Jüdischer Zukunftskongress

»Blick nach vorn«

Dalia Grinfeld, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland Foto: Margrit Schmidt

Junge Juden aus ganz Deutschland debattieren seit Montag auf einem mehrtägigen Kongress in Berlin über ihre Zukunft in Deutschland. Zu dem Jüdischen Zukunftskongress unter dem Motto »Weil ich hier leben will« haben sich nach Veranstalterangaben 1000 Teilnehmer aus Deutschland und Europa angemeldet.

Auf dem Programm stehen Podiumsdiskussionen, Workshops und Zeitzeugengespräche, unter anderem zum jüdisch-muslimischen Dialog, zum Jüdischsein außerhalb von Synagogen und Gemeinden oder zu Flucht und Migration 1938 und heute.

Teilnehmer Als Referenten und Podiumsteilnehmer werden Akteure aus Politik, Wissenschaft und Kunst erwartet. Darunter sind die Antisemitismusbeauftragten von Bundesregierung und EU-Kommission, Felix Klein und Katharina von Schnurbein, Zentralratspräsident Josef Schuster, der Publizist Micha Brumlik und die Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin, Léontine Meijer-van Mensch.

Veranstalter des Kongresses sind neben der Leo Baeck Foundation die Berliner Senatskulturverwaltung und die Bundeszentrale für politische Bildung. Zudem beteiligen sich jüdische und nichtjüdische Institutionen, darunter das Centrum Judaicum, der Zentralrat der Juden, die Allgemeine Rabbinerkonferenz Deutschland, die »Aktion Sühnezeichen Friedensdienste« und der Deutsche Kulturrat.

»Es gibt wieder eine Zukunft für Juden in Deutschland und über deren Gestaltung wollen wir in den nächsten Tagen reden«, sagte der Vorsitzende der Leo Baeck Foundation, Rabbiner Walter Homolka, am Montag in Berlin bei der Vorstellung des Zukunftskongresses. Das sei vor 30 Jahren »so nicht klar gewesen«.

Zivilgesellschaft In den vergangenen Jahrzehnten habe sich in Deutschland auch außerhalb der Gemeindestrukturen eine jüdische Zivilgesellschaft entwickelt, die sich einbringen wolle, erklärte der Vorsitzende der Union progressiver Juden in Deutschland und Gründer des Potsdamer Abraham-Geiger-Kollegs.

Die Idee, zum 80. Jahrestag der NS-Pogrome vom 9. November 1938 einen Jüdischen Zukunftskongress zu veranstalten, sei bei einem Glas Wein mit dem Berliner Kultursenator Klaus Lederer (Linke) entstanden, sagte Homolka. Lederer erklärte, Ziel sei es, die klassischen Formen des Gedenkens an den Holocaust zu ergänzen oder »gar aufzubrechen«.

»Es geht um den Blick nach vorn«, sagte der Kultursenator. Die heutige jüdische Community in Deutschland sei bunt und vielfältig und habe eine neue Identität, die sich nicht nur aus dem Rückbezug auf die Schoa entwickelt.

Spagat Die Sozialwissenschaftlerin Anastassia Pletoukhina sprach von einem »Spagat zwischen Erinnern und Zukunft«, in dem sich junge Juden in Deutschland häufig befänden. Diese Generation suche eine neue Identität, in der das »Narrativ der Opfer« abgelegt werde.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, Gideon Joffe, sprach sich für neue Formen des Gedenkens an die NS-Verbrechen aus. Ohne Erinnern sei eine tragfähige Zukunft nur schwer möglich, sagte Joffe. Möglicherweise müsse das Gedenken auf weitere Opfergruppen ausgeweitet werden, beispielsweise auch auf die deutschen Opfer der NS-Zeit, um die Mehrheitsgesellschaft mehr mitzunehmen. Ein Gedenken in der bisherigen Form habe keinen Sinn, wenn gleichzeitig der Antisemitismus weiter zunehme.

Am Montagabend wird der Jüdische Zukunftskongress in der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum feierlich eröffnet. In diesem Rahmen wird zudem die Ausstellung 1938 des Leo-Baeck-Instituts New York/Berlin eröffnet. Zur Kongresseröffnung spricht Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, ein Grußwort.

Aktivismus Am Dienstagmorgen steht unter anderem die Podiumsdiskussion zum Thema »Jüdischer sozialer Aktivismus, Erinnerung, Politik« auf dem Programm. Es diskutieren Hannah Dannel, die Kulturreferentin des Zentralrats der Juden, Levi Israel Ufferfilge, Schulleiter aus München, Dalia Grinfeld, die Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, und Anastassia Pletoukhina.

Am Mittwoch findet eine weitere Podiumsdiskussion unter dem Motto »Jüdischkeit außerhalb von Synagogen und Gemeindestrukturen« statt. Es diskutieren Marat Schlafstein vom Zentralrat der Juden, Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, der Politikwissenschaftler Yan Wissmann, Rabbinerin Natalia Verzhbovska und die Sozialwissenschaftlerin Ruth Zeifert. epd/ja

www.juedischer-zukunftskongress.org

Berlin

Zentralrat der Juden begeht sein 75. Jubiläum

Die Dachorganisation der jüdischen Gemeinden lud zahlreiche Gäste aus Politik und Zivilgesellschaft nach Berlin. Der Bundeskanzler hielt die Festrede

von Imanuel Marcus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Erinnerung

Eisenach verlegt weitere Stolpersteine

Der Initiator des Kunst- und Gedenkprojekts, Gunter Demnig aus Köln, die Stolpersteine selbst verlegen

 16.09.2025

Porträt der Woche

Passion für Pelze

Anita Schwarz ist Kürschnerin und verdrängte lange das Schicksal ihrer Mutter

von Alicia Rust  16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Sachsen-Anhalt

Erstes Konzert in Magdeburger Synagoge

Die Synagoge war im Dezember 2023 eröffnet worden

 15.09.2025

Thüringen

Jüdisches Bildungsprojekt »Tacheles mit Simson« geht erneut auf Tour

Ziel des Projektes sei es, dem Aufkommen von Antisemitismus durch Bildung vorzubeugen, sagte Projektleiter Johannes Gräser

 15.09.2025