder sehr aktiv an der Bundestagswahl teilnehmen werden.« Was die AfD anbelangt, seien die Mitglieder »ziemlich immun«, sagt Wolodarski. »Sie versuchen, die politischen Kräfte zu unterstützen, die Lösungen anbieten statt billige Parolen«, ergänzt er.

Gemeindeblatt Ob die Jüdische Gemeinde Düsseldorf zur Wahl aufrufen wird, ist noch offen, sagt Verwaltungsdirektor Michael Szentei-Heise. Der Vorstand müsse darüber noch entscheiden.

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin hat sich hingegen schon festgelegt. »In der Septemberausgabe unseres Gemeindemagazins ›jüdisches berlin‹ werden wir einen Artikel mit dem Titel ›Am 24. September sind Bundestagswahlen – Was heißt das für uns Juden?‹ veröffentlichen. Darin wird auch auf die Wichtigkeit verwiesen, wählen zu gehen«, teilt Pressesprecher Ilan Kiesling mit.

In der Frankfurter Gemeinde werde es zwar keinen offiziellen Wahlaufruf geben, sagt Verwaltungsdirektorin Jennifer Marställer. »In Gesprächen wird jedoch immer wieder gesagt, dass es wichtig ist, wählen zu gehen«, ergänzt sie.

Auch wenn nicht alle Gemeinden offen zur Teilnahme an den Bundestagswahlen in diesem Jahr aufrufen, das Bewusstsein für die Bedeutsamkeit spüren sie offenbar alle. Ein Engagement für eine starke Demokratie und gegen die rechtspopulistische Bedrohung ist allen Befragten gemeinsam.

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