Bremen

Belebtes Trafohäuschen

Das jiddische Wort »Yortsayt« beschreibt den ersten Jahrestag einer Beerdigung, um eines verstorbenen Menschen zu gedenken. Daraufhin wird die Yortsayt nicht mehr am Beerdigungstag, sondern am Todestag begangen – eine Tradition seit dem 15. Jahrhundert. So entwickelte sich der Brauch, an diesen Jahrestagen eine Yortsayt-Kerze anzuzünden, die 24 Stunden brennt. Und so entstand auch die Idee, jeden 1. Juli am Köfte-Kosher-Gedenkpavillon in Bremen Yortsayt-Kerzen für Marwa El-Sherbini aufzustellen.

Der Pavillon an der Ecke Humboldtstraße/Fehrfeld ist 2012 als jüdisch-muslimisches Kunst- und Jugendprojekt ins Leben gerufen worden, um auf rechte Gewalt im Alltag aufmerksam zu machen.

Lesen Sie auch

»Er erinnert an zwölf Menschen, die aufgrund von Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Ableismus oder Obdachlosigkeit ermordet wurden – stellvertretend für viele weitere Opfer rechter Gewalt in Deutschland, 219 Menschen, die – laut Amadeu Antonio Stiftung – zwischen 1990 und 2010 von Rechtsextremisten ermordet wurden«, heißt es auf der Website »koefte-kosher.de«: »Unser Bedürfnis war es, die Jugendlichen positiv in ihren jeweiligen kulturellen Identitäten zu bestärken und sie gleichzeitig dazu zu motivieren, gemeinsam ein Zeichen gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu setzen.«

Die Stadtwerke Bremen stellten für das Projekt ein Trafohäuschen zur Verfügung.

Die Stadtwerke Bremen stellten für das Projekt ein Trafohäuschen zur Verfügung, das sich auf dem heutigen Marwa-El-Sherbini-Platz befindet. Zwölf Porträts wurden im Rahmen einer Aktionswoche an die Wände des Trafohäuschens gesprüht, unter dem Motto: »Rechte Gewalt geht uns alle an!«

2018 wurden der Gedenkpavillon restauriert und die Porträts unter Schutzglas gelegt. Der Platz trägt seither den Namen von Marwa El-Sherbini, der Pharmazeutin und ehemaligen ägyptischen Handballnationalspielerin, die 2009 im Landgericht Dresden von einem rechtsradikalen Attentäter getötet wurde. Sie hatte mit ihrer Familie zwischen 2005 und 2008 in Bremen gelebt.

Köfte Kosher wurde mitbegründet von der Schweizer Künstlerin Elianna Renner, die in Bremen und Tel Aviv lebt und »an der Schnittstelle von Biografie und Geschichte« arbeitet. »In schweren Zeiten wie diesen ist es wichtiger denn je, auf Solidarität zu setzen, Erinnerungsarbeit lebendig zu halten und Menschen zusammenzubringen – über Generationen, Herkunft und Religionen hinweg«, schreibt Renner.

Seit dem 22. Juni und noch bis zum 16. November laufen die diesjährigen Veranstaltungen in dem bunten Bremer Trafohäuschen.

Aus dem Kunstprojekt wurde eine jährliche Veranstaltungsreihe rund um den Köfte-Kosher-Gedenkpavillon: »Wir laden Groß und Klein herzlich ein, gemeinsam zu gedenken, zu lernen, zu basteln, zu tanzen und einander zuzuhören.«

Seit dem 22. Juni und noch bis zum 16. November laufen die diesjährigen Veranstaltungen in dem bunten Bremer Trafohäuschen. So zeigte das jüdische Puppentheater Bubales »Das Geheimnis der Königin Esther« über ein Waisenmädchen, das Königin von Persien wird, aber zunächst ihre jüdische Herkunft geheim hält, um sich zu schützen.
Die Theatergruppe produzierte und zeigte ebenso den Film Isaak und der Elefant Abul Abbas, eine Puppen-Comedy über eine Reise von Bagdad nach Aachen, die im »Open-Air-Kino« gezeigt wurde. Der Film ist in zwei Sprachen abgefasst, auf Arabisch und Deutsch, und entstand in Zusammenarbeit mit syrischen Künstlern.

Ende Juni wurden 100 Yortsayt-Kerzen, die Kinder gestaltet haben, rund um den Pavillon aufgestellt zum Gedenken an Marwa El-Sherbini. Es las Petra Maurer vom interkulturellen Bilderbuchprojekt »EeneMee­neKiste« zu den Themen Empowerment, Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung.

Mit dem kurdischen Jugend- und Kinderverband Komciwan wurde am »Mittmachnachmittag« getanzt. Am 1. Juli jährte sich der Todestag von El-Sherbini. Es traten verschiedene Sprecher auf, und der Film Es brennt von Erol Afşin sowie der Schweizer Kurzfilm Deine Straße von Güzin Kar wurden gezeigt – beide Werke behandeln das Thema Rassismus.

Am 1. Juli jährte sich der Todestag von El-Sherbini.

Ab Ende Juli zeigt eine Ausstellung, wie sich die Künstlerinnen Susanne Kelchel und Noa Gur mit dem rechtsextremistisch motivierten Mord an El-Sherbini im Landgericht Dresden auseinandersetzen. Am 31. August werden dann im Open-Air-Kino sechs Kurzfilme für Kinder gezeigt, die sich auf lustige und didaktische Weise des Themas der Verdauung annehmen.

Am 9. November lädt ein Spaziergang zu verschiedenen Gedenkorten in Bremen ein. Am 15. und 16. November schließlich veranstalten die Theaterpädagogin Elif Gökpinar und Anna Feldbein, Referentin für Empowerment, einen Workshop, um »gemeinsam Wege zu finden, mit der Verflechtung von Antisemitismus, Rassismus und Sexismus umzugehen«.

München

Wir feiern das Leben!

Vor 80 Jahren wurde die Israelitische Kultusgemeinde München wiedergegründet. Ein Festakt würdigte ihre Kontinuität

von Luis Gruhler  29.07.2025

Schwerin

Stolpern mit App

In 37 Orten Mecklenburg-Vorpommerns sind Gedenksteine zu finden. Mithilfe des Smartphones kann man nun mehr erfahren

von Axel Seitz  28.07.2025

Chemnitz

Ein ganzes Jahr Kultur

Zu Chanukka eröffnet in Chemnitz »Tacheles 2026«. Das sind 365 Tage jüdische Kunst, Literatur, Musik und Events. Die Vorbereitungen laufen bereits

von Christine Schmitt  28.07.2025

Kompakt

SchUM, Haifa, WhatsApp

Kurzmeldungen aus den Gemeinden

 27.07.2025

Düsseldorf

27. Juli 2000, 15.04 Uhr

Bei einem Rohrbombenanschlag am S-Bahnhof Wehrhahn wurden zehn Menschen teils schwer verletzt, ein ungeborenes Kind getötet. Der Angeklagte wurde freigesprochen. Auch nach 25 Jahren bleiben Ohnmacht und Sprachlosigkeit

von Katrin Richter  27.07.2025

Erziehung

Es ist schön, jüdisch zu sein!

Wie wir unsere Kinder gerade in schwierigen Zeiten in ihrer Identität bestärken können

von Daniela Fabian  25.07.2025

Portrait der Woche

Städte, die bleiben

Joseph L. Ronel ist Architekt und malt Erinnerungen an Orte, an denen er nie war

von Katrin Diehl  24.07.2025

Judith Kessler

Die Geschichtenjägerin

Viele Jahrzehnte war Judith Kessler Redakteurin beim »jüdischen berlin«, hat Menschen zusammengebracht, vergessene Storys recherchiert. Jetzt geht sie in Rente – und hat eine neue Mission

von Christine Schmitt  24.07.2025

Meinung

Rothenburgs jüdische Geschichte ist in Gefahr

In dem bayerischen Ort wurde die mittelalterliche Synagoge freigelegt – und soll nun wieder zugeschüttet werden. Ein skandalöser Umgang mit dem historisch bedeutenden Ort

von Johannes Heil  24.07.2025