Walther-Rathnau-Preis

Dank für die Versöhnung

»Seid einfach Menschen!«: Margot Friedländer Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Walther-Rathnau-Preis

Dank für die Versöhnung

Margot Friedländer kämpft gegen das Vergessen. Dafür überreichte ihr nun der Bundespräsident den Walther-Rathenau-Preis

von Lilly Wolter  30.06.2022 07:12 Uhr

100 Jahre ist es mittlerweile her. An einem Samstagmorgen machte sich Walther Rathenau mit seinem Fahrer auf den Weg zu einem Termin ins Auswärtige Amt. Er war Außenminister der Weimarer Republik und jüdischer Deutscher. Dass er am 24. Juni 1922 ohne Polizeischutz das Haus verließ, kostete ihn nur wenige Minuten später das Leben. Denn Rathenau setzte auf Demokratie, Gewaltfreiheit und Dialog und war damit längst ins Visier von Rechtsradikalen geraten. Getränkt von antisemitischen Hass-Ideologien gaben diese schließlich tödliche Schüsse auf das fahrende Auto ab, in dem Rathenau an jenem Junimorgen saß.

Mit dem Walther-Rathenau-Preis wird seit 2008 des Demokraten gedacht und gleichzeitig werden Persönlichkeiten geehrt, die genau wie er den Kampf für Demokratie und gegen Hass nie aufgegeben haben. Dazu zählt auch die Schoa-Überlebende Margot Friedländer, die am vergangenen Montag in Berlin mit der bedeutenden Auszeichnung gewürdigt wurde. In einer bewegenden Laudatio erinnerte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) nicht nur an Walther Rathenau, den er als »Märtyrer der deutschen Demokratie« beschrieb, er fand auch die richtigen Worte für Margot Friedländer, die den Preis – fein gekleidet wie immer – persönlich entgegennahm.

Als Walther Rathenau starb, war Margot Friedländer erst wenige Monate alt. Sie ahnte nicht, dass das demokratische Berlin, in das sie hineingeboren wurde, schon bald durch rechte Gewalt zerstört werden würde. Welch tragischen Verlauf ihr Leben und das ihrer Familie fortan nahm, darüber sollte die inzwischen 100-Jährige lange nicht sprechen. Nach dem Krieg wanderte sie mit ihrem Mann in die USA aus. Die Nationalsozialisten hatten ihre gesamte Familie ermordet, sie selbst überlebte nur mit Glück und durch die Hilfe von »guten, deutschen Christen«, wie sie selbst sagt. Als Zeitzeugin nach Deutschland zurückzukehren, um von ihrer Geschichte zu erzählen – das hatte sie eigentlich nie vor.

Doch im Jahr 2010, im Alter von 88 Jahren und nach dem Tod ihres Mannes, kamen die Erinnerungen plötzlich zurück. Erst dann war Friedländer bereit, davon zu erzählen und dafür permanent zurück nach Berlin zu ziehen. »Es war die richtige Entscheidung«, sagt sie heute. Und mit diesem Schritt und der beispiellosen Erinnerungsarbeit, die sie seither leistet, habe sie Deutschland ein Geschenk gemacht: nämlich das »Wunder der Versöhnung«, wie es Steinmeier treffend beschrieb.

Es wurde aber nicht nur der bedeutenden Arbeit von Margot Friedländer und Walther Rathenau gedacht. Der Bundespräsident mahnte zudem, dass unsere heutige Demokratie 100 Jahre nach dem Mord an Walther Rathenau noch immer von den gleichen Ideologien bedroht ist. Er erinnerte an Walter Lübcke, an den Anschlag auf die Synagoge in Halle, an die Opfer des NSU, an das Münchner Olympia-Attentat und an die Ermordeten in Hanau. »Wir wissen: Auch heute geht die größte Gefahr für unsere liberale Demokratie vom Rechtsextremismus aus.«

Was passieren kann, wenn zu wenig Menschen gegen rechten Terror und Hass angehen, zeigt sich damals wie heute: Es vergiftet den Frieden, kostet Menschenleben und beraubt uns unser aller Freiheit. Und so hält Steinmeier erneut fest: »Ohne die Erinnerung an die Verbrechen, die von Deutschen ausgingen, an die Verbrechen, die Deutsche verübt haben, ist deutsche Geschichte nicht zu begreifen.«

Dass Deutsche die Geschichte ihres Landes besser verstehen lernen, ist das Erbe von Margot Friedländer. Untermauert wurde dies nun mit einer besonderen Würdigung, die aber gleichzeitig einen Appell an uns alle richtet: Für den Schutz unserer Demokratie braucht es mehr Menschen wie Margot Friedländer. Sie selbst forderte in ihrer Dankesrede schlichtweg: »Seid einfach Menschen!«

Digitales Gedenken

App soll alle Stolpersteine Deutschlands erfassen

Nach dem Start in Schleswig-Holstein soll eine App in Zukunft alle Stolpersteine in Deutschland erfassen. In der App können Biografien der Opfer abgerufen werden

 24.11.2025

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

München

Nicht zu überhören

Klare Botschaften und eindrucksvolle Musik: Die 39. Jüdischen Kulturtage sind eröffnet

von Esther Martel  23.11.2025

Berlin

Gegen den Strom

Wie der Ruderklub »Welle-Poseidon« in der NS-Zeit Widerstand leistete und bis heute Verbindung zu Nachfahren seiner jüdischen Mitglieder pflegt

von Alicia Rust  23.11.2025

Porträt

Glücklich über die Befreiung

Yael Front ist Dirigentin, Sängerin, Komponistin und engagierte sich für die Geiseln

von Alicia Rust  22.11.2025

Berufung

Schau mal, wer da hämmert

Sie reparieren, organisieren, helfen – und hören zu: Hausmeister von Gemeinden erzählen, warum ihre Arbeit als »gute Seelen« weit mehr ist als ein Job

von Christine Schmitt  21.11.2025

Spremberg

Gegen rechtsextreme Gesinnung - Bürgermeisterin bekommt Preis

Rechtsextreme sprechen im ostdeutschen Spremberg vor Schulen Jugendliche an. Die Schüler schütten ihrer Bürgermeisterin ihr Herz aus - und diese macht das Problem öffentlich. Für ihren Mut bekommt sie jetzt einen Preis

von Nina Schmedding  21.11.2025

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025

Interview

»Selbst vielen Juden ist unsere Kultur unbekannt«

Ihre Familien kommen aus Marokko, Libyen, Irak und Aserbaidschan. Was beschäftigt Misrachim in Deutschland? Ein Gespräch über vergessene Vertreibungsgeschichten, sefardische Synagogen und orientalische Gewürze

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.11.2025