Bagrut

Auf ins Leben

Vor den Absolventinnen und Absolventen der Lauder Tichon liegt ein neuer Lebensabschnitt – für die meisten beginnt er in Israel. Foto: Gregor Zielke

Hoch fliegen sie, die schwarzen Doktorhüte, die Quasten flattern, und spätestens jetzt ist den sechs Schülerinnen und Schülern bewusst: Wir haben das Bagrut – School’s out! Hinter den vier Mädchen und zwei Jungen der Lauder Tichon im Prenzlauer Berg liegen zwei besondere Jahre. 24 Monate mit intensivem Unterricht und Lernen unter Pandemie-Bedingungen.

Doch das alles ist am vergangenen Donnerstag im Hof der Synagoge Rykestraße vergessen. Eltern, Großeltern, Pädagogen, Rabbiner, Freunde und Mitarbeiter der Schule sind gekommen, um eine Premiere zu feiern: Die Schüler legten in Deutschland das israelische Abitur, das Bagrut, ab, mit dem sie nun an Universitäten in allen Ländern studieren können. »Ihr seid in Deutschland zu Hause und habt nun einen israelischen Abschluss«, unterstrich Doron Rubin, Präsident der Kahal-Adass-Jisroel-Gemeinde, in seiner Ansprache.

Pioniere »Zum ersten Mal in Deutschland und in Europa legten Schüler das Bagrut ab«, sagt Miriam Barkai, Direktorin für Bildung der Ronald S. Lauder Foun­dation. Auch sei es der erste Jahrgang der Schule überhaupt, der die Hochschulreife angestrebt hatte. Sie seien Pioniere gewesen, so Dovid Roberts, Gemeinderabbiner der Kahal Adass Jisroel. Sie hätten Vertrauen, Loyalität und wahre Freundschaften in dieser Zeit kennengelernt und erlebt – »das wird hoffentlich alles bleiben«. Wahrscheinlich werden sie in anderen Bereichen wieder Pioniere sein, und sie sollten keine Angst davor haben, sondern sich auf neue Erfahrungen freuen.

Wie die aussehen, das wissen die Schüler ziemlich genau. Ein paar Tage vor der Abschlussfeier sitzen drei von ihnen in einem Klassenraum unterm Dach: Selma, Lea und Nathan. Vielleicht wird das eines der letzten Male sein, dass sie auf den beigefarbenen Stühlen und den typischen Schultischen Platz nehmen.

Selma will für ein Jahr nach Israel und die Tora studieren.

Selma ist 17 und in diesem Gebäude praktisch aufgewachsen, wie sie beschreibt: »Ich bin seit Kindergarten-Zeiten in diesem Haus. Dieses Gebäude ist auch mein Zuhause, und ich werde es vermissen. Aber ich freue mich, etwas Neues anzufangen.«

Und sie weiß um das Besondere dieses Abschlusses: »Dass wir so eine Möglichkeit in Berlin hatten, hier das Bagrut zu machen, ist einmalig«, sagt die 17-Jährige selbstbewusst. Bevor sie allerdings für ein Jahr nach Israel gehen »und Tora an einer Schule für Mädchen studieren« will, steht ein Termin an, der für eine Berlinerin vielleicht fast so wichtig ist wie die Bagrut-Feier: »Ich muss definitiv noch einmal an einem Sonntag in den Mauerpark.«

zuhause Selma wird ihr Zuhause verlassen – wie Nathan auch. Dem hochgewachsenen Jungen, der ebenso wie Selma ein Auslandsjahr mit Torastudium in Israel einlegen will, werden die Schule und die Lehrer fehlen. Besonders in den zurückliegenden zwei Jahren ist ihm bewusst geworden, was er an dem Bagrut-Programm der Lauder Tichon hat: »Der Support der Lehrer ist unglaublich toll. Sie sind immer für uns da, helfen uns – auch weit außerhalb der regulären Unterrichtszeiten«, erzählt Nathan.

Außerdem sei die Verbindung zwischen Lehrern und Schülern »sehr besonders«. Kleine Lerngruppen, Fragenstellen auch nach Unterrichtsschluss und intensiver Hebräischunterricht – in der Berliner Schullandschaft eine Ausnahme. »Es hat uns sehr geholfen, dass wir die besten Lehrer hatten, die ein hohes Unterrichtsniveau haben«, sagt der 18-Jährige. Auch seine Mitschülerin Lea gefiel das hohe Lernniveau – auch wenn dies viel Zeit und Arbeit bedeutete. Lea, die vorhat, Informatik zu studieren, mochte vor allem »die Fächer zu jüdischer Religion sehr gern«.

»Der Support der Lehrer ist unglaublich toll«, sagt Nathan.

Dieses Behütetsein nun verlassen zu müssen und einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, ist aufregend, aber auch – dessen werden sich die drei langsam bewusst – etwas überwältigend: »Ein neues Land, ohne Familie, mehr Studenten – das wird schon anders werden«, ahnt die 19-jährige Schülerin.

»Ich werde meine Familie sehr vermissen und auch das familiäre Verhältnis hier an der Schule. Wir waren sehr miteinander verbunden«, sagt Lea mit traurig-schwerer Stimme. Aber die Freude auf das Neue überwiegt. Und schließlich: Ist nicht jeder Anfang immer etwas schwer?

Schule Die Lauder Tichon startete vor 14 Jahren mit den ersten Schülern in der Rykestraße unter Schirmherrschaft der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Sie ist eine gesetzlich anerkannte Ersatz- und Gemeinschaftsschule. Die Pädagogen der Schule hatten sich für die Möglichkeit, das israelische Abitur in Deutschland anzubieten, entschieden, damit die Schüler nicht schon nach der zehnten Klasse nach Israel müssen, um es dort abzulegen. »Sie sind noch jung und müssten früh das Elternhaus verlassen«, sagt Miriam Barkai.

Die Möglichkeit, dies in Berlin zu tun, war für Selma, Nathan, Lea und ihre Mitschüler eine großartige Alternative. Zumal die Corona-Pandemie die Pläne der Jugendlichen ordentlich durcheinanderbrachte, wie Selma erzählt: »Ich war eigentlich darauf vorbereitet, nach der 10. Klasse in die USA zu gehen, um dort die Schule zu beenden. Und dann bin ich doch hiergeblieben.«

Plötzlich war der Unterricht – bis auf die Fremdsprachen – komplett auf Hebräisch, denn es ist ja das israelische Abitur. »Das war eine 180-Grad-Wende«, sagt Selma. Aber alle haben sie mit Bravour genommen. Und auch die Lehrer sind zufrieden: »Es war eine fantastische Gruppe und ein Vergnügen, sie zu unterrichten. Sie haben viel gelernt in diesen Jahren – und sie sind zu einer engen Gruppe zusammengewachsen«, sagt Barkai.

Sabine Kuchling, die vor zwölf Jahren mit den Absolventen zur Schule kam und sie seitdem zusammen mit Avi Fingerhut leitet, würde selbst gern auch noch einmal Platz nehmen, um ebenfalls das Bagrut zu absolvieren. Auch sie werden ihre Schüler wohl vermissen.

Spass Die hatten am Tag der Zeugnisübergabe vor allem Spaß: »Wir waren die Versuchskaninchen«, betonten die Abiturienten in ihrer Abschlussrede mit einem Lachen. Tipps für den kommenden Jahrgang hatten sie auch noch. »Nehmt alles mit Ruhe!« Und: »Schafft es bis zur zwölften Klasse!«

Lea wird die Schule vermissen und will jetzt Informatik studieren.

Und weil eine Abschlussfeier erst so richtig zu einer wird, wenn man die anstrengende Lernerei, die intensiven Prüfungen und die vielen zusätzlichen Herausforderungen der vergangenen zwei Jahre weglachen kann, gab es gegen Ende der Feier noch ein paar Videobotschaften.

Denn die Schüler mussten ihre eigenen Fragen in dem nicht zu unterschätzenden und lebensnahen Fach Schulessen beantworten: Welches war es denn nun, das ihnen am besten geschmeckt hat? Ein kleiner Tipp: Die eingepackten Schulbrote oder ein Apfel lagen ganz vorn.
Vielleicht denken Selma, Nathan, Lea und die anderen drei Mitschülerinnen und Mitschüler daran, wenn sie in den Pausen zu ihren Studiengängen in einen Apfel beißen.

www.lauderschule.de

Ehrung

»Wir Nichtjuden sind in der Pflicht«

Am Mittwochabend wurde Karoline Preisler mit dem Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

 05.11.2025

Laudatio

»Wie hält man so etwas aus?«

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hielt die Laudatio auf Karoline Preisler anlässlich der Verleihung des Paul-Spiegel-Preises in Berlin. Eine Dokumentation

von Julia Klöckner  05.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025

Berlin

Davidstern-Gemälde an East Side Gallery beschmiert

Ein Gemälde an der bekannten East Side Gallery ist Ziel einer antisemitischen Schmiererei geworden. Der Tatverdächtige konnte gefasst werden. Bei der Begehung seines Wohnhauses fand die Polizei mehrere Hakenkreuze

 05.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 6. November bis zum 13. November

 05.11.2025

Auswärtiges Amt

Deutschland entschärft Reisehinweise für Israel

Nach Beginn des Gaza-Krieges hatte das Auswärtige Amt vor Reisen in Teile Israels gewarnt. Dies gilt so nicht mehr. Der Außenminister begründet das mit gewachsenem Vertrauen in den Friedensprozess

 04.11.2025

Würdigung

Margot Friedländer wird mit Sonderbriefmarke geehrt

Wie das Finanzministerium mitteilte, war die Sonderbriefmarke für Friedländer ein »besonderes Anliegen« von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil

 04.11.2025

B’nai B’rith

»Wie eine große Familie«

Delegierte aus 20 Ländern kamen zusammen, um sich eine neue Organisationsstruktur zu geben

von Ralf Balke  03.11.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an November-Pogrome

Zum 87. Jahrestag der NS-November-Pogrome von 1938 werden am Sonntag ganztägig die Namen der im Holocaust ermordeten Berliner Jüdinnen und Juden vorgelesen. Bei einem Gedenken am Abend wird Berlins Regierender Bürgermeister sprechen

 03.11.2025