Porträt

»Bei Corona-Leugnern könnte ich platzen vor Wut«

»In einem Jahr werden wir wieder wesentlich weiter sein und ein eher normales Leben führen, anders als jetzt«: Internist Natan Del Foto: Mike Minehan

Porträt

»Bei Corona-Leugnern könnte ich platzen vor Wut«

Der Arzt Natan Del beobachtet die steigenden Infektionszahlen mit Sorge

von Christine Schmitt  19.11.2020 09:08 Uhr

»Corona wird zu Ende gehen.« Da ist sich der Internist Natan Del sicher. Und auf diesen Augenblick, wenn »Corona besiegt« ist, freut er sich – wie wahrscheinlich die gesamte Weltbevölkerung. Es ist Montag, und der Hausarzt verspricht, noch ein Interview zu geben.

»Aber je später, desto besser.« Um 22.15 Uhr ist es noch zu früh. »Geht es in einer halben Stunde?«, fragt er. Denn gerade am Anfang der Woche hat der Hausarzt viel zu tun – obwohl seine Praxis keine Covid-Praxis ist.

abstriche In Berlin gibt es mittlerweile mehr als 30 davon: Sie haben sich bereit erklärt, Abstriche bei potenziell Infizierten zu machen, auch wenn diese keine Patienten des Arztes sind. Mehrere Stunden am Tag kann man sich testen lassen – bei einigen Hausärzten ohne Termin, bei anderen mit Anmeldung. Allerdings nur, wenn es einen Kontakt zu einem Infizierten gab oder Symptome aufgetreten sind.

Vor diesen Praxen bilden sich draußen meterlange Schlangen von Wartenden. Und oft beträgt die Wartezeit ein bis zwei Stunden.

Abstriche gehören auch für Natan Del zu seiner Arbeit, allerdings überwiegend bei seinen Patienten oder wenn der Terminkalender gerade einen Puffer hergibt. »Die meisten haben Angst vor einer schweren Erkrankung und vor möglichen Komplikationen«, sagt er. Ebenfalls kommen viele Patienten mit »diffusen Ängsten« zur Untersuchung.

sorgen Denn sie wüssten nicht – wie wahrscheinlich die meisten Leute –, was dahintersteckt und was auf sie zukommt. Einen Rat zu geben, sei schwierig. Er geht dann die Symptome durch und fragt nach, worauf sich die Angst stützt. »Wir Ärzte wissen mehr als die Patienten.« Die Sorgen indes könne er sehr gut nachvollziehen.

Ebenso kennt er die Befürchtungen von Eltern, deren Kinder das Virus aus der Schule vielleicht mit nach Hause bringen könnten. Alleine in Berlin gibt es drei weiterführende jüdische Schulen (Moses Mendelssohn Gymnasium, Chabad, Lauder) und vier jüdische Grundschulen mit insgesamt mehreren Hundert Schülern, die die Infektion durchmachen könnten, ohne Symptome zu entwickeln – aber durchaus ansteckend sein können.

»Präsenzunterricht ist alternativlos, doch die Klassen sollte man halbieren.«

Natan Del

In Berlin waren in der vergangenen Woche mehr als 16.727 Schüler in Quarantäne, was aus den jüngsten Zahlen der Kultusministerkonferenz hervorgeht. Es sind deutlich mehr als in bisherigen Schätzungen, die von rund 10.000 Schülern ausgingen. Zum Vergleich: Das sind 3,7 Prozent aller Schüler in Berlin. Mit dem Coronavirus infiziert waren laut dem Bericht 1277 Schüler und 353 Lehrkräfte. Wie viele Lehrkräfte in Quarantäne sind, geht aus der Erhebung nicht hervor.

Dennoch soll es in Berlin derzeit beim Präsenzunterricht bleiben. »Da hätte ich mir gewünscht, die Klassen zu halbieren«, gibt Del zu bedenken. Jede Schule sei groß genug, um das zu bewerkstelligen. Zu Präsenzunterricht sieht Natan Del keine Alternative, die Schulen müssen aus seiner Sicht offen bleiben. »Online-Unterricht ist nicht das, was man unter Schule versteht.«

SYMPTOME Und auch für pflegende Angehörige ist diese Zeit sehr hart. Wenn sie beschließen, sich mit in eine Quarantäne zu begeben, werden sie auf Schwierigkeiten stoßen. »Zum einen ist es sehr schwer, sie durchzuhalten, zum anderen wird immer wieder jemand kommen müssen, sei es vom Pflegedienst oder ein Arzt, der infiziert sein könnte«, meint Del.

Denn dadurch, dass man vor den ersten Symptomen ansteckend ist, hat es das Virus leicht, sich einen neuen Wirt zu suchen. Dennoch erhöhe die Quarantäne natürlich die Chance, infektionsfrei zu bleiben. Aber: »Das Virus kommt aus Ecken, wo man es gar nicht ahnt.« Sonst würde es nicht diese hohen Infektionszahlen geben. Sein Tipp: sich an alle Regeln halten, bestimmte Anlässe, zu denen mehrere Menschen zusammenkommen, unbedingt meiden, möglichst auch in keine U-Bahn und anderen öffentlichen Verkehrsmittel steigen.

Er selbst hatte sich vor ein paar Wochen infiziert und könne nicht sagen, wer ihn angesteckt hat. »Nun bin ich als Arzt natürlich an vorderster Front.« Glücklicherweise sei der Verlauf bei ihm leicht gewesen, sagt Del, der mehrere Legislaturperioden als Einzelkandidat der Repräsentantenversammlung angehörte und später Mitglied des Wahlbündnisses »Emet« war.

»In einem Jahr werden wir wieder wesentlich weiter sein und ein eher normales Leben führen, anders als jetzt«, sagt Natan Del.

»In einem Jahr werden wir wieder wesentlich weiter sein und ein eher normales Leben führen, anders als jetzt«, sagt der Arzt. Der Impfstoff wird bald verfügbar sein – immerhin gebe es jetzt mit BioNTech/Pfizer und auch Moderna zwei wahrscheinliche Anbieter. »Bestimmt wird ebenfalls in Israel einer entwickelt werden, wahrscheinlich wird es demnächst ein riesengroßes Angebot geben«, vermutet der Mediziner. Auch die nun entstehende »Herdenimmunität« helfe aus seiner Sicht mit. »Aber eine Tragödie bleibt es trotzdem.«

WUT Auch unter seinen Patienten hatten einige einen schweren Verlauf, mussten ins Krankenhaus, und es sind auch einige in Verbindung mit Covid-19 gestorben. Wenn jemand ihn fragt, ob er denn tatsächlich an »das Ganze« glaube, dann könnte er platzen vor Wut. Und bei den Demonstranten handele es sich um »uneinsichtige Menschen«, ärgert er sich.

Wenn Corona vorbei ist, dann freut er sich auch darauf, mal wieder die Möglichkeit zu haben, einen Wochenendtrip unternehmen zu können, seine Familienangehörigen wiederzusehen, die weiter weg leben. Nun aber hofft Natan Del erst einmal, dass alle die Kurve kriegen und sie wieder flacher wird – und das Gesundheitswesen die Herausforderungen bewältigt und es möglichst wenige Tragödien gibt.

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