Porträt der Woche

Auf Reisen

»Mit jedem meiner Berufe betrete ich eine neue Welt«: Guy Band (38) aus Berlin Foto: Stephan Pramme

Porträt der Woche

Auf Reisen

Guy Band ist Tourguide und Historiker. Er kommt aus Israel und fährt bald nach Japan

von Christine Schmitt  25.01.2016 16:03 Uhr

Einen normalen Alltag habe ich derzeit nicht. Bei mir ist jeder Tag anders. Das liegt daran, dass ich verschiedenen Interessen nachgehe. Ich bin Historiker, Politologe, Reiseleiter und Tontechniker. Gestern etwa habe ich den ganzen Tag am Schreibtisch über meinen Büchern gesessen. Die Tage zuvor war ich für das Haus der Wannsee-Konferenz im Einsatz und habe ein Seminar für Pädagogen aus Israel begleitet.

Für dieses Jahr habe ich mir viel vorgenommen, da ich zwei Masterabschlüsse anstrebe – zum einen den Titel im Holocaust-Studiengang am Berliner Touro College, zum anderen Politikwissenschaft und Nationale Sicherheit beim Internationalen Studiengang an der Universität Haifa in Israel. Für beide muss ich jeweils »nur« noch meine Abschlussarbeit schreiben.

welten Durch die Themen gerate ich immer wieder in eine andere Welt. Für eine der Arbeiten konzentriere ich mich auf das Konzept von Gedenkstättenreisen – diese Art von Reisen wird in Israel sehr kontrovers wahrgenommen. 30.000 Schüler aus Israel fahren jedes Jahr nach Polen und werden dort hauptsächlich mit den Ereignissen der Jahre 1939–45 konfrontiert. Aber ich finde, dass auch die Entwicklung in Deutschland vor der Schoa intensiv durchgenommen werden müsste und man sich nicht auf die sechs Kriegsjahre beschränken sollte.

Doch auch bei meiner anderen Tätigkeit, bei der ich als Reiseleiter in verschiedenen Ländern unterwegs bin, eröffne ich den Interessierten eine neue Welt – und ebenso bei meiner dritten Leidenschaft, der Tontechnik, bin ich mit dabei, wenn das Publikum bei Theatervorstellungen oder Konzerten ebenfalls »auf eine Reise« mitgenommen wird.

Und schließlich arbeite ich im Haus der Wannsee-Konferenz, wo ich Seminare für Schüler und Pädagogen mitgestalte und Besucher aus allen möglichen Ländern durch die Ausstellungsräume führe.

Dabei finde ich es wichtig, auf deren Fragen und Interessen immer einzugehen und nicht nur ein Programm herunterzuspulen. Überhaupt halte ich viel davon, Begegnungen mit Menschen verschiedener Herkunft, Kulturen und Religionen zu schaffen. Ich brauche diese Abwechslung, und ich denke, dass jeder Bereich vom anderen profitiert.

heimat Deutschland ist meine zweite Heimat geworden – nach zehn Jahren Berlin könnte ich sogar die Staatsangehörigkeit bekommen. Aber ich bin nicht bereit, meine israelische abzugeben. Aus Spaß haben Freunde und ich einmal den Einbürgerungstest ausgefüllt – mein Wissen war teilweise umfangreicher als das meiner deutschen Freunde.

Israel macht den starken Teil meiner Identität aus. Seit mein Vater vor zweieinhalb Jahren plötzlich und unerwartet verstorben ist, fahre ich wieder oft zu meinen Freunden, meiner Mutter und meiner Schwester, die drei Kinder hat. Mittlerweile teilen meine Schwester und ich ein Hobby: Wir laufen beide seit einigen Jahren. Letzten März nahmen wir zusammen am Halbmarathon in Berlin teil, und am 6. Februar werden wir beim Halbmarathon in Israel mitlaufen.

Aufgewachsen bin ich in Givatayim, einer kleinen Stadt bei Tel Aviv. Früher galt sie als sehr veraltet, doch mittlerweile ziehen immer mehr Studenten und Familien dorthin. In dieser Stadt habe ich auch meine ersten Erfahrungen als Tontechniker gemacht: Als Jugendlicher ging ich immer in den Jugendclub und sah dem Tontechniker zu, der mich in das Knowhow einführte.

Später gründete ich eine Firma, die es heute noch gibt, aber nun meinen Ex-Partnern gehört. Demnächst werde ich wieder in Israel sein, denn ich habe einen besonderen Auftrag als Tontechniker angenommen: Lessings Theaterstück Nathan der Weise, das als jüdisch-arabisches-deutsches Projekt auf die Bühne gebracht werden soll. Initiator ist das Goethe-Institut.

Partner Nach der Armee absolvierte ich mein erstes Studium und machte meinen Bachelor-Abschluss in Israelstudien. Der Fächerkanon interessierte mich sehr, auch weil ich damals schon als Reiseleiter gearbeitet habe. Bei dieser Tätigkeit habe ich auch vor zwölf Jahren Daniel, meinen Lebenspartner, kennengelernt. Damals engagierte ich mich ehrenamtlich als Leiter bei der Israel Gay Youth (IGY) und begleitete eine Gruppe bei einem Austauschprogramm nach Deutschland. Ausgerechnet in der Gedenkstätte Sachsenhausen sahen Daniel und ich uns zum ersten Mal.

Wir beschlossen damals, trotz der Entfernung zusammenzubleiben und eine Fernbeziehung zu führen. Kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten, schenkte Daniel mir ein Buch mit einer Widmung: Es waren deutsche Gedichte. Ich verstand aber weder die Widmung noch die Gedichte, denn ich konnte zu diesem Zeitpunkt kein Deutsch. Wenn ich daran denke, muss ich heute noch schmunzeln.

Daniel leistete dann ein Jahr Freiwilligendienst in Israel mit der Aktion Sühnezeichen, ich ging anschließend, ebenfalls mit Aktion Sühnezeichen, ans Haus der Wannsee-Konferenz, wo ich heute noch als freier Mitarbeiter im Einsatz bin. Mittlerweile spreche ich gut Deutsch – auch dank meines Studiums am Touro College.

feste An dem Tag, an dem wir unsere Hochzeit feierten, regnete es in Strömen. Wir hatten als Studenten damals nicht so viel Geld und fanden schließlich am Müggelsee in Köpenick ein Restaurant, das uns einen Festpreis anbot.

Einen Abend vor der Feier rief die Verantwortliche uns an und teilte mit, dass sie auf eigene Kosten noch einen Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes engagieren wollen, denn es war sowohl eine schwule Hochzeit als auch ein deutsch-israelisches Fest. Sie fürchtete, dass NPD-Aktivisten kommen und stören könnten.

Es ging aber alles gut, und es war eine schöne Feier. Ein Pastor und eine Rabbinerin leiteten die Zeremonie. Vorher hatten wir unsere Freunde gebeten, die sieben Segenssprüche zu gestalten und zu übernehmen. Wir feierten mit etwa 130 Angehörigen und Freunden. Ich denke immer wieder gerne an diesen Tag.

Die jüdische Kultur ist für mich ein fester Baustein meiner Identität. So haben wir hier in Berlin die Tradition, Freunde zu Roch Haschana und Pessach einzuladen. Uns ist es wichtig, unsere unterschiedlichen Kulturen und Religionen mit anderen zu teilen. Zweimal ist meine Familie für das Pessachfest nach Berlin gekommen, das wir mit 35 Freunden feierten, die verschiedenen Religionen angehören.

Wir setzten uns lange mit den Texten auseinander. Das war das letzte Pessachfest, bei dem mein Vater dabei war. Nun fahre ich zu den Hohen Feiertagen nach Israel. Ohne meinen Vater ist es leer geworden.

ziele Ende März führe ich eine israelische Reisegruppe durch Japan, worauf ich sehr gespannt bin. Ich werde schon ein paar Tage vor den Teilnehmern dort sein. Das Programm bereite ich jetzt auch schon vor. Ich hoffe, dass ich ihnen das Land, das ihnen fremd ist, näherbringen und einen Zugang in eine andere Welt legen kann.

In Berlin arbeite ich gerne mit verschiedenen Vereinen wie Mifgasch (Begegnung), der für interkulturelle und internationale Begegnungen zwischen Menschen steht, mit dem Ziel, ein von Verständnis und Respekt geprägtes Miteinander zu fördern.

Ebenso habe ich mich »7xjung« angeschlossen, einem Ausstellungsprojekt des Vereins »Gesicht zeigen«. Mit sieben Themenräumen will es eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ermöglichen.

Mir ist es immer wieder wichtig, dass es alle hinbekommen, trotz verschiedener Lebensstile, Religionen, Kulturen oder Herkunft, freundlich miteinander umzugehen und einander zu akzeptieren. Dieses Ziel haben wir als Paar auch auf uns genommen.

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