Essen

Blumen aus Lotan

Da kommen sie: Gut 30 Kinder aus einer fünften Klasse des traditionsreichen Burggymnasiums in der Essener Innenstadt laufen plappernd und lachend die Treppen hoch zur eingerüsteten Alten Synagoge. 2010 wurde sie als Haus der Jüdischen Kultur neu eröffnet. Seit dem 31. März ist dort bis zum 28. September die Ausstellung Green Jews zu sehen, die jüdische ökologische Ini­tiativen weltweit vorstellt.

Doch die Kinder kommen nicht wegen der Ausstellung, sondern wegen des Workshops, den Mitglieder des Öko-Kibbuz Lotan halten, der im Südosten Israels an der Grenze zu Jordanien liegt. Scheich, eines der Kinder, hat eine klare Vorstellung davon, was ihn erwartet: »Ich werde etwas über Pflanzen lernen«, sagt er – und man sieht ihm an, dass er sich auf diese grüne Unterbrechung des Schulalltags freut.

Die eigene Umgebung schöner machen

Florian Pahsen, der Biologielehrer der Klasse, meint, der Workshop passe gut zum aktuellen Unterricht: »Wir haben in den letzten Wochen über Pflanzen gesprochen und wie sie aufgebaut sind.« Das Wissen darüber, was Pflanzen brauchen und wie sie wachsen, könnten die Kinder vielleicht auch nutzen, um ihre eigene Umgebung schöner zu machen

Denn bei dem Workshop geht es nicht in erster Linie um Theorie. Die Kinder basteln unter Anleitung von Mike Kaplin und Mark Naveh vom Kibbuz Lotan sogenannte Seedballs. »Die können sie dann«, sagt Pahsen, »überall in der Stadt verteilen – an Orten, die ihnen gefallen.«

Dass Kaplin und Naveh auf Englisch unterrichten, ist kein Problem: »Die Klasse hat eine sehr gute Englischlehrerin – die Schüler kommen damit gut klar.«

Samen von Radieschen, Gurken, Brokkoli und Zitronenbasilikum werden verwendet.

Die Idee der Seedballs stammt ursprünglich aus Japan, erklärt Mike Kaplin: »Seedballs sind eigentlich eine sehr alte Idee – das ist nichts, was wir erfunden haben. Sie werden schon seit Langem verwendet. Es gab einen japanischen Naturfarmer namens Masanobu Fukuoka, der diese Methode populär gemacht hat – ich glaube, das war in den 60er-Jahren. Wir verwenden sie heute, um über Saatgut und Saatgutgewinnung aufzuklären.«

»Damit kann man sich ein schönes Gärtchen heranziehen«

Die Seedballs seien eine fantastische, praktische Methode, mit der man den Menschen im besten Fall etwas mitgeben könne, das sie auch zu Hause umsetzen können: »Man kann die Kugel einfach in den Garten werfen – wenn es regnet, löst sich der Ton auf, und plötzlich beginnt es zu sprießen.« In Essen werden Samen von Sonnenblumen, Radieschen, Brokkoli, Gurken und Zitronenbasilikum verwendet. »Damit«, sagt Kaplin, »kann man sich ein schönes Gärtchen heranziehen.«

In einem Seminarraum im Erdgeschoss der Alten Synagoge sitzen die Kinder in Gruppen zusammen und lernen etwas über Samen. Sie sollen Bilder von Pflanzen passenden Infozetteln zuordnen. In kleinen Schüsseln liegen die Samen, die alle unterschiedlich aussehen.

»Bitte geht vorsichtig mit ihnen um«, fordert Mark Naveh die Schüler auf. Er erklärt nicht nur, wie Pflanzen sich vermehren, sondern bringt den Kindern auch Achtsamkeit näher: »Die Samen sind die Babys der Pflanzen – sie sind Leben.« Mark Naveh und Florian Pahsen gehen von Tisch zu Tisch, stellen Fragen, beantworten sie und helfen beim Übersetzen – was erstaunlich selten nötig ist. Die Fünftklässler verstehen Naveh sehr gut. Es ist laut im Raum. Die Kinder diskutieren, lachen und posaunen auch mal ihre neuesten Erkenntnisse laut heraus. Sie lernen und haben Spaß dabei.

Einige der heutigen Inhalte können sie mit nach Hause nehmen – zum Beispiel, wie man selbst Samen aus Tomaten oder Gurken gewinnt. »In jeder Gurke sind Samen«, erklärt Naveh. »Aber wenn wir sie gern essen, ist es noch zu früh, um die Samen zu verwenden. Erst wenn die Gurke vertrocknet und vergammelt ist, eignen sie sich zum Züchten neuer Pflanzen.«

Die Geschmäcker sind auch in der Welt der Insekten verschieden

Auch warum manche Pflanzen stinken, wissen die Kinder nun: Während einige mit bunten Blütenfarben Insekten wie Bienen anlocken – die mögen Rot, Blau und Gelb –, setzen andere auf Aasgeruch, um fleischfressende Insekten anzuziehen. Die Geschmäcker sind eben auch in der Welt der Insekten verschieden.

Nach einer kurzen Pause geht es in die obere Etage. Dort steht ein großer Holztisch bereit. Die Kinder bringen die kleinen Schüsseln mit Samen mit, die sie sich zuvor angeschaut haben. Nun werden Seedballs gebastelt – die Samen kommen zusammen mit Tonerde in Tütchen, die die Kinder selbst aus Papier falten. Wenn alles gut geht, werden an den Stellen, an denen sie die Kugeln in den Boden stecken, bald Pflanzen wachsen – spätestens nach dem nächsten Regen, der in Essen ja nie lange auf sich warten lässt.

Dass Kinder die Alte Synagoge besuchen, sei keine Seltenheit, sagt Leiterin Diana Matut: »Im Gegenteil – Tausende kommen jedes Jahr ins Haus der Jüdischen Kultur.« Die Workshops des Kibbuz Lotan, von denen sich weitere auch mit Kunst oder Müllverwertung beschäftigen, sind eingebettet in eine Ausstellung, die von der Künstlerin Anna Adam kuratiert wurde.

Diana Matut möchte zeigen, wie tief der Umweltgedanke im Judentum verwurzelt ist.

Im großen Saal der ehemaligen Synagoge hat Adam ein riesiges, buntes Schaufenster mit gemalten Blumen und anderen Pflanzen aufgebaut. »Anna Adam hat zum Teil draußen bei Frost gearbeitet«, erinnert sich Matut. Sechs Monate war die Künstlerin in Essen, um die Ausstellung aufzubauen.

Diana Matut ist es wichtig zu zeigen, wie tief der Umweltgedanke im Judentum verwurzelt ist: »Das Nachdenken über das Verhältnis des Menschen zur Natur, zur Erde, zu Tieren, Land, Wasser und Luft gehört zur jüdischen Tradition. Es reicht bis zu den frühesten Textzeugnissen der hebräischen Bibel – und bis in die Gegenwart.«

»Wir glauben an die enge Verbindung zwischen Mensch und Planet«

Ein Beispiel dafür ist »Adamah«, die größte jüdische Umweltorganisation in den USA, die nach dem hebräischen Wort für »Boden« benannt wurde. In ihrer Selbstdarstellung heißt es: »Unsere Mission ist es, ein lebendiges jüdisches Leben in tiefer Verbundenheit mit der Erde zu pflegen. Wir glauben an die enge Verbindung zwischen Mensch und Planet.«

32.000 Menschen haben 2024 an ihren Veranstaltungen teilgenommen, 400 Organisationen haben sich ihrer Klimaschutzinitiative angeschlossen. In Großbritannien wiederum ist EcoJudaism aktiv – eine jüdische Wohltätigkeitsorganisation, die sich für Klimaschutz und den Erhalt der Natur einsetzt.

Sie legt Wert darauf, orthodoxe, liberale und konfessionslose Juden gleichermaßen einzubeziehen: »EcoJudaism vereint sie alle mit demselben Ziel: jüdische Umweltverantwortung zu verstehen und zu übernehmen.«

Ziel der Ausstellung ist es, zu zeigen, welche Konzepte die verschiedenen jüdischen Traditionen im Laufe der Jahrtausende entwickelt haben: Wie kann man Erde und Lebewesen Ruhe und Erholung verschaffen? Wie geht man sorgsam mit Ressourcen um? Wie schützt man die Grundlagen für Geist, Körper und Seele?

Und die Kinder des Burggymnasiums? Sie sorgen mit ihren Seedballs ganz nebenbei dafür, dass bald in ganz Essen Sonnenblumen, Radieschen, Brokkoli, Gurken und Zitronenbasilikum wachsen.

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