Buch

Dem Feuer entrissen

Wo man Bücher verbrennt ... ist kein Lesebuch, das man in die Hand nimmt und von Seite eins bis 380 chronologisch durchliest. Es ist eine Dokumentation, in der man blättert, an einem Bild, einem Zitat oder an einer Biografie hängen bleibt, weil man den Namen wiedererkennt oder der abgedruckte Zeitungsausschnitt Interesse erweckt. Schon ist der Leser mittendrin und bei Namen, die vielleicht nur noch die Älteren unter uns kennen: Alice Ekert-Rotholz, die Autorin fernöstlicher Erzählungen wie Reis aus Silberschalen. Doch wer war Max Halberstadt oder Grete Berges?

Der Leser erfährt es anhand kurzer Biografien, viel Bildmaterial und Dokumenten, die als Faksimile abgedruckt sind. Es lassen sich Buchcover oder Alltagsdinge wie Ausweise, Postkarten, die Kultussteuerkarte von Joseph Carlebach oder Fotos aus dem Familienalbum des in Osnabrück geborenen Schriftstellers Heinz Liepmann finden. Kleine Texte erklären die politische Situation, Umstände und Atmosphäre, in denen die Bilder aufgenommen wurden, oder lassen die Porträtierten selbst zu Wort kommen.

Die Autoren Uwe Franzen und Wilfried Weinke stellen in ihrem Buch 21 Personen vor, Literaten, Schriftsteller, Übersetzer und Journalisten, deren wesentlicher geografischer Bezugspunkt Hamburg ist. Entweder, weil sie hier geboren wurden oder in der Hansestadt gelebt und gewirkt haben. Es ist ein buntes Kaleidoskop faszinierender Lebensgeschichten.

Ausstellung Der Bild- und Dokumentationsband geht auf eine Ausstellung zurück, die bereits 2013 in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky gezeigt wurde. Die 18 Porträts der Ausstellung wurden für das Buch um drei weitere ergänzt. Neu aufgenommen wurden Philipp Berges, Alice Ekert-Rotholz und Max Halberstadt. »Auch diese Ergänzung stellt noch keinen Schlusspunkt in der Erforschung und Würdigung der Lebenswege derjenigen dar, die diese Stadt nach 1933 haben verlassen müssen«, schreiben die Autoren.

Dieter Graumann, ehemaliger Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hebt in seinem Grußwort vor allem die wichtige Erinnerungsarbeit hervor. »Der Moment des Wiederentdeckens einer Person und ihres Werkes, die gezielt aus der Erinnerung getilgt werden sollte, verdeutlicht immer wieder das Ausmaß des Verlustes, welches wir noch heute in Deutschland spüren.« Und Esther Bejarano, selbst Auschwitz-Überlebende, mahnt: »Wir sind es allen Ermordeten der Schoa schuldig, dass wir weiter für Gerechtigkeit, für Frieden und Freiheit in der ganzen Welt, für die Freundschaft der Völker, gegen Rassismus und Antisemitismus kämpfen. Damit nie wieder Bücher verbrannt, Autorinnen und Autoren verbannt und ermordet werden.«

Hetze
Es sind nicht ausschließlich jüdische Schriftsteller und Professoren, deren Werke bei der Hamburger Aktion von den Nazis unter großem Gegröle den Flammen übereignet wurden. So wurden auch die Werke von Carl von Ossietzky verbrannt. Der Herausgeber der Weltbühne war katholisch getauft und evangelisch-lutherisch konfirmiert. Gegen ihn und Kurt Tucholsky hetzten die Braunen: »Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist!« Tucholsky hatte in einem Artikel der Weltbühne auf die verbotene Aufrüstung der Reichswehr aufmerksam gemacht.

Wo man Bücher verbrennt ... ist ein Buch, das beeindruckt, ein bibliophiles Kleinod in seiner Machart und faszinierendem Inhalt, den die Autoren hoffentlich weiter vervollständigen. Es gibt sicherlich noch genügend Autoren, die vielleicht weniger bekannt sind, aber die es ebenfalls verdient hätten, in die Erinnerung zurückgeholt zu werden.

Uwe Franzen, Wilfried Weinke: »Wo man Bücher verbrennt …«, Dokumentation. Atelier handwerk 2.0, Reppenstedt 2017, 376 S., 29,80 €

www.buecherverbrennung-hamburg.de

Porträt der Woche

Herzensheimat Israel

Dalit Hochberg kam als Kind nach Berlin und fand hier ihr zweites Zuhause

von Gerhard Haase-Hindenberg  28.05.2023

Berlin-Wilmersdorf

Das blaue Haus

Demnächst soll der Pears Jüdischer Campus eröffnet werden. Ein Rundgang mit Architekt Sergei Tchoban

von Christine Schmitt  28.05.2023

Statistik

Gemeinden in Zahlen

Die Neuzugänge haben sich verdoppelt – dennoch fehlt es an jüngeren Menschen

von Christine Schmitt  27.05.2023

Frankfurt am Main

Demos gegen Roger Waters vor Festhalle angekündigt

Das Motto des Protests am Konzerttag: »Frankfurt vereint gegen Antisemitismus«

 25.05.2023

Musik

Festakt im Historischen Rathaus

Mit einem Konzert wurden 75 Jahre Israel sowie 75 Jahre jüdisches DP-Orchester gefeiert

von Lukas Ruser  25.05.2023

Antisemitismus

München zeigt Flagge gegen Roger Waters

Vor der Olympiahalle gab es Proteste gegen das Konzert des Musikers

von Eva von Steinburg  25.05.2023

Nachruf

Seine Stimme ist verstummt

Oljean Ingster, langjähriger Kantor der Synagoge Rykestraße, ist mit 95 Jahren verstorben

von Christine Schmitt  25.05.2023

Interview

»Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft«

Ben Salomo über Antisemitismus, Drohmails, Hetzkampagnen und »Rap am Mittwoch«

von Gernot Wolfram  25.05.2023

Berlin

Ben Salomo ausgezeichnet

Der Musiker wurde für sein Engagement gegen Antisemitismus als Botschafter für Demokratie und Toleranz ausgezeichnet

von Gernot Wolfram  24.05.2023