Marburg

Bauherr der Gemeinde

Gemeindevorsitzender Amnon Orbach Foto: Gemeinde Marburg

Marburg

Bauherr der Gemeinde

Er reaktivierte jüdisches Leben und plante eine Synagoge – am 23. Januar wird Amnon Orbach 90 Jahre alt

von Adonia Moscovici  23.01.2020 15:07 Uhr

In die Wiege gelegt wurde es Amnon Orbach nicht, dass er dereinst die Jüdische Gemeinde Marburg neu gründen sollte. Denn seine Wiege stand in Jerusalem, sein Vater stammte aus Polen und seine Mutter aus der Ukraine. Sie waren beide als Pioniere nach Israel gekommen.

Vater und Sohn kämpften im Unabhängigkeitskrieg 1948, und der junge Orbach begann nach dem Studium seine berufliche Laufbahn in der israelischen Rüstungsindustrie – die lupenreine Karriere eines Sabra, eines hoffnungsvollen in Eretz Israel geborenen Juden. Am 23. Januar wird er 90 Jahre alt.

Liebesheirat Im Alter von immerhin 52 Jahren folgte er noch einmal dem Ruf des Herzens und kam in das deutsche Marburg. Mangels entsprechender Sprachkenntnisse musste er sich mit Hannelore, der Frau, die er dort heiratete, zunächst noch auf Englisch unterhalten. Doch bei aller Liebe litt er darunter, dass es in Marburg nach der Vernichtung der uralten jüdischen Gemeinde durch die Nazis, wie er es einmal ausdrückte, »keinen Krümel jüdischen Lebens« mehr gab.

Mit der ihm bis heute eigenen Energie und Tatkraft machte er sich deshalb daran, das zu ändern. Zunächst suchte er das versprengte Häuflein Juden aus der ganzen Region zusammen. Man traf sich wöchentlich in Restaurants oder Schulen. Bald schon stellte die Stadt Marburg eine Etage in einem alten Fachwerkhaus zur Verfügung – »ein Stockwerk für die Juden«, wie es damals hieß. Seit den Anfangsjahren unterstützt die Stadt die jüdische Gemeinde stetig. Für eine Gemeinde von gerade einmal zwei Dutzend Mitgliedern war das 1989 durchaus genug.

Synagoge Es sollte nicht dabei bleiben. Der Fall der Mauer und der Zuzug von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion ließ die Zahl der Gemeindeglieder bald um das Zehnfache auf 360 ansteigen. Neues Denken war erforderlich, und so konnte die Gemeinde, wiederum mit nachhaltiger Hilfe der Stadt, aber auch des Landes – und mit erheblicher Eigenleistung der Gemeindeglieder – 2005 die jetzige Synagoge eröffnen.

Für seine Verdienste um das Judentum in Marburg erhielt Amnon Orbach 2000 das Bundesverdienstkreuz.

Für sein Engagement, das Judentum in Marburg nach dem Holocaust wieder zu etablieren, erhielt er im Jahr 2000 das Bundesverdienstkreuz und wurde 2014 Ehrenbürger seiner Wahlheimatstadt Marburg. Beides berührte ihn tief. Aber die größte Bestätigung bezieht er daraus, dass es jetzt in Marburg die neue Synagoge gibt.

Gestaltung Diese trägt überall seine persönliche Handschrift, sei es bei der beeindruckenden Dachverglasung, der Gestaltung des Toraschreins und selbst bei der Bestuhlung. Überall hat Amnon Orbach intensiv mitgearbeitet, Ideen eingebracht und Lösungsvorschläge erarbeitet.

Für ihn ist die Synagoge das wichtigste Ergebnis seiner jahrzehntelangen Tätigkeit. Ihre Fertigstellung ist sein Lebenswerk. Fragt man Amnon Orbach aber nach der ihm wertvollsten Erinnerung, nennt er ohne Zögern etwas anderes: die Teilnahme des Vorsitzenden der Marburger muslimischen Gemeinde an der Fertigstellung der Torarolle der Gemeinde im Dezember 2015.

Dieser sehr symbolische Akt, der seinerzeit weit über die Grenzen Deutschlands hinaus Beachtung fand, ist der kraftvollste Ausdruck von Amnon Orbachs Herzensanliegen, dem Dialog mit anderen Religionen und mit der Gesellschaft insgesamt. Diesen Dialog wird er, der gerade als Vorsitzender der Gemeinde wiedergewählt worden ist, auch in Zukunft weiterführen.

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025

Misrachim

»Selbst vielen Juden ist unsere Kultur unbekannt«

Ihre Familien kommen aus Marokko, Libyen, Irak und Aserbaidschan. Ein Gespräch über vergessene Vertreibungsgeschichten, sefardische Synagogen und orientalische Gewürze

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025

Ehrung

»Gräben aufgerissen«

Der Preis Augsburger Friedensfest ehrt Personen, die sich um ein friedvolles Miteinander der Religionen bemühen. Jetzt ging er an Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er äußert sich bei der Verleihung kritisch

von Christopher Beschnitt  18.11.2025

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025