In die Wiege gelegt wurde es Amnon Orbach nicht, dass er dereinst die Jüdische Gemeinde Marburg neu gründen sollte. Denn seine Wiege stand in Jerusalem, sein Vater stammte aus Polen und seine Mutter aus der Ukraine. Sie waren beide als Pioniere nach Israel gekommen.
Vater und Sohn kämpften im Unabhängigkeitskrieg 1948, und der junge Orbach begann nach dem Studium seine berufliche Laufbahn in der israelischen Rüstungsindustrie – die lupenreine Karriere eines Sabra, eines hoffnungsvollen in Eretz Israel geborenen Juden. Am 23. Januar wird er 90 Jahre alt.
Liebesheirat Im Alter von immerhin 52 Jahren folgte er noch einmal dem Ruf des Herzens und kam in das deutsche Marburg. Mangels entsprechender Sprachkenntnisse musste er sich mit Hannelore, der Frau, die er dort heiratete, zunächst noch auf Englisch unterhalten. Doch bei aller Liebe litt er darunter, dass es in Marburg nach der Vernichtung der uralten jüdischen Gemeinde durch die Nazis, wie er es einmal ausdrückte, »keinen Krümel jüdischen Lebens« mehr gab.
Mit der ihm bis heute eigenen Energie und Tatkraft machte er sich deshalb daran, das zu ändern. Zunächst suchte er das versprengte Häuflein Juden aus der ganzen Region zusammen. Man traf sich wöchentlich in Restaurants oder Schulen. Bald schon stellte die Stadt Marburg eine Etage in einem alten Fachwerkhaus zur Verfügung – »ein Stockwerk für die Juden«, wie es damals hieß. Seit den Anfangsjahren unterstützt die Stadt die jüdische Gemeinde stetig. Für eine Gemeinde von gerade einmal zwei Dutzend Mitgliedern war das 1989 durchaus genug.
Synagoge Es sollte nicht dabei bleiben. Der Fall der Mauer und der Zuzug von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion ließ die Zahl der Gemeindeglieder bald um das Zehnfache auf 360 ansteigen. Neues Denken war erforderlich, und so konnte die Gemeinde, wiederum mit nachhaltiger Hilfe der Stadt, aber auch des Landes – und mit erheblicher Eigenleistung der Gemeindeglieder – 2005 die jetzige Synagoge eröffnen.
Für seine Verdienste um das Judentum in Marburg erhielt Amnon Orbach 2000 das Bundesverdienstkreuz.
Für sein Engagement, das Judentum in Marburg nach dem Holocaust wieder zu etablieren, erhielt er im Jahr 2000 das Bundesverdienstkreuz und wurde 2014 Ehrenbürger seiner Wahlheimatstadt Marburg. Beides berührte ihn tief. Aber die größte Bestätigung bezieht er daraus, dass es jetzt in Marburg die neue Synagoge gibt.
Gestaltung Diese trägt überall seine persönliche Handschrift, sei es bei der beeindruckenden Dachverglasung, der Gestaltung des Toraschreins und selbst bei der Bestuhlung. Überall hat Amnon Orbach intensiv mitgearbeitet, Ideen eingebracht und Lösungsvorschläge erarbeitet.
Für ihn ist die Synagoge das wichtigste Ergebnis seiner jahrzehntelangen Tätigkeit. Ihre Fertigstellung ist sein Lebenswerk. Fragt man Amnon Orbach aber nach der ihm wertvollsten Erinnerung, nennt er ohne Zögern etwas anderes: die Teilnahme des Vorsitzenden der Marburger muslimischen Gemeinde an der Fertigstellung der Torarolle der Gemeinde im Dezember 2015.
Dieser sehr symbolische Akt, der seinerzeit weit über die Grenzen Deutschlands hinaus Beachtung fand, ist der kraftvollste Ausdruck von Amnon Orbachs Herzensanliegen, dem Dialog mit anderen Religionen und mit der Gesellschaft insgesamt. Diesen Dialog wird er, der gerade als Vorsitzender der Gemeinde wiedergewählt worden ist, auch in Zukunft weiterführen.