Bremen

Aufgeschobene Erinnerung

Protest gegen den Neubau der Konzernzentrale von Kühne+Nagel: Noch ist die NS-Geschichte nicht aufgearbeitet. Foto: Till Schmidt

Mit dem Geschäftsjahr 2018 konnte Kühne+Nagel zu
frieden sein. Der Logistikkonzern verkündete ein »starkes Volumenwachstum in allen Geschäftsbereichen«. Auch mit dem Neubau des Stammsitzes in Bremen geht es voran: Mitte April fand das Richtfest für das an der Wilhelm-Kaisen-Brücke gelegene Gebäude statt.

Konzernchef Klaus-Mi
chael Kühne hattebereits bei der Grundsteinlegung verkündet: Der Neubau würde nicht nur einen Beitrag »zum attraktiven Stadtbild von Bremen« leisten, sondern markiere mit seinem 44 Meter hohen Turm den »Eingang zur Bremer Innenstadt«.

Beim Blick zurück in die eigene Geschichte gibt sich der Konzern wortkarg.

Beim Blick zurück in die eigene Geschichte gibt sich der Konzern jedoch wortkarg. Und das, obwohl erab 1942 eine Schlüsselrolle bei der Organisation und Durchführung des systematischen Raubes jüdischen Eigentums aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg spielte. Jahrzehntelang hatte der heute weltweit drittgrößte Logistiker dies geleugnet.

GründungsjubiläumNachdem Küh
ne+Nagel 2015 sein Gründungsjubiläum auf dem Bremer Marktplatz gefeiert, dabei aber die NS-Zeit weitgehend ausgelassen hatte, begann der damalige »taz«-Journalist Henning Bleyl zur NS-Geschichte des Konzerns zu recherchieren.

Anfänglich erklärte der Konzern, seiner Rolle in dieser Zeit mangele es an Relevanz. Infolge von Bleyls Recherchen räumte Kühne+Nagel jedoch erstmals seine Beteiligung an den Verbrechen des NS-Regimes ein, dies allerdings in äußerst entlastender Manier: Man habe »Versorgungslieferungen für die Armee« durchgeführt und sei auch »mit den Transporten von beschlagnahmten Gütern politisch und rassisch Verfolgter befasst« gewesen, heißt es in einer Erklärung des Konzerns.

Bei der Grundsteinlegung des Neubaus im Oktober 2017 sagte Firmenchef Kühne der Bremer Fernsehsendung buten un binnen ausweichend: »Wir sind der Meinung, dass wir nicht die einzigen Betroffenen waren, sondern dass es viele andere gab, dass das die allgemeinen Verhältnisse waren während des Dritten Reiches, und dass man uns da nicht einseitig mit identifizieren sollte.« Mit diesem Vorwurf bezog er sich vermutlich auf die zivilgesellschaftliche Initiative zum »Arisierungs«-Mahnmal in der Nähe des Neubaus.

Möbel Den Kern des unter Beteiligung der Jüdischen Gemeinde im Lande Bremen ausgewählten Entwurfs bildet ein in eine Wand eingelassener 15 Kubikmeter großer Raum, der durch je ein Sichtfenster von oben und von der Seite einsehbar ist. Der Raum ist leer, und lediglich Schattenrisse von verschwundenen Möbeln an den Wänden weisen auf die letzten Lebensspuren der Verfolgten hin.

Lange Zeit war der Standort des Mahnmals der zentrale Streitpunkt. Wie viele Mitstreiter hätte Bleyl eigentlich eine »konsequente Täteradressierung« in Form eines Mahnmals in unmittelbarer Nähe des Neubaus favorisiert. Doch das war nicht zuletzt von der Bremer SPD verhindert worden.Sie wollte sich offenbar mehrheitlich nicht offen gegen Kühne+Nagel stellen.

Das Mahnmal soll etwa 300 Meter flussabwärts 
in der Nähe der Flaniermeile entstehen.

Grundsteinlegung Bei der Grundsteinlegung des Neubaus im Oktober 2017 hatte Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) sich zwar zum Mahnmal bekannt, den Logistiker jedoch gleichzeitig als »Leuchtturmunternehmen der Branche mit einer langen Tradition« gefeiert. Kurz darauf kündigte der Konzern an, von nun an sein Deutschlandgeschäft von Bremen aus zu koordinieren.

Beim Richtfest sagte Sieling in Richtung Klaus-Michael Kühne: »Machen Sie so weiter, wie Sie es in Ihrer gesamten Firmengeschichte gemacht haben.« Zahlreiche Bremer Politiker waren empört. Sielings Sprecher ruderte anschließend zurück: Der Bürgermeister habe mit diesem Satz nicht beabsichtigt, die Verantwortung des Unternehmens für sein Handeln während der NS-Zeit zu verharmlosen.

Sieling habe sich »auf die wachsende Zahl der Arbeitsplätze bei Kühne+Nagel in den letzten Jahren sowie auf die Bedeutung des Unternehmens für die weitere Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Bremen« bezogen.

kosten Der inzwischen festgelegte Standort des Mahnmals liegt etwa 300 Meter flussabwärts vom Kühne+Nagel-Gebäude entfernt, an der Weserufer-Flaniermeile »Schlachte«. Durch die Wahl dieses Standorts sind jedoch bauliche Veränderungen nötig, das Mahnmal würde später fertig und verursache zusätzliche Kosten.

Bleyl fragt deshalb, ob durch eine leichte räumliche Verschiebung des Mahnmals nicht mehr gewonnen werde: »Hinter der Wilhelm-Kaisen-Brücke ist der für das ästhetische Funktionieren des Mahnmals erforderliche Geländeversatz bereits vorhanden, sodass keine aufwendigen Geländebewegungen erforderlich wären«, sagt Bleyl. Außerdem würde der vertikale Sichtschacht an den Arkaden mit sechs Metern doppelt so hoch sein wie an den Sitzstufen der »Schlachte«. Auch die Jüdische Gemeinde Bremen setzt sich für diesen alternativen Standort ein.

Der inzwischen festgelegte Standort des Mahnmals liegt etwa 300 Meter flussabwärts vom Kühne+Nagel-Gebäude entfernt.

Ein Beschluss der Deputation für Kultur vom September 2016 sieht vor, die Kosten in Höhe von 660.000 Euro zwischen Stadt, Logistikbranche – inklusive Kühne+Nagel – und Zivilgesellschaft aufzuteilen, da alle drei aus dem Raub jüdischen Eigentums Profit geschlagen hatten. Für die Errichtung des Mahnmals werden 22 Monate veranschlagt. Aus Kostengründen wird derzeit diskutiert, ob der Bau des Mahnmals mit den Hochwasserschutzmaßnahmen am Weserufer kombiniert werden soll, was die Fertigstellung des Mahnmals weiter verzögern könnte.

Erinnerungsarbeit Außerdem deutet einiges darauf hin, dass das Mahnmal in die Erinnerungsarbeit eingebettet wird. So hatte sich die jüdische Gemeinde zusammen mit der Handelskammer und dem Kultursenat auf ein Strategiepapier geeinigt, das die Idee eines ständigen erinnerungspolitischen Forums sowie ein kulturpädagogisches Aufarbeitungsprojekt zur Schoa in Bremen beinhaltet. »Dieses Papier wurde von der Kulturbehörde an die Verwaltungsausschüsse der Bremischen Bürgerschaft weitergetragen«, berichtet Grigori Pantijelew, stellvertretender Gemeindevorsitzender.

Zudem existiert ein Bürgerschaftsbeschluss vom August 2018, der dafür plädiert, die »bestehende Erinnerungslandschaft konzeptionell zu verknüpfen«, und dabei auch auf das »Arisierungs«-Mahnmal Bezug nimmt.Ein blinder Fleck bei Kühne+Nagel bleibt die Biografie von Adolf Maass, der 1942 zusammen mit seiner Ehefrau Käthe nach Theresienstadt deportiert und 1945 in Auschwitz ermordet wurde.

Straßenumbenennung Maass war zeitweise größte Einzelanteilseigner des Logistikunternehmens und verließ die Firma im April 1933 – ohne Abfindung und kurz bevor Werner Kühne in die NSDAP eintrat. In der aktuellen Firmenchronik wird die Trennung von Maass euphemistisch als »freundschaftliche Abstimmung« charakterisiert. Bleyl tritt dafür ein, die Einweihung des Mahnmals mit einer Platz- oder Straßenbenennung zu verbinden und Maass’ Nachkommen einzuladen.

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