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Challe verzweifelt gesucht

Ein Schabbatabend ohne Schabbatbrot? Undenkbar! Foto: Marco Limberg

Jeden Donnerstagabend oder Freitagmorgen stellt sich in jüdischen Haushalten die gleiche Frage: Soll man die Challe kaufen oder sie selbst backen? Abhängig davon, wo man wohnt, beantwortet sich diese Frage meistens von selbst.

Joshua Pannbacker zum Beispiel muss selbst den Teig kneten lassen, denn in ganz Kiel, wo der 43-Jährige die Jüdische Gemeinde leitet, findet sich keine einzige Bäckerei, in der man koschere Challe kaufen könnte. »Wir müssen unsere Hefezöpfe für den Schabbat daher selbst machen«, erzählt Pannbacker, dessen Gemeinde 133 Mitglieder zählt. »Wir haben die ganze Synagoge auf fleischlos umgestellt. Eine Frau bäckt dort die Challot und zeigt auch anderen Gemeindemitgliedern, wie man das macht.«

Als Pannbacker vor einigen Jahren zum Abschluss seines Studiums nach Kiel zog, gab es dort noch nicht einmal eine Gemeinde. Zusammen mit einigen israelischen Studenten und Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion hat er diese 2004 neu gegründet und ist mittlerweile hauptberuflich als Vorbeter und Lehrer beim Landesverband der jüdischen Gemeinden Schleswig-Holstein angestellt. Den Schabbat feiert er wechselweise in Kiel und mit der Nachbargemeinde Pinneberg: »Da lernt man so manches Übernachtungssofa kennen.« Er würde diesen Tag auch gerne einmal zu Hause mit seiner Familie verbringen, sagt er: »Aber weil wir hier so eine kleine Gemeinschaft sind, rücken wir auch enger zusammen.«

Hamburg 100 Kilometer weiter südlich sieht die Situation schon komfortabler aus. Denn in Hamburg kann man selbstverständlich koschere Challot für den Schabbattisch kaufen. Bei »Mezada« zum Beispiel, einem Geschäft, das sich vor allem auf koschere Weine spezialisiert hat und von dem früheren Zahnarzt Ulrich Lohse mit viel Elan und Enthusiasmus betrieben wird. »Seit circa einem Jahr bieten wir auch koschere Lebensmittel an, und jeden Freitag gibt es Challot«, berichtet Lohse.

Ein attraktives Angebot, das aber Judith Landshut, Mitarbeiterin in der Sozialabteilung der Hamburger Gemeinde, nicht wahrnimmt. »Seit vielen, vielen Jahren backe ich meine Challot selbst«, sagt sie. Und es klingt ganz so, als könne sie nichts von dieser Tradition abbringen. Schließlich hat sie das Rezept von ihrer seligen Mutter übernommen. »Meine Mutter konnte wunderschön flechten, mit acht Teigenden hat sie die herrlichsten Zöpfe hinbekommen. Mir will das bis heute nicht gelingen, ich habe immer nur sechs Flechten«, erzählt sie freimütig.

Naturhefe Aber genau wie ihre Mutter verwendet auch Judith Landshut nur Naturhefe, die Zeit braucht zum Gären. Damit alles für den Erew Schabbat gerichtet war, ist sie, als ihre drei Kinder noch klein waren, freitagmorgens immer schon um fünf Uhr aufgestanden, um alles für den Abend vorzubereiten. »Das war toll: ein wunderbares gemeinsames Essen, mit Challe und Hühnersuppe. Und weil wir in Deutschland keine Verwandten hatten, haben wir immer noch Freunde zum Schabbat dazu eingeladen«, erinnert sie sich.

Mit leiser Wehmut blickt auch Juditha Zylberberg, ebenfalls Hamburgerin, auf die Vergangenheit zurück, als am Schabbatabend noch alle zusammen am Tisch saßen. Heute dagegen sind sie und ihr Mann häufiger zu zweit, wenn Kinder und Enkel keine Zeit haben. Aber ihre Challe bäckt »Ditta«, wie sie ihre Freunde nennen, selbst. Und die Challe ist offenbar so legendär, dass Zylberberg immer wieder nach dem Rezept gefragt wird.

»Aber ich habe keins. Kochen und Backen hat mir meine Mutter beigebracht, ich habe zugeschaut und nachgefragt, bis ich es selbst konnte.« Ob die Idee, Schokoladencreme oder Nüsse in den Hefeteig miteinzurollen, auch von ihrer Mutter stammt? Diese kalorienreichen Zöpfe bringt Juditha Zylberberg gerne als süße Überraschung bei einer Einladung mit.

Freiburg Am anderen Ende der Republik, in Freiburg im Breisgau, bäckt die Frau von Rabbiner Avrohom Yitzchok Radbil nicht mehr selbst. Nur zu besonderen Anlässen, erläutert ihr Ehemann, bereite sie den Hefeteig zu. »Wir haben das Glück, dass es in Freiburg gleich mehrere koschere Bäckereien gibt«, erzählt der Rabbiner der 720 Mitglieder zählenden Gemeinde. Und damit sind wohl vor allem die sechs Filialen der Traditionsbäckerei und Konditorei Lienhart gemeint.

»Wir haben schon seit Langem die Israelitische Gemeinde beliefert. Und so entstand die Idee, ein eigenes koscheres Sortiment herzustellen und anzubieten«, erläutert Inhaberin Petra Lienhart. Vom »Breisgauerle« bis »Schwarzwälderle«, vom »Höllentäler Krustenbrot« bis zum »Schlüterbrot Päarle« – alle diese Leckereien sind bei Lienhart koscher. Und natürlich Hefezöpfe, naturbelassen oder mit Mohn, Sesam und auf Wunsch auch mit Rosinen.

Gebacken wird in einem zusätzlichen Ofen, in den nichts, was Milch oder Käse als Zutat enthält, hineingeschoben wird. »Zweimal im Jahr kommt der Rabbiner höchst selbst und stellt den Ofen an. Dafür muss er früh aufstehen: Wir fangen gegen zwei Uhr morgens zu backen an«, sagt Petra Lienhart. Wie gut für den Schlaf des Rabbiners, dass der Ofen praktisch das ganze Jahr über läuft und nur bei der Zeitumstellung von Winter- auf Sommerzeit und umgekehrt wieder neu angeworfen werden muss.

Frankfurt/MAIN In Frankfurt, dem Sitz der zweitgrößten Gemeinde innerhalb Deutschlands, kann man koschere Challot gleich an mehreren Stellen beziehen, zum Beispiel beim Feinkostladen Petersen im Westend, der seine Backwaren aus Frankreich bezieht, oder im koscheren Supermarkt »Rimon« im Gallus-Viertel, wo die Hefezöpfe im eigenen Cateringbetrieb selbst gebacken werden. Dort allerdings muss man seine Challe spätestens bis Mittwoch vorbestellen: 40 kleine Sesamzöpfe und etwa 25 große Mohn- oder Sesamzöpfe gehen an jedem Freitagvormittag über den Ladentisch, schätzt ein Mitarbeiter von »Rimon«.

Die schönste Challe von Frankfurt kann man allerdings nicht kaufen. Die bekommt man geschenkt, aber nur, wenn man jünger als drei Jahre ist. In der Krabbelstube »Arche Noah« am Westendplatz bäckt Erzieherin Judy Hansen für jeden ihrer Schützlinge Woche um Woche einen entzückenden Minihefezopf und packt ihn in eine kleine Papiertüte, auf deren Vorderseite sie mit bunten Stiften auf Hebräisch »Schabbat Schalom« schreibt. Doch meist ist die Tüte bis auf ein paar Krümel leer gegessen, bevor es dämmert und endlich der Schabbat beginnt.

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