Porträt der Woche

»Bilder sind wie Kinder«

Es ist nicht leicht, heutzutage als Künstler noch ein Bild zu verkaufen. Früher kamen manchmal Leute in die Galerie in Osnabrück, in der ich gearbeitet habe, und kauften einfach so ein Bild von mir, um ihr Wohnzimmer damit zu schmücken. Inzwischen geben viele ihr Geld lieber für Reisen, Computer oder Autos aus.

Ich hoffe, dass ich nach meiner Ausstellung im Europarat in Straßburg noch das eine oder andere verkaufen kann. 15 Bilder waren dort den ganzen Juni über ausgestellt. Ein Jahr lang habe ich daran gearbeitet. Diese kristallinen, geometrischen Formen mit den vielen Farben, die dann ein abstraktes Bild oder auch eine Stadt, eine Gestalt oder ein Gesicht ergeben, brauchen viel Zeit.

Lubawitscher Rebbe Vor ein paar Jahren habe ich mal ein Porträt des Lubawitscher Rebben, Menachem Mendel Schneerson, gemalt. Es besteht aus mehr als 5000 Drei- und Vierecken. Der Rabbi hängt bei mir im Wohnzimmer. Ich würde ihn niemals hergeben! Manche Bilder sind wie Kinder – die verkauft man nicht.

Ich lebe seit 1993 in Osnabrück. Meine Familie stammt aus Riga, der Hauptstadt Lettlands. Aber ich bin in Deutschland geboren, in Magdeburg. Mein Vater war dort Chefredakteur einer Zeitung der sowjetischen Armee. Als ich zwei war, sind meine Eltern wieder nach Riga gezogen. Dort habe ich schon als Kleinkind zu Hause die Wände vollgemalt. Meine Eltern haben mich gelassen. Als ich sechs war, habe ich zum ersten Mal die Eremitage im damaligen Leningrad besucht. Das war wie eine Art Erweckung für mich! Ich wusste, ich wollte auch so malen. Zum Glück hatte ich fantastische Lehrer in Riga. Die haben mir alles beigebracht, was ein Maler können muss.

Als Anfang der 90er-Jahre die baltischen Staaten von Moskau wegstrebten, wurde die Lage für Juden in Lettland immer schwieriger. Da wurde uns schnell klar: Wenn es hier Ärger gibt, ist es Zeit zu verschwinden. Die Möglichkeit, nach Deutschland auszuwandern, kam genau zur rechten Zeit. Es fiel uns relativ leicht, in Deutschland anzukommen, da es viele Ähnlichkeiten mit Lettland gibt. Als wir uns in Osnabrück einigermaßen eingerichtet hatten, verspürte ich noch mehr Lust zu malen als früher. Es war alles leichter, bunter, vielfältiger, freier. Ich fühlte mich nicht mehr eingeengt. Deutschland war eine gute Wahl.

Atelier Mein Wohnzimmer ist auch mein Atelier. Früher hatte ich ein Atelier am anderen Ende der Stadt. Doch die Fahrerei wurde mir zu umständlich. Nun arbeite ich in meiner kleinen Osnabrücker Wohnung. Sie ist zugestellt mit Bücherregalen, Leinwänden und Farben. Auf Schränken und Regalen stehen Gläser, vollgestopft mit Pinseln. Im Wohnzimmer steht meine Staffelei. Dort male ich. Das Tageslicht reicht aus. Für die Abende und Nächte, in denen ich arbeite, habe ich spezielle Lampen.

Ich kann 20 Stunden am Stück vor der Leinwand sitzen und arbeiten. Dann schlafe ich manchmal nur vier Stunden oder stehe morgens erst sehr spät auf. Mein etwas chaotischer Rhythmus lässt sich nur schwer mit der Familie vereinbaren. Inzwischen sind meine Frau und ich getrennt. Aber das ist okay. Meine Tochter wohnt bei meiner Frau nicht weit von meiner Wohnung entfernt. Ich sehe sie fast jeden Tag. Auch sie malt. Mit drei hat sie damit angefangen, mit zehn hatte sie ihre erste Ausstellung und gewann seitdem drei Mal den Landeswettbewerb »Jugend gestaltet«. Jetzt ist sie 15 und malt immer noch gern.

Genau wie ich. Ich muss einfach malen. Was das angeht, bin ich ein bisschen verrückt. Irgendeine andere Arbeit anzunehmen, nur um Geld zu verdienen, das könnte ich nicht. Außerdem bin ich schon 55. Da ist es nicht mehr so leicht, eine feste Stelle zu finden. Aber ich habe natürlich auch materielle Bedürfnisse. Zum Beispiel kaufe ich gern Kunstbücher. Mehr als 200 Bildbände von Rembrandt, Picasso, van Gogh, Dali, Monet liegen und stehen in meinen Regalen. Es gibt keinen großen Maler, der hier bei mir nicht vertreten ist.

Fußball-WM Außerdem spiele ich gern Schach, lese Bücher und modelliere aus Ton. Beim Malen läuft bei mir oft der Fernseher im Hintergrund. Vor allem in den vergangenen Wochen, während der Fußball-WM, war das häufig der Fall.

Geld verdiene ich, wenn ich hin und wieder ein Bild verkaufe. Oder ich arbeite in verschiedenen Projekten in der Erwachsenenbildung. Neulich hat ein Verlag Bilder für einen jüdischen Kalender bei mir bestellt. Das bringt auch ein bisschen was ein. Ausstellungen meiner Bilder gab es schon in den USA, in Kanada, in München und natürlich in und um Osnabrück. Aber die bringen finanziell meist nicht so viel.

Etwa ein Mal im Monat arbeite ich für das Projekt »Judentum begreifen«. Ich besuche gemeinsam mit anderen Gemeindemitgliedern die Schulen in der Region, um Kindern und Jugendlichen das Judentum näherzubringen. So etwas gibt es in Deutschland sonst nicht. Die Jüdische Gemeinde Osnabrück und die christlich-jüdische Gesellschaft haben das Projekt gemeinsam ins Leben gerufen.

hebräisch Die Schüler bekommen nicht einfach Informationen vorgesetzt. Sie können den ganzen Vormittag lang verschiedene Workshops besuchen, die wir gestalten. Zum Beispiel schreibe ich mit ihnen hebräische Buchstaben, bastele Lesezeichen mit religiösen Symbolen darauf oder male etwas für sie. Andere basteln Masken fürs Purimfest oder zeigen ihnen, wie wir Pessach feiern. Ich mag es sehr, mit den Kindern zu arbeiten. Sie sind oft sehr aufmerksam, kreativ, neugierig – zumindest die Grundschüler und die, die in der 5. oder 6. Klasse sind.

Seit ein paar Jahren bin ich religiös. Den Schabbat halte ich erst, seit ich hier in Osnabrück in der Jüdischen Gemeinde bin. Früher kannte ich keinen einzigen jüdischen Feiertag. Ich war der Auffassung, der Schabbat sei ein verlorener Tag. Heute weiß ich: Es ist ein gewonnener Tag, den ich immer mit meiner Familie verbringe. Es ist sehr wichtig, mit der Familie zusammen zu sein, vor allem in unserer schnelllebigen Zeit, wo das oft viel zu kurz kommt.

Ich besuche auch gerne meinen Neffen in Jerusalem. Er ist dort Rabbiner. Mich begeistert diese Stadt, und ich habe sie schon oft gemalt. Die gelben Steine, aus denen die meisten Häuser dort gebaut sind, leuchten bei einem bestimmten Lichteinfall golden. Es ist fantastisch, wenn ich die vielen Häuser mit meiner geometrisch-kristallinen Maltechnik einfangen kann.

unabhängig Aber in Zukunft will ich wieder etwas ganz anderes malen. Was meine Maltechnik und meinen Stil angeht, habe ich mich nie festlegen lassen. Das fände ich langweilig. Ich will absolut unabhängig sein, heute eine impressionistische Landschaft als Aquarell malen, morgen ein realistisches Porträt oder Stillleben in Öl und übermorgen ein surrealistisches Bild in Acryl.

Es gibt immer wieder verschiedene Phasen. Zurzeit habe ich etwas Surrealistisches im Kopf. Von Straßburg aus, wo ich kürzlich meine Bilder wieder abholen musste, habe ich einen Abstecher zur Kunstmesse »Art Basel« gemacht, um neue Kontakte zu knüpfen. Vielleicht ergibt es sich, dass ich dort dann meine neuen Gemälde ausstellen kann. In meinem Alter fängt man an zu überlegen, wie man es anstellt, möglichst viel zu schaffen. Denn wie jemand mal so schön sagte: Das Leben ist kurz. Die Kunst ist lang.

Aufgezeichnet von Martina Schwager.

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